Debatte Nahostkonflikt: Die innere Spaltung

Im Nahostkonflikt steht der deutsche Zentralrat der Juden hinter der Regierung Israels. Deutsche Medien reproduzieren das - und geben anderen Stimmen zu wenig Raum.

Wer als Laie die deutschen Medien konsumiert, um mehr über den Nahostkonflikt zu erfahren, könnte den Eindruck gewinnen, Israel sei ein Land, in dem überwiegend Überlebende des Holocausts leben sowie junge, mit einer Uzi bewaffnete Soldatinnen, die in ihrer Tasche ein Buch von Amos Oz tragen und in Orangenhainen nach "Arabern" suchen. Wer schon einmal in Israel und Palästina war, der weiß, wie weit dieses Bild von der Realität entfernt ist. Der Kibbuz ist schon lange tot, die Orangenhaine wurden entwurzelt, und anstelle der Uzi sind modernere und leichtere Waffen getreten. Und Amos Oz spricht sich auf Hebräisch für den Krieg aus, und wird in Deutschland als "Friedensaktivist" mit Preisen bedacht.

Dass manche Leser, die es besser wissen, hinter diesem Zerrbild von Israel, das die meisten deutschen Medien zeichnen, "jüdische Propaganda" am Werk sieht, kann nicht überraschen: Immerhin leben wir in einer Gesellschaft, die ihre antisemitischen Ressentiments nur verdrängt, nicht überwunden hat. Der Zentralrat der Juden in Deutschland spielt diesem Irrglauben noch in die Hände. Während des Gaza-Angriffs betätigte er sich, wie schon im Libanonkrieg 2006, als Pressesprecher der israelischen Regierung: mit Aufrufen, an Solidarität-mit-Israel-Demos teilzunehmen, bis hin zu Zeitungsanzeigen. Andere schickten Mails mit Anti-Hamas-Filmen herum. Dass die israelische Botschaft so etwas betreibt, ist verständlich: Dafür werden ihre Mitarbeiter bezahlt. Dass eine Jüdische Gemeinde dabei mitmacht, liegt jenseits ihrer selbsterklärten Aufgaben.

Die traurige Wahrheit ist, dass es kaum noch Juden in Deutschland gibt. Zwar wird jede neue oder renovierte Synagoge gefeiert, als ob tausende der ermordeten deutschen Juden Deutschlands wiederauferstanden seien. Aber häufig versammeln sich dort zum Gebet nicht einmal jene zehn Männer, die dafür dem Gebot nach nötig wären. Die meisten der rund hunderttausend Juden, die heute hierzulande leben, stammen aus der ehemaligen Sowjetunion. Viele kamen, weil sie sich hier gegen den Nachweis einer jüdischen Oma ein besseres Leben erhofften.

Das Programm der "Jüdischen Kulturtage", die die Jüdische Gemeinde in Berlin jedes Jahr veranstaltet, spiegelt diese Realität: Auf einen Holocaustüberlebenden, der seine Geschichte erzählt, und eine Musikgruppe, die Mendelssohn spielt, kommen zehn Tanz-, Theater- und Musikaufführungen aus Israel. So sieht die deutsch-jüdische Gegenwart heute aus: Die deutschen Juden geben das Geld, die Israelis liefern den Inhalt. Und dieser Inhalt ist nationalistisch gefärbt.

Die jüdische Gemeinde in Deutschland hat eine große Tradition. Doch selbst Ignaz Bubis, der sich als Deutscher verstand, wünschte, in Israel begraben zu werden. Auch Michel Friedman bezeichnet Israel als seine "geistige Heimat", wobei Deutschland seine körperliche Heimat zu sein scheint. Auch damit verkörpert er die innere Spaltung, die viele deutsche Juden empfinden.

