Debatte LKW-Maut: Mehr Mut bei der Maut!

Auf Europas Straßen nimmt die Zahl der Lkws zu, weil der Transport per Bahn zu teuer ist. Dabei zeigt die Schweiz, wie die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene gelingt.

Nicht nur vor Weihnachten- auch an gewöhnlichen Tagen bieten die deutschen Autobahnen einen traurigen Anblick: Rechts reiht sich ein Lkw an den anderen, bei dreispurigen Autobahnen bilden Laster bereits eine eigene Standspur. Der Güterverkehr auf deutschen Straßen ist von 1991 bis 2002 um fast 45 Prozent gestiegen - und die Prognosen weisen steil nach oben: Bis 2020 rechnet die EU-Kommission mit einem weiteren Zuwachs von 55 Prozent. Das stetige Anwachsen des Verkehrs ist schon lange kein Zeichen mehr für eine boomende Wirtschaft. Im Gegenteil: Die Dauerstaus sind zu einem ernsthaften Wachstumshemmnis geworden.

Die Lkw-Lawine auf Europas Straßen kommt uns teuer zu stehen. Unfälle, Luftverschmutzung, Lärm und Klimawandel kosten Milliarden - doch Wirtschaft und Spediteure kommen trotz Mineralölsteuer und Lkw-Maut nur für einen Bruchteil dieser Summe auf. So kostet ein 40-Tonner auf der Straße nach Berechnungen des Schweizer Instituts Infras die Gesellschaft pro gefahrenen Kilometer 63 Cent; Klimafolgen und Unfälle schlagen mit 23 Cent pro Kilometer zu Buche. Allein in Deutschland summieren sich die Kosten des Güterverkehrs damit auf knapp 12 Milliarden Euro jährlich.

Der Güterverkehr sorgt zudem dafür, dass die CO2-Emissionen nicht abnehmen und die Bekämpfung des Klimawandels in Europa kaum vorankommt. Zwar haben Industrie und andere Sektoren ihre Klimagase seit 1990 um 10 Prozent reduziert - aber der Verkehr bläst seitdem 30 Prozent mehr in die Atmosphäre. Das wird auch so bleiben, solange es sich finanziell lohnt, die in Skandinavien gefangenen Krabben per Laster zum Pulen nach Marokko zu verfrachten, bevor sie dann in den Restaurants von London oder Stockholm serviert werden.

Die Politik geht das Problem nur zaghaft an. Deutschland hat seine Lkw-Maut moderat erhöht, während die EU ihre sogenannte Regelung der "Eurovignetten" neu gestalten will. Das soll es den Mitgliedsstaaten erlauben, endlich auch Folgekosten des Lkw-Verkehrs bei der Mauthöhe einzurechnen. Doch bereits diese (viel zu) leichte Medizin gegen den drohenden Verkehrsinfarkt stößt auf Widerstand. In den Chor, der vor immer neuen Belastungen für die Spediteure warnt, reihen sich europaweit vor allem konservative Politiker ein. Sie warnen vor einem "unfairen Wettbewerb".

Wie unfair der Wettbewerb in der Tat ist, dazu schweigen sie. Denn die Verhältnisse, die wir heute vorfinden, machen die Straße billig - und die Schiene teuer. Eine EU-weit verbindliche Maut, in ihrer Höhe unbegrenzt, gibt es schließlich bereits - allerdings nicht für Laster, sondern für die Bahn. Das umweltfreundlichste Verkehrsmittel muss, so schreibt es die EU seit Jahren vor, in Form der Trassenpreise für jede Lokomotive auf jedem Streckenkilometer eine Maut abführen. Für den Diesel muss sie Mineralölsteuer zahlen, durch den Stromkauf ist sie in den Emissionshandel einbezogen.

