Junge, Junge!

COVER Wie Schlagerstar Heino einem Ärzte-Klassiker seine dokumentarische Wahrheit zurückgab

Als ich Anfang letzter Woche Heinos Cover des Ärzte-Klassikers „Junge“ zum ersten Mal hörte, war ich begeistert. Meine Begeisterung wurde vielleicht auch dadurch verstärkt, dass ich zwei Wochen lang vergeblich versucht hatte, Wolfgang Müllers 600-seitiges Buch „Subkultur Westberlin 1979–1989“ zu rezensieren. Einerseits fand ich das Buch, in dem es auch um Punk geht, sehr verdienstvoll, andererseits fehlte so vieles. So hatte sich plötzlich eine immer größere Abneigung gegen die achtziger Jahre entwickelt. An diesem Morgen hatte ich jedenfalls einen letzten Versuch unternommen und dann aufgegeben.

Dann hatte eine Freundin aus dem Techno-Umfeld „Junge“ von Heino gepostet, ich hatte es immer wieder mit wachsender Begeisterung gehört, es mit dem Original verglichen und die Heino-Version letztlich zeitgemäßer gefunden, auch weil man den großartigen Text besser versteht. Und weil es, von Heino gesungen, plötzlich etwas leicht Satanisches bekommt. Ein paar Tage bekam ich das Lied nicht mehr aus dem Kopf raus und zitierte meine Lieblingspassagen bei jeder Gelegenheit: „und wie du wieder aussiehst“, „elektrische Gitarren und immer diese Texte, das will doch keiner hör’n“, „und immer deine Freunde, ihr nehmt doch alle Drogen und ständig dieser Lärm“, „und du warst so ein süßes Kind und du warst …“

Nicht alle meine Freunde teilten meine Begeisterung. Nachdem ich Alan im Billardsalon dazu gebracht hatte, „Junge“ von Heino zu spielen, waren sie sogar etwas empört. Der Barmann, der Ende zwanzig ist, war dagegen auf meiner Seite und fand es bemerkenswert, dass Heino, den er wie viele für grenzdebil gehalten hatte, so was macht.

Am 31. Januar war Heino dann zu Gast bei Markus Lanz im ZDF. Thema der Sendung: „Wo beginnt Belästigung und was ist erlaubt“. Anfangs ging es um Brüderle, am Ende um Heinos Coup. Heino bemühte sich, nett über die von ihm Gecoverten zu reden. Nur einmal rutscht ihm ein „die denken immer noch, sie hätten so etwas Tolles gemacht“ heraus. Dann sagte er, er hätte bei „Junge“ an den Freddy-Quinn-Klassiker „Junge, komm bald wieder“ gedacht; die Sprecherposition der sich sorgenden Eltern wäre ja die gleiche. Interessant sind aber gerade die Unterschiede. Freddy Quinns Lied war 1963 so ein großer Erfolg, weil man an deutsche Soldaten denkt, deren Schicksal unklar ist. Der Junge aus dem Ärzte-Lied ist der Punk, den es nervt, dass seine Eltern, die im Nationalsozialismus und im Krieg aufwuchsen, ihn für ihre gestohlene Jugend verantwortlich machen.

Sich über gefärbte Haare etc. mit dem tatsächlich gebräuchlichen Spruch „willst du, dass wir sterben“ aufzuregen, ist ja eine ernste, üble Erpressung. Insofern gibt Heino, indem er in einem Punkt von dem Original der Ärzte abweicht, also nicht ironisch „willst du, dass wir ster’m“, sondern ganz ernst das „b“ mit singt, dem Lied seine dokumentarische Wahrheit zurück.

DETLEF KUHLBRODT