Es ist traurig, dass der deutsche Zentralrat der Juden heute ein Judentum predigt, dass so sehr dem nationalistischen Judentum gleicht, das in Israel propagiert wird. Dieses nationale Judentum ist an die Stelle eines geistigen Judentums getreten. In den Synagogen sprechen die Prediger ihre Gemeinde mit "wir" an, wobei dieses "wir" für "israelische und deutsche Juden" steht. Kürzlich meinte ein Sprecher einer Berliner Synagoge am Ende eines Freitagsgebets, er sei froh, der Gemeinde mitteilen zu können, Israel habe sich nicht zur Kapitulation entschlossen und die UNO-Resolution zum Waffenstillstand abgelehnt. Was wäre wohl passiert, wenn ein Prediger in einer Moschee das über die Hamas gesagt hätte?

In den jüdischen Schulen, die mit israelischen Fahnen und den Porträts israelischer Staatspräsidenten dekoriert sind, werden die zionistischen Gedenk- und Feiertage gefeiert. Und jeden Freitag wird dort Geld für Organisationen gesammelt, die palästinensisches Land enteignen. Dabei können die Juden, die hier leben, eigentlich gar keine Zionisten sein, weil Zionist per Definition nur der ist, der Israel zu seiner leiblichen Heimat macht - und zwar zu Lebzeiten.

Auch wenn viele deutsche Juden das anders sehen dürften: Die meisten Medien in Deutschland verbreiten im Nahost-Konflikt die israelische Position. Andere Stimmen dagegen werden in den deutschen Medien ignoriert. Eine Gesprächsrunde zu Gaza mit Daniel Barenboim und Sumaya Farhat-Naser bei Anne Will wurde abgesagt. Ein TV-Interview, das zwei Mitglieder der "Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost" dem RBB gaben, wurde nie gesendet. Die Liste ließe sich verlängern.

Dabei wäre es doch ratsam, die Vielfalt jüdischer Ansichten zu reflektieren, wenn man sich wirksam gegen Antisemitismus einsetzen will. Die Meinungsunterschiede unter Juden zu ignorieren trägt nur dazu bei, vorhandene Stereotype zu verfestigen - als ob es "den Juden" überhaupt gäbe. Sollte die Angst bestehen, durch die Eröffnung einer freien Debatte antisemitische Geister zu wecken, so wäre es doch besser, ihnen direkt in die Augen zu sehen und sich mit ihnen zu konfrontieren.

Wenn Juden überhaupt Einfluss auf die deutsche Öffentlichkeit haben, dann solche, die von deutschen Medien ausgewählt wurden. Von einem solchen Einfluss wird man erst dann sprechen können, wenn der Zentralrat der Juden in Deutschland einmal Interessen vertreten sollte, die im Widerspruch zu denen deutscher Politiker stehen. Bis dahin ist für Juden in Deutschland Skepsis angebracht - auch wenn viele von ihnen glauben wollen, dass mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine wunderbare Freundschaft mit der deutschen Mehrheitsgesellschaft begonnen habe.

Das Massaker, das israelische Soldaten in Gaza verübt haben, wurde von fast allen jüdischen Israelis beklatscht; die meisten Juden in Deutschland haben eingestimmt. Dabei leitet es nur eine weitere Runde blutiger Jahre im Nahen Osten ein. Kein Jude hat Grund, sich zu freuen, wenn Israel vor den Augen der Weltöffentlichkeit Harakiri begeht (während EU und USA ihre Augen verschließen). Viele Juden betrachten Israel als eine Art Lebensversicherung, sollten sie wieder mit antisemitischen Ausbrüchen konfrontiert werden (und da sage man noch, sie seien gute Geschäftsleute …).

Wer sich als wahrer Freund Israels versteht, der sollte einen Blick auf die langen Schlangen vor den europäische Konsulaten in Tel Aviv werfen und die steigende Zahl jüdischer Israelis, die das Land verlassen. Und er sollte mehr auf die inneren Probleme des Landes achten, in dem alle zwei Jahren gewählt wird und die politische Klasse ständig in Affären (von Korruption bis Vergewaltigung) verwickelt ist. Der nächste Angriff ist da schon programmiert.

Die Wiedergeburt des europäischen Judentums in einem militanten Zionismus zu suchen, dieser Weg ist zum Scheitern verurteilt. Es ist Zeit, um das Judentum Europas zu trauern, das weitgehend vernichtet wurde, und etwas Neues zu schaffen.

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