Trends in Berlin-Wedding: Ein verkanntes Paradies ist der Wedding nicht

Für die einen ist Wedding das ewige Ghetto, andere versuchen, den alten Arbeiterbezirk mit "Schnauze und Herz" zum neuen Trendbezirk hochzureden.

der Kiez im Norden hat viel Potenzial Bild: AP

"Alle Jahre wieder erklärt irgendeine Zeitung den Wedding zum neuen Trendbezirk - passiert ist trotzdem nie etwas." Heiko Werning regt sich schon lange nicht mehr auf. Mal sei der Wedding ein Ghetto, dann wieder ein Kiez im Aufschwung. Werning ist ein sympathischer Typ, der sein Bier langsam und bedächtig trinkt. Als "Brauseboy" ist er Mitglied einer der etabliertesten Lesebühnen am Leopoldplatz.

Sechs Jahre lang residierten die Brauseboys im Laine-Art in der Liebenwalder Straße. Im Frühjahr will der rein männliche Autorenkreis nun in das La Luz in den Osramhöfen umziehen. Bis zu 60 Gäste kommen jeden Donnerstagabend zur "kulturellen Außenstelle" im hohen Berliner Norden. Und das, obwohl es erst kürzlich in der Presse hieß, dass sich manch ein Prenzlauer Berger nicht durch den Tunnel an der Gleimstraße in den Wedding traue.

Werning kann darüber nur schmunzeln. Der Wedding als Ghetto ist für ihn nicht mehr als Klischee. Den 38-jährigen Schriftsteller verschlug es Anfang der 1990er-Jahre "zufällig" hierher. Für ihn ist der Wedding ein "zähes Ding" mit einigen wenigen, dafür aber lohnenswerten kulturellen Inseln. Geeignet für Leute, die ein Leben abseits des großen Rummels suchen. "Man sollte den Wedding nicht verteufeln, aber auch nicht romantisieren", macht der zweifache Familienvater seine Meinung klar. "Ein verkanntes Paradies ist das hier jedenfalls nicht."

Axel Völcker (30) ist da schon enthusiastischer: "Der Wedding hat Potenzial und bietet eine Menge Freiräume." In seinem Plattenbaubüro in der Gottschedtstraße tickt die Uhr auf den Redaktionsschluss zu. Kolumnen müssen redigiert, Reportagen layoutet werden. Völcker ist dabei, die zweite Ausgabe von Der Wedding für den Druck vorzubereiten. Das Magazin soll Mitte März erscheinen und dann für 4,65 Euro bundesweit an Kiosken und in Buchläden vertrieben werden. Diesmal zum Thema Verwandtschaft. Zum Autorenkreis gehören mit Frank Sorge und Robert Rescue auch die Brauseboys. "Wir wollen aus dem Wedding heraus authentisch berichten", sagt Chefredakteurin Julia Boeck (29). Ein heimeliges Stadtteilblättchen sei man nicht, auch wenn die abgedruckten Milieugeschichten mitunter Titel wie "Bockbier und Klopse" tragen.

Mit Der Wedding hat Völcker dem Bezirk ein gut designtes Gesicht auf Hochglanzpapier verschafft. Seine Fotostrecke über die hiesige "restmoderne" Nachkriegsarchitektur kommen mitunter wie ein authentischer Schlag in die Fresse daher. In der Mitte des Heftes findet der Leser ein Gimmick: Ein Karikaturist hat in überspitzter Selbstironie einen Bastelbogen mit der berühmt-berüchtigten "Weddinger Mischung" gestaltet. Die Ur-Berlinerin und vom Leben enttäuschte Witwe ist zum Ausschneiden dabei und jede Menge Tölen, die ihr Häufchen auf den Gehsteig machen. "Bronx" und seine halbstarke "Leopoldgang" postulieren den ganzen Tag nur Schimpfwörter, und "die Wiebke" von irgendeinem neuartigen Style-Projekt redet davon, wie sie den Wedding innovativ aufheizen will.

Völcker ist studierter Kommunikationsdesigner, der Entwurf des Magazins war sein Diplomprojekt. Sein Ziel ist es, sich inhaltlich und visuell mit dem Bezirk auseinanderzusetzen. Für die Erstausgabe befragte er seine Nachbarn, welche Farbe sie mit dem Wedding assoziieren würden. Die Antworten waren trostlos wie ein Plattenbau: taubengrau, mausgrau. Auf jeden Fall grau. Nur ein Herr sagte - aus welchem Grund auch immer - "lachsfarben". "Vielleicht weil die vielen türkischen Frauen im Kiez pastellfarbene Kopftücher tragen", spekuliert Völcker. Er jedenfalls designte sein Magazin im retromäßigen 70er-Jahre-Orange. Fotograf Mirko Zander veröffentlichte eine Bildreportage über die türkischen "Kültür - Nur für Mitglieder"-Vereine im Wedding. Ein befreundeter Journalist versuchte die Vereinsmitglieder zu interviewen. Seine Bemühungen stießen schnell an ihre Grenzen. "Gazi Antep e.V. in der Utrechter Straße. Das Vereinslokal scheint leer zu sein, nur ein älterer Mann kommt aus der Tür. Zum Abschied gibt er mir die Hand und scheint froh zu sein, dass ich wieder weg bin." Parallelwelten statt Weddinger Mischung.

Völcker gehört zu einem Klüngel von Kreativen, die mit dem Wedding-Magazin und ihrem Kulturverein Mastul in der Liebenwalder Straße für Auftrieb im Kiez sorgen. Völcker schätzt vor allem die "Unaufgeregtheit" im Wedding. Dass er mit seinem Magazin einen Hype vorantreiben könne, der langfristig genau diese Unaufgeregtheit zunichte macht, glaubt er nicht. Sicher würden verstärkt junge Leute in den Wedding ziehen, weil hier noch günstige Altbauwohnung zu haben seien. "Ein Gentrifizierungspunkt ist der Wedding aber noch lange nicht", so Völcker.

Die Zukunft des Bezirks schätzt "Brauseboy" Heiko Werning ähnlich nüchtern ein. Der Arbeiterbezirk sei einfach zu etabliert, als dass er sich von irgendwem mal eben "klarmachen" ließe. Dass der Wedding nicht von Mitte und Prenzlauer Berg annektiert wird, wundert ihn allerdings manchmal schon. Schließlich würden einige "gute Argumente" für den Bezirk sprechen. Der Wedding liegt strategisch günstig keine zwei S-Bahn-Stationen von der Schönhauser Allee entfernt und bietet mit dem Plötzensee sogar waschechten Badespaß im Sommer. "Aber die Grenzen des Weddings sind härter, als man denkt." Auf viele würde die brachiale S-Bahn-Trasse an der Grenze zu Mitte abschreckend wirken, schätzt Werning. Schade findet er, dass manch einer aufgrund der günstigen Wohnungen in den Wedding zieht, die hiesige Kulturszene aber ignoriert. "Manchmal wundere ich mich, wer hier alles so aus seinen Löchern kriecht. Leute, die erst nach Jahren merken, dass sich auch in der Nachbarschaft ein Samstagabend verbringen lässt." Abseits jeder Aufgeregtheit, versteht sich.

Mehr Infos: www.derwedding.de

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