Arte-Doku über Europas Identität: Selbstbewusstes "Wir"

Gemeinsame geistige Strömungen prägen das Bewusstsein der Menschen in Europa, wie eine Doku-Reihe auf Arte zeigt (ab Mittwoch, 21 Uhr).

Geschichte jenseits von Napoleon und Luther: Doku-Reihe "Wir. Bild: WDR / TagTraum Filmproduktion

Es geht auch ohne die üblichen Verdächtigen. Ohne Luther und Bismarck, Ludwig XIV. und Napoleon, um europäische Geschichte zu erzählen und die nationale trotzdem nicht außen vor zu lassen. Eine Koproduktion von arte, WDR, MDR und ORF macht es vor: Wir Europäer!

Diese sechsteilige Dokumentation lässt die deutschen Grenzen und den westeurozentrischen Ansatz, Geschichte zu schreiben, endlich hinter sich und schaut dafür auf den gesamten Kontinent - ohne sich dabei zu verzetteln. Denn was die Autoren Claus Bredenbrock, Carsten Günther, Wolf Biermann und Anne Roerkohl in jeweils einer Schulstunden-Länge von 45 Minuten erzählen, ist nicht ein politisch-korrekt gleichwertiges Aneinanderklatschen von Nationalgeschichten, keine Geschichte der großen und kleineren Männer. Sie extrahieren das, was Europa jenseits der bis heute strittigen geographischen Grenzen für sie ausmacht: gemeinsame geistige Strömungen, die das Bewusstsein der Menschen in Europa bis heute prägen.

Dazu zählen für sie die Vorstellung von Individualität und eigenständigem Denken, der Glaube an effektives, auf Gewinn ausgerichtetes Wirtschaften, die Vorstellung von konfessioneller Toleranz und der Machbarkeit friedlicher Konfliktlösung, der Glaube, dass die persönliche Freiheit des einzelnen unabdingbar ist, die Idee von der Freiheit der Nation und das durch das zerstörerische 20. Jahrhundert geschaffene Bewusstsein, dass Europa nur überleben könne, wenn das geistige Erbe permanent neu belebt werde. "Europa braucht immer wieder Menschen wie Jean Monnet, die sich leidenschaftlich dafür einsetzen", erklärte Dr. Klaus Wenger, Geschäftsführer von Arte Deutschland bei der Vorstellung des Projekts in Berlin.

Wer ist Jean Monnet? Einer der Gründerväter der Europäischen Gemeinschaft und einer der drei Persönlichkeiten, die die letzte Folge der Dokumentation vorstellt. Neben Reisen zu diversen Schauplätzen in Europa und der Präsentation von für Europas Geschicht(en) zentralen Original-Schriften - wie zum Beispiel die Anklage gegen Charles I. aus den Archiven des britischen Parlaments - ist dies eine der Stärken dieses ambitionierten Projekts: Sie wählt anderes Personal. Männer und Frauen, die Europa voranbrachten und eben nicht in Pariser Palästen residierten, auf deutschen Schlachtfeldern verbluteten und verreckten oder mehr als nur provokante Thesen an Kirchentüren hämmerten. Sei es Jan Hus, der schon im 14. Jahrhundert den Klerus wegen dessen Schwelgens im Reichtum bei weit verbreiteter Armut anprangerte und daraufhin selbst als Ketzer verbrannt wurde. Oder Olympe de Gouges, die schon vor und während der Französischen Revolution für die Freiheit der Frauen kämpfte und unter der Guillotine schließlich ihren Kopf verliert.

Diese Tele-Skizze einer europäischen Identität zeigt überzeugend und unterhaltend, wie viele bedeutende Persönlichkeiten jenseits des Mainstreams populärer Geschichtsschreibung à la Knopp noch zu entdecken sind und Europa auch zu dem gemacht haben, was es sein soll: ein selbstbewusstes "Wir". Mit Ausrufezeichen.

"Wir Europäer!" - Die ersten drei Folgen am Mittwochabend auf arte, 21 Uhr. Folgen vier bis sechs am Mittwoch, 26. November um 21 Uhr.

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