Frühjahrsklassiker Mailand-Sanremo: Wasser marsch!

Während die Freude des Briten Mark Cavendish über seinen Sieg im Frühjahrsklassiker kaum Grenzen kennt, wundern sich die Beobachter über einen schwächelnden Lance Armstrong.

"Und da kam bloody Cavendish". Heinrich Haussler (l.) verfehlt nach knapp 300 Kilometern den Sieg nur um Millimeter. Bild: reuters

Der Sieger schluchzt, dem Zweitplatzierten steht das Wasser in den Augen, und auch Erik Zabel ist den Tränen nah. Am Samstag hatten im ligurischen Badeort Sanremo nicht nur Hausbesitzer in Uferlage nah am Wasser gebaut. Feuchte Emotionsausbrüche schüttelten etliche wettergegerbte Athleten, die sich an der 100. Ausgabe von Mailand-Sanremo beteiligt hatten.

Die Rolle des tragischen Helden fiel Heinrich Haussler zu. Der Deutschaustralier sah 70 Meter vor dem Ziel wie der absolute Triumphator aus. Der Rohdiamant - bei Gerolsteiner etwas verschliffen, im neuen, um Tour-Sieger Carlos Sastre gebauten Cervelo-Team aber unverhoffte Strahlkraft entfaltend - löste sich 150 Meter vor dem Ziel aus dem rasenden Peloton. Sein Antritt war selbst für Cervelo-Kapitän Thor Hushovd zu heftig.

Eigentlich hatte Haussler für den norwegischen Sprinter anfahren sollen. Doch dem war die Beschleunigung zu krass. "Thor hat Heinrich ziehen lassen und ihm den Sieg gewünscht. Eine kluge Entscheidung", kommentierte der sportliche Leiter der beiden, Jean Paul Van Poppel. Leider tat Hushovd seinem Helfer den Sinneswandel nicht kund. "Ich habe auf Thor gewartet. Doch der kam nicht. Ich habe voll durchgezogen. Wenn ich für mich gefahren wäre, hätte ich den Antritt nie so früh gestartet", so Haussler frustriert. Als er dem Ziel ganz nahe war, schnellte Mark Cavendish aus dem Feld, verkürzte im Nu die 20 Meter Abstand und passierte Millimeter vor Haussler die Ziellinie.

"Meine Beine waren leer. Ich hatte nichts zuzusetzen", sagte dieser. Er barg sein vom Dreck der Landstraße eingestaubtes Gesicht in den Händen und versuchte die Tränen festzuhalten, die aus den Augen drängten. "Und dann kam bloody Cavendish. So ein Mist", brachte er nur heraus.

Auch "Bloody Cavendish" weinte. Allerdings vor Glück. "Es ist der schönste Moment meiner Rennfahrerkarriere, sagte er unmittelbar nach dem Rennen. Eine halbe Stunde später hatte er sich so weit gefasst, dass er den Sieg in Sanremo auf eine Stufe mit seinem ersten Bahn-WM-Titel und dem ersten Tagessieg bei der Tour de France stellte. Der für seinen kauzigen Humor bekannte Rotschopf von der Isle of Man konnte sogar schon über das zweitschönste Erlebnis dieses Tages plaudern: "Ich habe mich gefreut, dass ich an der Cipressa Tom Boonen hinter mir gelassen habe." Mit dem belgischen Exweltmeister trägt der Youngster eine Privatfehde aus. Boonen hatte sich über die mangelnden Kletterkünste von Cavendish lustig gemacht.

Doch Cavendish hatte alle Erwartungen übertroffen. Er war sogar in der gleichen Gruppe wie Lance Armstrong über den Berg gestiefelt, was freilich nicht für den Texaner spricht. Angesichts dieses Schwächemoments und auch des eher mäßigen Zeitfahrens bei der Kalifornien-Rundfahrt dürften die grauen Haare auf dem Kopf des Rückkehrers zunehmen. Wenige Wochen vor Beginn des Giro dItalia liegt der Favorit Nr. 1 hinter der eigenen Marschtabelle zurück.

Cavendishs sportlicher Leiter Valerio Piva hatte Armstrong zu Recht eine Hauptrolle nur vor dem Start der Jubiläumsausgabe von Mailand-San Remo prophezeit, ihm im Ziel aber lediglich eine Statistenrolle zuerkannt.

Die Freude bei Team Columbia High Road über den Coup von Cavendish kannte kein Halten. "Man hat sich über unseren personellen Aufwand sehr gewundert. Drei sportliche Leiter für ein Eintagesrennen ist auch viel. Aber vielleicht hat genau das die entscheidenden Zentimeter gebracht", frohlockte Columbias Sportdirektor Rolf Aldag. Erik Zabel stand die Rührung ins Gesicht geschrieben. Der Altmeister, von Team Columbia als Ratgeber engagiert, hatte mit Cavendish vorher die entscheidenden Rennabschnitte abgefahren. "Ich habe ihm gesagt, wo er an sein Limit gehen muss", berichtete Zabel im Ziel. Cavendish gab freimütig zu: "Ohne Eriks Hilfe hätte ich diesen Sieg nicht errungen." Am Ende zog Zabel einen silbernen Armreif heraus, der ihm bei seinem ersten Sanremo-Sieg geschenkt worden war, und gab ihn an Cavendish weiter. Eine schöne, glitzernde Alternative zu den inflationären gelben Livestrong-Bändchen des Herrn Armstrong. Und vielleicht das Signal für den Female Turn im harten Profialltag.

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