Vorschlag von Grünen-Chef Özdemir: Türkisch für Anfänger - Pro & Contra

Englisch, Französisch, eventuell Spanisch - der Sprachrahmen an deutschen Schulen ist eng. Sollte, wie Grünen-Chef Özdemir fordert, Türkisch dazukommen? Ein Pro & Contra.

"Yes We Cem": Özdemir macht auf Obama. Bild: dpa

PRO:

Schade, dass es nur eine äußert vorsichtig platzierte Idee ist. Sie einen Vorschlag zu nennen, wäre fast schon übertrieben. Schließlich fragte Cem Özdemir nur, warum denn an deutschen Schulen neben Englisch, Französisch, Spanisch und Russisch nicht auch mehr Türkisch unterrichtet werde. Dabei wäre die Idee mindestens einen Vorschlag, wenn nicht sogar eine Änderung im Rahmenplan wert. Türkisch würde endlich mehr als ein Nischen- und AG-Angebot sein - und das wäre nur von Vorteil für die Schüler und das Lernen insgesamt und die viel beschworene Integration im Speziellen.

Bis jetzt kommt der Schulunterricht kaum über die indogermanischen Sprachen hinaus. Englisch, Französisch, Spanisch - alles bleibt in der gleichen Sprachfamilie. Was für eine sprachkulturelle Erweiterung wäre eine altaische Sprache, die auch den Fokus weiter nach Osten öffnen würde. Da mit einer Sprache zugleich eine Kultur vermittelt wird, könnte die Konzentration auf West- und Mitteleuropa endlich aufgebrochen werden.

Wer Türkisch auf breiter Ebene in die Schulen trägt, wertet die Sprache auch im Bewusstsein der Bevölkerung auf - von einer Sprache, die zu Hause und auf der Straße gesprochen wird und in einigen Einrichtungen sogar auf dem Schulhof nicht erwünscht ist, zu einer Sprache, die es wert ist, gelernt und gesprochen zu werden. Das lässt plötzlich auch in den Schulen ganz neue Lernformen zu: Was bislang die deutschen Muttersprachler ihren Mitschülern, die mit Türkisch aufgewachsen sind, voraus hatten, gilt dann umgekehrt. Muttersprachler können den Deutschen ihre Sprache nahebringen - etwas, das bei Englisch und Französisch an Schulen viel zu selten der Fall ist.

Und, ganz ehrlich: Wo sollte man die Sprache fördern, wenn nicht in der Schule? Wer einmal eine Sprache begonnen hat zu lernen, vergisst nie wieder alles. Der Grundstein ist gelegt, wenn nicht immer für das Sprechen, zumindest aber für das Verstehen. Noch besser wäre es natürlich, die Länder würden auch kostenlose Kurse für Erwachsene anbieten. Schließlich hat Integration grundsätzlich zwei Seiten.

SVENJA BERGT

CONTRA:

Türkisch als Fach an deutschen Schulen? Es gibt Wichtigeres! Allein Studien über die mangelnde Lesefähigkeit deutscher Schüler selbst am Ende ihrer Grundschulzeit sind alarmierend genug, um neue bildungspolitische Konzepte dringender denn je zu fordern. Nicht hinnehmbare Defizite in Kernkompetenzen wie Deutsch, Mathematik und Naturwissenschaften müssen so rasch wie möglich beseitigt werden.

Der Anspruch an deutsche Stundenpläne muss allerdings noch weiter gehen. Jeder Schüler und jede Schülerin muss in mehrfacher Hinsicht fit fürs Leben sein: sowohl körperlich als auch als homo oeconomicus. Jeder sollte zum Beispiel wissen: Wie haushalte ich mit meinem Geld, um ohne Schulden klar zu kommen? Was kann ich brutzeln und backen statt dauernd vor die Fastfoodtheke zu schlurfen. Kurz: lieber zwei Stunden "Lebenskunde" als zwei Stunden "Türkisch".

Der integrative Effekt von Schulsport oder gemeinsamem Musizieren anstelle von Türkischunterricht ist ebenso wenig zu unterschätzen: Zur Sensibilisierung für den eigenen Körper, für den gesellschaftlichen Anspruch von Fair-Play und Zusammenspiel. Stundenpläne zugunsten dieser Bereicherungen für alle umzubauen, ist weitaus nötiger als symbolische Anerkennung einer Sprache, die an den allermeisten Schulen immer noch eine klare Minderheit spricht. Der Wunsch von deutschen Schülern, Türkisch in der Schule zu lernen, wird sich - wenn überhaupt - auch weiterhin nur lokal äußern, etwa in Berlin-Neukölln. Denn anders als Englisch und Spanisch ist Türkisch keine Weltsprache und wird es auch nicht werden. Wer den Ehrgeiz hat, Türkisch zu lernen, wird andere Wege finden.

Als Botschaft der gleichwertigen Anerkennung der türkischen Sprache und vor allem der Türkischsprechenden in Deutschland mag die Institutionalisierung von Türkisch als Schulfach ein wichtiger integrationspolitischer Schritt sein. Er ist jedoch nicht so nötig wie das Anheben des allgemeinen Bildungsniveaus. Wichtiger als die Fähigkeit, auf Türkisch miteinander reden zu können, bleibt schlicht eine Praxis des Respekts.

FELIX RETTBERG

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