Abgesang auf eine Disziplin: Es war einmal... der Radsport

Dopingfälle ohne Ende, Rückzug von Sponsoren, jetzt auch noch das Aus für die Deutschland-Tour. So wie früher wird der Radsport nie mehr sein. Eine Bestandsaufnahme.

In die Wüste geschickt: Wer wo mit welchen Drogen im Körper fährt, kümmert kaum noch jemanden. Bild: dpa

Endgültig aus ists mit der Vorstellung vom fairen Wettstreit wackerer Radler

Seit es die verwegene Idee gibt, Radfahrer Etappenrennen fahren zu lassen mit Teilstücken von bis zu 350 Kilometern, haben sich die Pedaleure Gedanken gemacht, wie die Tortur erträglicher zu gestalten ist. Doping hat es also ab dem Zeitpunkt der explodierenden Ansprüche gegeben. Anfangs experimentierte man in der Szene mit Aufputschmitteln, Alkohol und Kokain, später gab man sich breiten medizinischen Feldversuchen hin. Was frisch aus der Apotheke kam, wurde ausprobiert und, falls tauglich, mitgenommen auf die strapaziöse Reise durch Frankreich, Italien oder Spanien. Erst waren es Masseure, die die Beipackzettel studierten, später nahmen sich Ärzte der Sache an. Und die Liste der Mittelchen wurde immer länger: Anabolika, Wachstumshormon, Insulin, Epo, diverse Stimulanzien, Glucocorticosteroide, Blutdoping. Und so weiter. Wer in den Kreis der Etablierten aufrückte, wurde in einem Initiationsritual in die Geflogenheiten eingeweiht und legte gleichzeitig ein Schweigegelübde ab. So kam es, dass der Schein lange gewahrt werden konnte, ja, bis zur Jahrtausendwende ging das doppelte Spiel gut. Dann implodierte der Laden. Was Insidern klar war, wurde zum öffentlichen Gut: das systematische, flächendeckende Doping im Peloton. Das Paradoxe dabei: Es trat keinerlei Lerneffekt ein. Wie die Fälle Stefan Schumacher und Bernhard Kohl wieder einmal beweisen - der Radsport ist unbelehrbar. Er ist verseucht. Und resistent gegen jegliches Antidot. Die Tradition des Heuchelns und Dopens ist so fest verwurzelt, dass es mindestens eine Radsportgeneration und den baldigen Kollaps des Systems bräuchte, um Veränderungen herbeizuführen.

Schluss ists mit den schönen TV-Quoten bei der Tour de France

Der Radsport ist jetzt also da gelandet, wo er hingehört - ins Spartenprogramm. Eurosport wird künftig noch live von der Frankreich-Rundfahrt berichten, ARD und ZDF aber wollen nur noch Zusammenschnitte liefern, sehr wahrscheinlich erst nach 23 Uhr. Einst guckten Millionen Deutsche zu, wenn Jan Ullrich sich den Tourmalet hinaufquälte und doch nur das Hinterrad von Lance Armstrong zu Gesicht bekam. Künftig werden sich vielleicht 300.000 unverzagte Radsportfreunde - die Hardcore-Gemeinde - hinter die Glotze hocken und nach dem Motto "Eh wurscht, wenn alle dopen, ist die Chancengleichheit ja wieder gegeben" Tour gucken. Das ist nicht verwerflich, denn schön waren sie ja immer, die Bilder aus dem Helikopter, die tollen Landschaftsaufnahmen und die Kämpfe an den Anstiegen. Aber man darf keine Augenwischerei betreiben. Wenn es zu einer Reinigung im Peloton kommen soll, dann muss auch der eingefleischte Fan die Kraft haben, seiner Sucht zu widerstehen. Er muss den Fernseher kalt lassen, wenn die Meute wieder einmal ums Gelbe Trikot streitet. Eigentlich hätten ARD und ZDF die Übertragungskabel nach Frankreich komplett kappen sollen. Die Entscheidung der Öffentlich-Rechtlichen ist halbgar. Jahrelang haben sie einen Tanz ums Goldene Kalb vollführt, um nach zig Dopingfällen endlich zu erkennen, dass unter der Goldschicht ein Korpus zutage tritt, der nach Verwesung stinkt. Die Herren Intendanten erinnern sich bestimmt noch sehr lebendig an die tollen Quoten und die Zeiten, als das ARD-Logo auf dem Leibchen der Telekom-Radler prangte. Ja, nostalgisch geraten die Rückblicke auf die Zeiten, in denen sich der kritische Fernsehjournalismus bankrott erklärte. Gut, dass sie fürs Erste vorbei sind. Und fürs Zweite auch.

