Kommentar Treffen der Exiltibeter: Hoffen auf chinesische Demokratie

Die Gespräche zwischen China und dem Dalai Lama gelten als gescheitert. Einige Tibeter könnten sich von ihrem geistigen Führer und dem Dogma der Gewaltlosigkeit abwenden.

Hat der Dalai Lama versagt? Seit China Anfang November die Gespräche mit den Vertretern des Dalai Lama für "gescheitert" erklärt hat, werden düstere Szenarien vom Tibet-Konflikt gezeichnet. Dabei ist bei den Gesprächen in Peking kaum etwas Unerwartetes passiert. Viele Tibeter und Tibet-Unterstützer haben von Beginn an gewarnt, dass diese Gespräche nur ein strategischer Schachzug waren. Peking hatte sie aufgenommen, kurz nachdem es vom IOC die Spiele für 2008 zugesprochen bekommen hatte; mit dem Abschluss der Spiele hatten sie ihre Bedeutung für die chinesische Führung verloren. Der Dalai Lama und die tibetische Regierung im Exil haben - sicher auch aus Mangel an Alternativen - die Dialogbereitschaft der chinesischen Führung überschätzt.

Was folgt daraus für die Exil-Tibeter? Resignation? Verzweiflung? Gar Militanz? Die Bereitschaft der Tibeter zu militanten Protestformen sollte nicht unterschätzt werden, das gebietet schon ein Blick in die tibetische Geschichte. Die strikte Gewaltfreiheit des Dalai Lama ist schließlich nur ein Teil ihres Erbes. Nach dem Einmarsch der Volksbefreiungsarmee in Tibet 1950 erhob sich im Osten rasch militärischer Widerstand; die spontanen und unkoordinierten Aktionen mündeten schließlich 1957 in der Gründung der Guerillatruppe Chushi Gangdruk.

Ende der Fünfzigerjahre beherrschten die Kämpfer, die von der CIA unterstützt wurden, große Teile im Süden des Landes. Ihnen hat es der Dalai Lama zu verdanken, dass er im März 1959 aus Tibet fliehen konnte. Später zog sich die Guerilla ins abgelegene nepalesische Hochtal Mustang zurück, von wo sie bis 1974 Übergriffe auf chinesische Einrichtungen in Tibet unternahm. Erst als der Dalai Lama die Krieger bat, ihren Kampf einzustellen, legten sie die Waffen nieder.

Schon im alten Tibet war Gewaltfreiheit nicht die Norm. König Tritson Detsen aus dem späten 8. Jahrhundert gilt bis heute als größter Förderer des Buddhismus im Lande, er ging gleichzeitig als erfolgreichster Kriegsherr in die tibetische Geschichte ein; unter seiner Herrschaft erlangte Tibet seine größte Ausdehnung. Nun ist kein Tibeter heute so vermessen, dass er von einem neuen Guerillakrieg träumt. Jene, die den gewaltfreien Weg für eine Sackgasse halten, glauben vielmehr, dass gezielte militante Aktionen gegen chinesische Einrichtungen oder Repräsentanten dazu beitragen könnten, politisch ernst genommen zu werden. Zum Vergleich wird dabei auf das Beispiel der Palästinenser, Kurden oder Osttimoresen verwiesen.

Der Dalai Lama lehnt das aus grundsätzlichen und strategischen Gründen ab. Er setzt zwar nicht mehr viele Hoffnungen auf die chinesische Führung, dafür auf das chinesische Volk: Wandel in Tibet könne es nur geben, wenn sich auch China in Richtung Demokratie verändere. Allerdings ist unklar, ob diese Rechnung aufgeht. Schon die friedlichen Pro-Tibet-Demonstrationen im Vorfeld der Olympischen Spiele haben in China schließlich zu einer erschreckenden nationalen Mobilisierung gegen die Tibeter geführt. Offene Gewalt würde deshalb nur der chinesischen Führung nützen, denn dann könnte sie Tibet - wie schon die Uiguren - als "Terrorismusproblem" abhandeln.