Für den Lkw-Verkehr leisten sich die EU und ihre Mitgliedsstaaten im Vergleich dazu eine Reihe von Privilegien: Eine Maut gibt es vielerorts nicht - und wenn, dann ist sie auf Autobahnen beschränkt und gilt nur für Lkws ab 12 Tonnen. Damit ganz Europa seine Güter billig durch Österreichs enge Täler transportieren kann, hat die EU die Mauthöhe in Europa durch ein Limit begrenzt. All das macht es der Bahn schwer, mit anderen Verkehrsträgern zu konkurrieren. Die Airlines zum Beispiel tanken ihr Kerosin steuerfrei und sind - als Klimasünder Nr. 1! - bisher noch vom CO2-Emissionshandel befreit. Eine Maut zahlen die Airlines nur für Flüge über Sibirien. Darüber hinaus erheben die Staaten keine Mehrwertsteuer auf internationale Tickets. Auch die Binnenschifffahrt kennt keine Trassenpreise, zudem ist sie von der Mineralölsteuer befreit. Und selbst die Hochseeschifffahrt kennt keine Emissionsgrenzen. Dabei verbrennt ihre Flotte Schweröl, ein Abfallprodukt der Rohölproduktion, und ist mit Müllverbrennungsanlagen ohne Schadstofffilter zu vergleichen.

Auch was Spediteure und Wirtschaft für den Transport auf der Straße bezahlen, liegt deutlich unter den realen Kosten. Den 12 Milliarden Euro, die allein in Deutschland jedes Jahr anfallen, stehen gerade einmal 3,3 Milliarden Euro an Einnahmen aus der Lkw-Maut gegenüber. Den Rest zahlen die Steuerzahler, Sozialversicherungssysteme und nicht zuletzt die Umwelt.

Um das zu ändern, hatten Europäisches Parlament und Rat die EU-Kommission schon 2005 verpflichtet, bis spätestens Juli 2008 ein Modell zur Bewertung aller externen Kosten "einschließlich der Umwelt-, Lärm, Stau- und Gesundheitskosten" vorzuschlagen. Damit soll zumindest der unfaire Wettbewerb zwischen den Verkehrsträgern beendet werden. Der Vorschlag des italienischen EU-Kommissars Antonio Tajani wird dieser Forderung jedoch nicht gerecht. So sollen Unfallkosten und Klimawandel gar nicht, Lärmemissionen nur gering berechnet werden. Damit würden die Kosten des Lkw-Verkehrs größtenteils auch künftig die Steuerzahler und die Umwelt tragen. Europas Spediteure haben sich mal wieder durchgesetzt.

Hauptproblem des Entwurfs ist erneut, dass er bei der Mauthöhe so wenig Mut zeigt. Anders als bei der Bahn soll es für die Straßenmaut weiterhin ein Limit geben. So darf ein Staat die externen Kosten nur bis zu einer Höhe von maximal 25 bis 30 Prozent anrechnen. Für den Lärm etwa, den EU-Experten auf 20 Cent pro Kilometer bemessen, dürfen höchstens 2 Cent aufgeschlagen werden. Ein Kardinalfehler der Eurovignette bleibt ihre Freiwilligkeit. So ist zum Beispiel die "Maut" für die Bahn in der Slowakei doppelt so hoch wie in Deutschland, der Lkw-Transport hingegen umsonst. Und in Spanien sind die mit EU-Geldern gebauten Autobahnen quasi leer, während sich die Lkws auf den parallel verlaufenden Nationalstraßen stauen, denn die sind mautfrei.

Die Schweiz hat der EU gezeigt, wie die Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene gelingen kann. Die Straßenmaut ist dort viermal so hoch wie in Deutschland und gilt dort auf allen Straßen und für alle Lkws. Die Einnahmen daraus werden in die Modernisierung der Schienenwege investiert - und in die Lärmreduzierung von Güterwagen. Damit die Effekte dieser Milliardeninvestition nicht verpuffen, wurde für alle quer durch die Alpen verlaufenden Autobahnen ein Baustopp verfügt. Zudem herrscht am Wochenende und in der Nacht ein Lkw-Fahrverbot.

Das hat den gewünschten Erfolg gebracht: Vor Einführung der Maut fand der Mineralöltransport zu 70 Prozent auf der Straße statt - heute zu 70 Prozent auf der Schiene. Der Verkehr hat sich nicht von den Autobahnen auf die Landstraßen oder von großen auf kleine Lkws verlagert. Aufgrund des effizienteren Straßengüterverkehrs stiegen die Kosten für die Verbraucher nur um 0,5 Prozent. Würde EU-Kommissar Tajani von den Eidgenossen lernen, könnte er in Brüssel ein Erfolgsrezept präsentieren.

MICHAEL CRAMER

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