die wahrheit: Orientierungslos durch die Welt

Irgendwo müssen wir von der Hauptstraße abgekommen sein. Wir fahren mit dem Kleinbus über eine grüne Wiese, bevor wir einen breiten Fluss durchqueren. Das behauptet jedenfalls das Navigationsgerät...

Irgendwo müssen wir von der Hauptstraße abgekommen sein. Wir fahren mit dem Kleinbus über eine grüne Wiese, bevor wir einen breiten Fluss durchqueren. Das behauptet jedenfalls das Navigationsgerät. Die Stimme aus dem Kästchen wird immer hysterischer: "Biegen Sie in 20 Metern links ab, biegen Sie in 30 Metern rechts ab, kehren Sie um!" Der Navigationspfeil auf dem Bildschirm tanzt wie Fred Astaire. Das Gerät hat die Orientierung verloren. So landen wir in einer uns völlig unbekannten Stadt: Ulm, oder so ähnlich. Zum Glück besitzt einer von uns ein Mobiltelefon mit Landkarte und lotst uns wieder zurück in die Zivilisation.

Aber auch funktionierende Navigationsgeräte haben ihre Tücken. In England gehen sie der Landbevölkerung zunehmend auf die Nerven. Ein ungarischer Lastwagenfahrer gehorchte blindgläubig der Frauenstimme aus seinem Gerät. Er verließ nachts die Schnellstraße und nahm eine Abkürzung durch Litton Cheney in Dorset. Das Warnschild am Ortseingang, das Lkw-Fahrern wegen der schmalen Gassen im Dorf von der Weiterfahrt dringend abrät, ignorierte er und vertraute lieber der Stimme aus dem Gerät. Er knallte gegen die Giebelwand eines Einfamilienhauses. Um den Lkw bei Tageslicht aus seiner misslichen Lage zu befreien, mussten ein paar Bäume gefällt werden.

Das ist kein Einzelfall. Überall im ländlichen England mähen Lastwagen alles um, weil die Geräte weder den Zustand der Straße noch die Größe des Fahrzeugs berechnen. In Oxfordshire musste eine 200 Jahre alte Brücke dran glauben, bei Manchester traf es ein 300 Jahre altes Bauernhaus. In Charlcombe bei Bath hatte sich ein litauischer Fahrer mit seinem 44-Tonner auf der Dorfstraße dermaßen verkeilt, dass es vier Tage dauerte, bis man ihn befreiten konnte. Und die Bewohner von Barrow Gurney raufen sich die Haare, seit ein Gerätehersteller ihr Dorf als Abkürzung zum Flughafen Bristol ausfindig gemacht hat. Wo früher mal ein Traktor durch die Dorfstraße fuhr, sind es heute 10.000 Autos am Tag.

Demnächst sollen in englischen Supermärkten die Einkaufswagen mit Navigationsgeräten bestückt werden. Wenn man seine Einkaufsliste ins Gerät überträgt, findet es den schnellsten Weg durch den Supermarkt. Es schlägt außerdem vor, was man mit der eingekauften Ware kochen kann. Und es warnt, wenn man zu viel fettes und zuckriges Zeug in den Wagen geladen hat. Bei mehr als zwei Flaschen Schnaps kotzt es vermutlich. Der Einkaufswagen kann außerdem telefonieren. Wenn sich jemand mit ihm zu weit vom Supermarkt entfernt, ruft er die Angestellten per Telefon um Hilfe.

Die Grafschaftsverwaltung von Leicestershire hingegen hat ihre Rasenmäher mit Navigationsgeräten ausgerüstet, damit sie sich nicht verfahren. So können sie besser das "beispiellose Wachstum auf den Grünstreifen und den Sportplätzen" bekämpfen. Oder dient es eher der Überwachung? Die Geräte sind interaktiv, die Beamten können jederzeit feststellen, wo sich die Arbeiter befinden - und ob sie sich mit ihren Mähern bewegen. Wir sollten unser Navigationsgerät nach Leicestershire schicken. Das glaubt ohnehin stets, dass man sich auf einer Wiese befindet.

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kari

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