Neues US-Onlinemagazin: "Sensibility, Darling!"

Die Starjournalistin Tina Brown macht ein neues Onlinemagazin. Zähmt sie nach "Vanity Fair" und dem "New Yorker" nun das Internet? Ein Porträt

In New York unterwegs: Tina Brown Bild: ap

Zehn Jahre nach Lady Dianas Tod 1997 erschien Tina Browns Biografie der Prinzessin, die sie eine Freundin nannte. Am Ende des Buchs steht eine lange Danksagung, in der Brown unter anderem ihrem Mann, den beiden Kindern, ihrem Agenten und Tony Blair dankt, der "so freundlich" war, sie zu empfangen und ihr "seine Sicht auf das Thema Diana zu vermitteln".

Tina Brown ist auch deshalb eine der erfolgreichsten Journalisten des englischsprachigen Raums, weil sie ein außergewöhnliches Talent dafür hat, Leute zu kennen. Leute kennen ist sozusagen die Grundidee ihres journalistischen Stils. Würde man einmal denjenigen einen Prozess machen, die die Personalisierung und Skandalisierung gegenwärtiger Medienberichterstattung zu verantworten haben, Tina Brown säße mit Sicherheit auf der Anklagebank.

Seit Oktober 2008 ist sie Chefredakteurin des neuen Onlinemagazins The Daily Beast, eines der wenigen Magazine, die ausschließlich im Netz zu lesen sind. The Daily Beast funktioniert wie ein Filter für die Inhalte, die das Internet täglich hervorbringt. Die Redaktion wählt das in ihren Augen Wesentliche aus, das sind Themen aus Politik, Unterhaltung und Kultur, stellt Links und Videos zusammen und produziert außerdem eigene Essays und Interviews. Und viele haben The Daily Beast deshalb gebookmarkt, weil auf der Seite auch Prominente Texte beisteuern: In der Rubrik Buzz Board schreiben "Freunde", was sie in letzter Zeit gern gehört, gemacht, gelesen haben (Scarlett Johansson empfiehlt das neue Album von TV on the Radio, Ivanka Trump eine Zugreise durch Peru, Bill Clinton ein Buch über die Geschichte der Sklaverei in Amerika).

"You dont make friends, you make contacts", soll Tina Brown gesagt haben, als sie 1983 nach New York kam. Bis dahin war sie Chefredakteurin des Magazins Tatler in London gewesen. Nachdem die Auflage um ein Vierfaches gestiegen war, wurde das Magazin von der Verlagsgruppe Condé Nast gekauft, und der Verleger Si Newhouse machte die 30-jährige Britin erst zur Beraterin, dann zur Chefredakteurin der ebenfalls zur Gruppe gehörenden Vanity Fair in New York. Von 1992 bis 1998 schließlich war Brown Chefredakteurin des Condé-Nast-Wochenmagazins The New Yorker.

Ob sie wirklich gesagt hat, dass Kontakte ihr wichtiger seien als Freundschaften, lässt sich nicht feststellen; aber der Satz wird oft zitiert, wenn von Tina Brown die Rede ist, und sagt zumindest viel darüber aus, welches Bild man von ihr hat: gefühllos und vom Ehrgeiz zerfressen. Sicher werden Frauen, die ehrgeizig sind, schnell als zu ehrgeizig bezeichnet. Tina Brown sieht zudem ein bisschen aus wie ihre Freundin Lady Di, sie ist blond, schlank und irgendwie upper class - sie beginnt ihre Sätze oft mit dem Wort "darling" und heißt eigentlich Lady Evans (sie ist seit 27 Jahren mit dem britischen Journalisten Sir Harold Evans verheiratet).

Aber dass Tina Brown Misstrauen weckt, dafür gibt es noch einen anderen Grund. Sie hat innerhalb weniger Jahre fast im Alleingang den Journalismus umgekrempelt. Schwindelerregende Honorare für Fotografen und Autoren, Starjournalisten, die Vermischung der Genres - diese Ideen, die in den Zwanzigerjahren den Ruhm der Vanity Fair begründet hatten, belebte sie wieder und brachte sie zum Erfolg. Als sie die Chefredaktion des New Yorker übernahm, eine Institution des amerikanischen Kulturbetriebs, warf sie 50 Angestellte hinaus und stellte 79 neue ein. Denen, die diese Veränderung schmerzte, entgegnete sie: "Das ist doch Snobismus, diese Leute, die sagen: Sie hätten Südfrankreich mal sehen sollen, als es noch die kleinen Fischerdörfer gab. Den 50.000 Zeichen langen Text über Zink - hat das jemand wirklich gelesen?"

Vanity Fair dagegen lasen die Agenten in Hollywood ebenso aufmerksam wie die Pressebüros in Washington. Vorne im Heft konnte eine Geschichte über Demi Moore stehen und hinten ein investigativer Bericht über die Lobby der Tabakindustrie. In den Siebzigerjahren hatte Tina Brown als Reporterin für das Londoner Magazin Punch gearbeitet. Sie schrieb sensible, originelle Stücke über eigentlich Geistloses: eine Verabredung mit einem Gigolo, sie als Go-go-Tänzerin für eine Nacht. Sie bediente die Sensationslust derer, die einen ausgesuchten Geschmack haben, und man könnte sagen, dass sie bei dieser Methode geblieben ist.