Militante Aktionen gegen die Volksrepublik waren deshalb auch kein Thema beim jüngsten Treffen der Exiltibeter in Dharamsala, auf dem es um die Perspektiven des tibetischen Kampfes ging. Viel diskutiert wurde jedoch über das Ziel des Kampfes. Da der Dalai Lama mit seinem Entgegenkommen nichts erreicht hat, mehren sich die Stimmen, die wieder die Unabhängigkeit statt "echter Autonomie" fordern. Damit verbunden ist die Bereitschaft zu provokant-gewaltfreien Aktivitäten im Sinne Mahatma Gandhis - etwa einen Marsch nach Tibet, der bislang nicht nur von der indischen Polizei, sondern auch von der tibetischen Exilverwaltung und dem Dalai Lama als "zu provokativ" abgelehnt wird.

Derartige Initiativen fanden - noch - keine Mehrheit in Dharamsala. Aber die Neuorientierung der Tibeter, die in den nächsten Monaten konkrete Formen annehmen wird, stellt nicht nur die chinesische Führung vor neue Herausforderungen, die allein mit Repression nicht zu lösen sind. Auch die Weltgemeinschaft ist gefordert, denn ihr Versagen hat die tragische Entwicklung begünstigt.

Wie man alles falsch machen kann, was falsch zu machen ist, demonstrierte Frankreichs forscher Präsident Nicolas Sarkozy als EU-Ratspräsident. Unter dem Eindruck der brutalen chinesischen Reaktion auf Proteste in Tibet erklärte er im März, die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele zu boykottieren. Offenbar erschrocken über seinen eigenen Mut, ruderte er einige Wochen später zurück, nicht ohne den Versuch, dabei sein Gesicht zu wahren: Er werde dann zur Eröffnungsfeier fahren, wenn die Gespräche zwischen den Vertretern des Dalai Lama und der chinesischen Führung greifbare Fortschritte brächten. Dabei spekulierte er darauf, dass Peking kurz vor den Spielen ein paar Konzessionen gewähren würde. Weit gefehlt - die chinesischen Partner waren noch nicht einmal bereit, eine gemeinsame Erklärung herauszugeben, so dass die Tibeter über "eines der schwierigsten Gespräche" überhaupt klagten, zudem wurde die Zusammenkunft von heftiger Kritik am Dalai Lama begleitet.

Gemessen am eigenen Maßstab fehlte für eine Teilnahme des EU-Ratspräsidenten an der Eröffnungsfeier also jede Grundlage. Doch Sarkozy scherte sich nicht mehr um sein Gerede von gestern, sondern erklärte nur noch, die EU könne es sich nicht leisten, China zu isolieren. Damit nicht genug. Um dem Vorwurf zu begegnen, vor Peking auf die Knie zu gehen, versicherte der französische Präsident, er werde den Dalai Lama empfangen, wenn der sich Ende August zu Besuch in Frankreich aufhalte. Nach heftigen chinesischen Protesten sah Sarkozy auch davon ab und ließ sich durch seine Frau Carla Bruni vertreten. Bei so viel Kotau wollte auch Gordon Brown offenbar nicht nachstehen. Dieser Tage kündete er die Ergebnisse der Konferenz von Simla aus dem Jahre 1913 offiziell auf. Damals hatte Großbritannien Tibet einen besonderen Status zugestanden.

Ist es da überraschend, wenn China Europa nicht mehr ernst nimmt? Dabei ist es langfristig nicht nur im Sinne Tibets, sondern auch im Sinne Europas, der chinesischen Führung selbstbewusst entgegenzutreten. Dazu gehört es, Tibet als politischen Konflikt wahrzunehmen, bei dem es um ein ungelöstes Nationalitätenproblem geht - vergleichbar mit Palästina und Kurdistan - und nicht nur um Religionsfreiheit und kulturelle Autonomie. Tibetische Stimmen müssen deshalb gehört werden. So sollte der Vorschlag wieder aufgegriffen werden, den Dalai Lama auf einem Treffen der EU-Außenminister zu empfangen. Auch die Einsetzung eines EU-Tibetbeauftragten wäre ein Signal an Peking, sich in der Tibetfrage zu bewegen. Denn noch bildet die Position des Dalai Lama Perspektiven für eine Lösung, bei der alle ihr Gesicht wahren können.

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