Die Zeit der guten Geschäfte, sie ist für die Radsportgemeinde vorbei

Es hat gebrummt. Beinahe alle wollten mitmachen. Sponsoren standen Schlange. Profiteams wurden gegründet. Die Fans schlüpften in die schrillsten Werbe-Shirts. Die Deutsche Telekom war als erster deutscher Konzern dem Radsport verfallen. Sie fand in Walter Godefroot einen Teamchef, der wusste, mit welchen Mitteln man Sieger machen kann. Mit den Tour-de-France-Triumphen der Telekom-Radler Bjarne Riis und Jan Ullrich (1996, 1997) wollten andere auch Geschäfte machen. Die Deutschland-Tour wurde 1999 wiederbelebt. Millionen standen an der Strecke, Millionen sahen die Etappen im TV. Aus Kirmes-Rennen wurden teure Profi-Veranstaltungen. Hohe Gagen lockten die großen Stars zur Regio-Tour, in die Nürnberger Altstadt oder zur City-Night in Hannover. Mit Gerolsteiner und Milram entstanden zwei neue deutsche Radsportteams. Die Siegerfotos - Fahrer zwischen küssenden Hostessen - zierten Imagebroschüren der Sponsoren. Vorbei. Team T-Mobile war einmal, Gerolsteiner rollt auch nicht mehr. Am Donnerstag nun haben die Veranstalter der Deutschand-Tour aufgegeben. Der Großsponsor der Regio-Tour mag nicht mehr zahlen. Das Eintagesrennen "Rund um den Henninger Turm" sucht für 2009 noch nach einem Geldgeber. Auch der Rummel auf den Winterbahnen funktioniert nicht mehr. Das Sechstagerennen in Stuttgart wurde abgesagt. Milram will als einziger deutscher Rennstall im Peloton weiter mitmischen. Hauptsponsor Nordmilch AG ließ nach dem Tour-Ausstieg von ARD und ZDF mitteilen: "Für uns ergibt sich die Notwendigkeit, den Wert unseres Sponsoringengagements neu zu beurteilen. Das können wir erst nach Ablauf des kommenden Jahres tun." Radsportbegeisterung sieht anders aus.

Der Staat kümmert sich auch nicht mehr um die einst gehätschelten Radler

Januar 1999, Staatsbesuch beim Team Telekom. Rudolf Scharping, damals Bundesverteidigungsminister, macht sich nach Mallorca auf, um die vom privatisierten Staatsunternehmen bezahlten Profis im Trainingslager zu besuchen. Es gab Gerüchte damals: Bjarne Riis, Tour-Sieger von 1996, soll gedopt haben. Rudolf Scharping seinerzeit: "Da kann nicht viel dran sein. Bjarne ist sauber." Heute weiß er das besser. Heute weiß die Öffentlichkeit auch, dass der Radsport in Deutschland immer stark von Bund und Ländern gefördert worden ist. Ideell und finanziell. Als in Deutschland über ein Antidopinggesetz diskutiert wurde, war der Ruf des Radsport längst schwerst ramponiert. Doch auf eines achteten die Volksvertreter und Ministerialbeamten: Doping sollte straffrei bleiben. Der Besitz größerer Mengen, der Handel mit Dopingsubstanzen steht unter Strafe. Die dopenden Radler müssen indes keine Angst vor der Staatsanwaltschaft haben. Fürsorglich zeigte sich der Staat auch in anderer Hinsicht. Etliche Rennen in Deutschland wurden mit öffentlichen Geldern unterstützt. Die Rad-WM in Stuttgart 2007 konnte mit einem Bundeszuschuss planen. Das finanzielle Risiko des veranstaltenden Radsportweltverbandes UCI war durch eine Bürgschaft der Stadt abgesichert. Als das Interesse der Sponsoren am Dopingsport nachließ, zog auch die öffentliche Hand ihre Unterstützung zurück. Die Rheinland-Pfalz-Rundfahrt oder die Niedersachsen-Rundfahrt fanden deshalb in diesem Jahr nicht mehr statt. Im Sportausschuss des Bundestages wird die Forderung nach Streichung der Bundeszuschüsse (mindestens 2,5 Millionen Euro) für den Bund Deutscher Radfahrer immer lauter. Bei der nächsten Sitzung wird dazu dessen Präsident befragt: Rudolf Scharping, mittlerweile Bundesradsportverteidiger.

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