Erinnerung an Kristallnacht: Der Sondermüll der Geschichte

Seit 70 Jahren lagern Überreste zerstörten jüdischen Eigentums aus der Pogromnacht vom 9. November 1938 auf einer Müllkippe in der Schorfheide. Ein israelischer Journalist präsentiert die Funde als Sensation. Und hinterlässt Ratlosigkeit.

Eine Scherbe mit einem Davidstern, eine Kanne und eine Flasche, ebenfalls mit sechszackigem Stern. Das sind die Funde, die der israelische Journalist Yaron Svoray am Rande einer stillgelegten Müllkippe in Klandorf am Rande der Schorfheide, nördlich von Berlin, in die Kamera hält. "Ich habe hier fünf Tage lang gegraben", sagt er, "und 500 Scherben aus Porzellan und Glas gefunden." Die Herkunft dieser Gegenstände ist für Svoray eindeutig: Sie stammen aus Berliner Synagogen und jüdischen Geschäften, die während der Pogromnacht am 9. November 1938 in Berlin zerstört wurden.

Mit der Heidekrautbahn wurden die Trümmer in die Schorfheide gefahren und dort verklappt. Entladen haben den Müll Gefangene aus einem nahe gelegenen Lager, hört man im Ort. Dort sollten vor allem wegen Homosexualität Verfolgte inhaftiert gewesen sein. Siebzig Jahre lang wuchsen Gras und Pappeln über der Stelle. Nachdem Svoray jetzt mit dem Fund an die Weltpresse ging, sieht sich das kleine Dorf am Rande der Schorfheide mit dem Sondermüll der deutschen Geschichte konfrontiert.

Arno Gielsdorf ganz besonders. Ihm gehört die Fläche - was ihm schon einmal eine bedrohliche Begegnung mit einem Spaten eingebracht hat, den ein Schatzsucher gegen ihn schwang. Der Angreifer war Profi, er hatte einen Bagger bis auf das Privatgelände gefahren, um nach Verwertbarem für Flohmärkte zu suchen. So etwas will Gielsdorf nicht noch einmal erleben. Ein Schild "Betreten und Graben verboten" hat er an den Weg zur Deponie gestellt. Und es immer wieder aufgerichtet, wenn ungebetene Besucher es umtraten.

Es waren Besucher, die sich weniger für die jüdischen Überreste interessieren. "Die suchen alles, wo ein Hakenkreuz drauf ist", sagt Thomas Kersting vom Brandenburgischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologischen Landesmuseum in Wünsdorf. Diese Woche hat sich Kersting selbst ein Bild von der Müllkippe gemacht. "Es ist keine Überraschung, dass es dort Funde jüdischen Charakters gibt", resümiert er. "Rund um Berlin gab es seit den 1920er Jahren ein Dutzend Müllkippen." Und dorthin wurde auch der Schutt nach dem Pogrom des 9. Novembers gefahren. Die Deponie an der Heidekrautbahn war damals höchstwahrscheinlich nichts Besonderes.

Heute aber könnte sie es durchaus sein. Denn nach einem Bombentreffer auf eine Brücke während des Zweiten Weltkriegs fuhren die Müllzüge nicht mehr bis Klandorf. Eine zu DDR-Zeiten beschickte Deponie grenzt zwar an die alte Anlage an, sie selbst wurde jedoch nicht wieder genutzt. Auf einer Fläche von einem halben Fußballfeld liegt der Sondermüll der Erinnerung also vermutlich fast noch an der Oberfläche. Kersting will nun prüfen, ob die Deponie in die Denkmalliste aufgenommen werden muss - und fordert, bei allen weiteren Schritten eingebunden zu werden. "Wir sind schließlich das zuständige Fachamt." Mit dem hat Yaron Svoray bis heute noch nicht gesprochen "Hier muss gegraben werden", fordert er aber. Jugendliche aus Israel, Deutschland und anderen Ländern sollen die Fläche im kommenden Sommer unter fachkundiger Anleitung durchkämmen.

Eine löbliche Idee, sicherlich. Doch wer der Träger einer solcherart organisierten Spurensuche sein soll, ist noch völlig offen. Ebenso wenig gibt es ein Fachgutachten, woher die von Svoray gefundenen Gegenstände überhaupt stammen. Und das, obwohl Svoray bereits vor gut einem halben Jahr mit seinem Plan bei Uwe Schoknecht vorstellig wurde. Der 51-Jährige ist Bürgermeister der Gemeinde Schorfheide, zu der Klandorf 2003 hinzugeschlagen wurde.

"Er hat uns seine Projektidee vorgestellt", erinnert sich Schoknecht. "Wir fanden das interessant, haben dann aber lange nichts mehr von ihm gehört." Während Schoknecht noch auf schriftliche Projektskizzen aus Israel wartete, die nun an diesem Freitag eintreffen sollen, ging Svoray - kurz vor dem 70. Jahrestag der Pogromnacht - an die Öffentlichkeit. "Eigentlich hatten wir Stillschweigen vereinbart", ärgert sich der Bürgermeister. Svoray zog den boulevardesken Auftritt vor - und hinterließ allgemeine Ratlosigkeit.

"Es wurde immer gesagt, wohlhabende jüdische Bürger aus Amerika und Israel würden die Grabungen finanzieren", sagt Schoknecht etwas hilflos. Er scheint die jetzt wieder aufgetauchte Schicht der deutschen Geschichte so behandeln zu wollen wie jedes beliebige Projekt eines Investors. "Für ihn scheint das etwas zu groß zu sein", meint Svoray.

Für die naive Wortwahl von den "wohlhabenden jüdischen Bürgern" jedenfalls wird Uwe Schoknecht vor Ort sofort heftig kritisiert. "Wenn dort etwas untersucht werden muss, ist das nicht Aufgabe der Juden, sondern der Deutschen", sagt Kai Alexander Moslé. Der war selber Bürgermeister des Schorfheideortes Groß Schönebeck und ist Jude. Moslé ist noch unentschieden, was mit der Fläche passieren soll. "Man kann hier graben - oder es unseren Urenkeln überlassen." Der Sondermüll der Geschichte wird der Schorfheide auf jeden Fall noch lange bleiben.

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