Die Geistesdebatte

WISSENSCHAFT Darf eine Wissenschafts-ministerin weitermachen, obwohl die Universität ihr die Promotion entziehen will? Die Geisteselite reagiert auf diese Frage auffallend zurückhaltend

VON BERND KRAMER
UND TOBIAS SCHULZE

BERLIN taz | Annette Schavans Doktorarbeit wird vermisst. Früher besaß das Seminar für Katholische Theologie an der Freien Universität Berlin ein Exemplar von „Person und Gewissen“, Signatur Eb 3.2 Scha. Aber auch der Student, der in der kleinen Institutsbibliothek jobbt, kann nicht weiterhelfen. Die Arbeit ist weg.

Ausgerechnet hier: In der Bibliothek fand im Wintersemester Schavans Seminar statt. Sie ist Honorarprofessorin für Katholische Theologie und unterrichtete bisher regelmäßig an der FU. Ob es dabei bleibt, ist unklar. Die Mitarbeiter des Instituts dürfen zum Thema Schavan nichts sagen. Strikte Dienstanweisung an alle, bis runter zum Studenten an der Bibliothekstheke.

Die Szene könnte symbolischer nicht sein. Denn in der Wissenschaftsszene ist die Verunsicherung mit Händen zu greifen. Muss Deutschlands oberste Ministerin für Forschung und Lehre gehen, wenn ihr plötzlich der Doktor abhandenkommt?

Viele sagen Ja. Und manche sind erstaunlich still.

„Angesichts der Entscheidung der Uni Düsseldorf ist es kaum vorstellbar, dass sie im Amt bleiben kann“, meint Matthias Jaroch, Sprecher des Deutschen Hochschulverbandes, der Standesvertretung der Professorenschaft. „Wie soll eine Ministerin Schavan weiter für Exzellenz werben, wenn sie mit solchen Schludrigkeiten verbunden wird?“

Eine Einschätzung, die viele teilen, wenn man sich an den Hochschulen umhört. Ein Geschichtsstudent, roter Irokesenschnitt, im 7. Semester sitzt in der Mensa der FU. „An unserem Institut wurden vor einem Jahr Formulare eingeführt, mit denen wir erklären sollen, bei Hausarbeiten nicht zu bescheißen“, erzählt er. Warum sollte es da Ausnahmen für Minister geben?

Norman Weiss, der dem Doktorandennetzwerk Thesis vorsitzt, stimmt zu. „Es ist schon skandalös genug, dass eine Wissenschaftsministerin eine Arbeit angeliefert hat, die auch nur zu einem solchen Schritt bewegen könnte“, sagt er.

Nur die führenden Wissenschaftsorganisationen – die teilweise auch zu den wichtigsten Geldempfängern des Bundesbildungsministeriums gehören – geben sich auffallend zurückhaltend. Horst Hippler, Präsident der Hochschulrekorenkonferenz, sonst nie um ein klares Wort verlegen, lässt ausrichten, dass er sich nicht äußert. Auch bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG): Schweigen.

Die Diskretion ist ungewöhnlich und verständlich zugleich. Die wichtigsten Wissenschaftsorganisationen haben die Universität Düsseldorf im Vorfeld scharf angegriffen: In einer Erklärung warfen sie ihr vor, wichtige wissenschaftliche Standards zu missachten. Nicht wenige Beobachter sahen darin eine Gefälligkeit für die angeschlagene Ministerin.

Hinter vorgehaltener Hand hört man bei den Unterzeichnerorganisationen nun, dass ihnen die Erklärung unangenehm ist.

Kritisiert hatten die Wissenschaftsorganisationen die Universität dafür, dass sie beispielsweise das Mehraugenprinzip bei der Begutachtung von Schavans Dissertation nicht eingehalten habe. Die Erklärung verweist hier auf die Richtlinien der DFG für gute wissenschaftliche Praxis. Ausgerechnet der zuständige Ombudsmann der DFG will diesen Ratschlägen aber nicht folgen:„An der Uni Düsseldorf haben 16 Mitglieder des Fakultätsrats über die Dissertation entschieden. Es gab dort also sogar ein 32-Augen-Prinzip“, sagt der Bonner Wissenschaftsrechtler Wolfgang Löwer. „Ich halte solche Interventionen für unglücklich.“

Trotzdem stellt sich nach dem Fall Schavan die Frage, ob nicht stärker als bisher einheitliche Standards für den Umgang mit Plagiatsfällen gefunden werden müssten. Das fordern inzwischen Unionspolitiker.

Interessant ist daran: Nach dem Fall Guttenberg hatte die SPD-Abgeordnete Ulla Burchardt genau so etwas bereits angeregt. Sie schlug damals eine zentrale Prüfstelle vor, angesiedelt etwa beim Bildungsministerium oder bei der DFG. Schavans Sprecher hielt das für eine „abwegige Idee“. Auch die DFG, die sich jetzt in den Chor der Kritiker der Uni Düsseldorf einreihte, lehnte „ein allgemeines Wächteramt über Promotionen“ damals ab.

Auch Norman Weiss vom Doktorandennetzwerk Thesis hält die Idee für falsch: „Die Unis vergeben den Titel, also müssen sie ihn auch wieder entziehen können.“ Wissenschaftsrechtler Löwer sieht in dem Ruf nach einheitlichen Standards eine Scheindebatte: „Die meisten Plagiatsfälle sind völlig evident und die Rücknahmeregelungen in Deutschland schon jetzt weitgehend einheitlich.“