Der Chefredakteurin Tina Brown ging es nie um Nachrichten, sondern um Geschichten. So hob sich die journalistische Regel, dass ernste und weniger ernste Themen streng getrennt diskutiert werden müssen, von selbst auf: Das Wichtigste war das menschliche Drama, nicht das Thema. Diejenigen, die schrieben, und diejenigen, über die geschrieben wurde, standen im Mittelpunkt. Neben den Namen der Stars prangten auf dem Cover in großer Schrift die Namen der Autoren, als wären auch sie selbst Stars, bis sie schließlich Stars waren.

Jetzt wendet sich Tina Brown, ein "print girl", wie sie sich nennt, dem Internet zu. Sie verließ den New Yorker, um für Miramax das Magazin Talk zu machen, das nach nur zwei Jahren eingestellt wurde, weil es Millionen Verlust machte. Brown hatte noch eine Talkshow im US-Fernsehen, die 2005 abgesetzt wurde, damit, so hieß es, sie sich auf ihre Diana-Biografie konzentrieren könne. Das Glück schien Brown verlassen zu haben. Macht sie deshalb jetzt Internet: weil es weniger kostet, weil ihr niemand mehr Geld gibt? Vielleicht. Aber es könnte auch eine andere Erklärung geben: Im Internet, in den Blogs, wurde in den letzten Jahren die Personalisierung des Journalismus, zu der Tina Brown einiges beitrug, noch vorangetrieben. Irgendwo saß jemand vor seinem Notebook, allein, ohne Newsticker und Rolodex, und schrieb, wie er die Welt sah. Garagenpunks, hat Peter Praschl gesagt, einer der ersten Blogger damals: "Ein paar merkwürdige Typen, die bei sich zu Hause auf billigen Instrumenten schnell ein paar dreckige Seiten zusammenhauen. Hört sich oft nicht gut an, hört sich aber rau an, hört sich cool an, hört sich Scheiß drauf an." Der subjektive Blick, das wollte der amateurhafte Gestus auch sagen, ist der interessantere.

Heute sitzen Blogger nicht mehr allein mit sich und ihrem Notebook in der Garage. Sie bloggen für Unternehmen, oder, anders gesagt, heute haben die professionell gemachten Medien den emphatischen Ton der Blogs übernommen und für ihre Interessen formatiert. The Huffington Post ist so ein professionalisierter Blog, und jetzt auch The Daily Beast: pünktlich und schnell, der Ton ist mal witzig und ironisch, mal ernst und emotional, die Themenauswahl ist eigen und kümmert sich nicht um Vollständigkeit. Auf die Frage, was The Daily Beast ausmacht, sagt Tina Brown in einem Interview: "Sensibility, darling."

Dem Internet ist eben das Anarchische und Utopische schon lange verloren gegangen. Das klingt nostalgischer, als es gemeint ist. Ich selbst bin erst 1998, dem Jahr, in dem ich Abitur gemacht habe, zum ersten Mal im Internet "gesurft", wie es damals hieß. Und das mit den Blogs habe ich auch erst mitbekommen, als es schon wieder vorbei war. Für mich konnte das Internet nichts Utopisches haben, aber für viele andere, zum Beispiel Tim Berners Lee, einen der Erfinder des World Wide Web, der inzwischen acht Ehrendoktortitel hat, dessen Traum aber nicht in Erfüllung gegangen ist, dass im Internet jeder jederzeit gleichberechtigt Inhalte gestalten könne.

Seiten wie The Daily Beast sind zwar im blogartigen Ton verfasst, richten sich aber an ein größeres Publikum. Sie bringen Ordnung ins wilde Internet, weil sie sortieren und entscheiden, was im Netz relevant ist und was nicht. "Read this, skip that" heißt der Claim. "Wir sind wie der Freund, der immer alles mitkriegt, immer die besten Geschichten hört und einem die Links mit einem geistreichen Kommentar weiterleitet", sagt Brown in einer Einführung auf der Website.

Tatsächlich ist die Seite selbst übersichtlich wie kaum eine andere Magazinwebsite. Zwischen den Texten ist viel weiß, was der Seite eine ruhige Anmutung gibt. Selbst die Werbung passt rein. Man blättert in den einzelnen Textblöcken um, sodass man sich nicht, wie auf so vielen anderen Websites, fahrig durch ganze Seiten klickt. Den frustrierenden Zurück-Button muss man eigentlich nie klicken. Bei so viel Ruhe im Design ist es durchaus möglich, längere Texte zu lesen. Auch der inhaltliche Aufbau der Seite ist nachvollziehbar. Die Themen sind allein nach Format geordnet: kürzere wie das Cheat Sheet, das zu den wichtigsten Nachrichten des Tages je einen Link bringt und kommentiert, sodass viele Besucher wahrscheinlich nur den kurzen Vorspann lesen und den Link gar nicht anklicken. Daneben gibt es die größeren Formate wie die Big fat story, eine Art Dossier mit Fotos und kommentierten Links zu einem aktuellen Thema, und die längeren Texte in der Rubrik Blogs & Stories (über Oprah Winfrey, Laura Bush, die Autoindustrie, über Barack Obamas Justizminister, über die Art Basel).

Mit The Daily Beast wird das Internet ein bisschen hübscher, ein bisschen übersichtlicher, und viele langweilt genau das bestimmt zu Tode. Aber ich zum Beispiel habe mir immer einen Freund gewünscht, der an mich denkt und mir lustige und interessante Links schickt. Deshalb sehe ich, wenn ich morgens meinen Kaffee trinke, ganz gern nach, was es auf thedailybeast.com gibt. Aber ich, das muss ich zu bedenken geben, bin totaler Mainstream.

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