Tschechiens Regierung gestürzt: Durchwursteln bis zum Schluss

Ausgerechnet in der schweren Wirtschaftskrise steht die EU ohne Führung da. Das könnte sogar den Lissabon-Vertrag gefährden. Schon zuvor war Tschechiens Ratspräsidentschaft chaotisch.

Spätestens jetzt nicht mehr als eine lahme Ente: Tschechiens gestürzter Premier Topolanek. Bild: reuters

Blass, aber gefasst stand Tschechiens Premier Mirek Topolanek am Mittwoch vor den Abgeordneten des Europaparlaments in Straßburg. Er war eigentlich gekommen, um mit ihnen über die Ergebnisse des Frühjahrsgipfels zu diskutieren. Nun hatte er eine Programmänderung bekannt zu geben. "Der Grund, warum ich so schnell wie möglich nach Prag zurückkehren muss, ist die Obstruktion der Sozialdemokraten. Doch nach wie vor gilt: Wir werden die europäischen Diskussionen moderieren und Kompromisse herbeiführen", versprach der Tscheche, der noch bis Ende Juni Ratspräsident ist.

Es war ein seltener Vorfall, dass ein nationales Parlament dem amtierenden EU-Ratspräsidenten das Vertrauen entzog, so wie es jetzt dem tschechischen Ministerpräsident Mirek Topolanek widerfahren ist. Allerdings kam es bereits in den Neunzigerjahren zu ähnlichen Turbulenzen in EU-Mitgliedstaaten, während sie die Europäische Union führten. Im Januar 1993 hatte die konservative Minderheitsregierung in Dänemark unter Poul Schlüter erst seit einigen Tagen die Ratspräsidentschaft geführt, als der Koalitionspartner, die Sozialliberale Partei, die Seiten wechselte. Sie formte eine neue Regierung unter dem Sozialdemokraten Poul Nyrup Rasmussen. Rund vier Jahre später, ebenfalls im Januar, verlor die Mitte-rechts-Regierung Italiens unter Premierminister Lamberto Dini die Mehrheit. Der Staatspräsident löste daraufhin das Parlament auf. Nach den Neuwahlen kam Romano Prodi an die Macht, dessen Mitte-links-Bündnis nur noch einen Monat lang die Ratspräsidentschaft 1996 ausübte.

Die EU-Ratspräsidentschaft wird von einem der Mitgliedstaaten turnusgemäß für jeweils sechs Monate geführt. In dieser Zeit repräsentiert der Ratspräsident alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Tschechien übernahm am 1. Januar 2009 die Ratspräsidentschaft von Frankreich. Ab 1. Juli wird Schweden das Amt fortführen.

Das hatte sich am Vorabend in Prag, nach dem erfolgreichen Misstrauensvotum gegen seine Regierung, noch ganz anders angehört. "Ich glaube, das kann unsere Verhandlungsmacht untergraben. Unsere Partner in Europa haben sich daran gewöhnt, dass wir hart verhandeln. Es kann nun geschehen, dass unsere Position geschwächt wird", räumte er nach der Abstimmung gegenüber Journalisten ein.

Die Führungskrise trifft die EU in einem Moment, in dem historische Begegnungen anstehen. Zum ersten Mal trifft das "alte Europa" auf das "neue Amerika", wenn Präsident Barack Obama in einer Woche zum G-20-Gipfel nach London reist. Dort sollen die Weichen für eine strengere Kontrolle der internationalen Finanzmärkte gestellt werden. Zwei Tage später wird Obama dann beim europäisch-amerikanischen Gipfel in Prag sein.

Dem ehemaligen amerikanischen Außenminister Henry Kissinger wird gern der Satz zugeschrieben, er wisse nicht, welche Telefonnummer er anwählen solle, wenn er mit Europa sprechen wolle. Barack Obamas Berater werden sich noch schwerer tun, ihrem Chef die richtige Telefonnummer zu besorgen. Denn der Hohe Vertreter Javier Solana kümmert sich ausschließlich um Außenpolitik. Für internationale Energieverhandlungen, für die durch Grenzstreitigkeiten verzögerten Beitrittsverhandlungen mit Kroatien, für die drohenden Staatsbankrotte in Osteuropa oder die Wirtschaftsmisere in Moldawien und der Ukraine ist er nicht zuständig. All diese Themen hatte Tschechien bis Ende Juni auf seiner To-do-Liste.

Doch das politische Brüssel, das sich ohnehin nicht viel von dieser Ratspräsidentschaft versprochen hatte, war mit seinem Urteil schon zur Halbzeit fertig - noch vor dem Misstrauensvotum am Dienstagabend in Prag. "Chaotisch, führungsschwach, schlecht vorbereitet", lauten noch die freundlichen Kommentare über den tschechischen Führungsstil. Eine vorzeitige Wachablösung sehen die Europäischen Verträge allerdings nicht vor. Als lahme Ente wird Topolanek oder sein Nachfolger weiterwursteln müssen, bis am 1. Juli die Schweden die europäischen Amtsgeschäfte übernehmen.

Eine makabere Pointe liegt darin, dass der neue Lissabon-Vertrag, der mehr Kontinuität in die europäische Politik bringen würde, durch die innenpolitische Krise in Prag noch stärker gefährdet wird. Denn der euroskeptische tschechische Staatspräsident Václav Klaus wird das parlamentarische Patt zum Vorwand nehmen, sein Ja zum Vertrag weiter hinauszuzögern. Deshalb wird auch die Telefonnummer des Kommissionspräsidenten Barack Obama im kommenden Halbjahr nicht viel nützen. Denn mit der Europawahl im Juni endet Manuel Barrosos Amtszeit. Danach bleibt auch er als lahme Ente kommissarisch im Amt, bis die Frage der Vertragsreform geklärt ist.

In diesem Machtvakuum empfiehlt sich ausgerechnet Gordon Brown als europäische Führungsfigur, ein Mann, der bislang weder als überzeugter Europäer noch als Anhänger regulierter Märkte aufgefallen ist. Als er vergangenen Dienstag im Europaparlament in Straßburg über den geplanten G-20-Gipfel sprach, trauten die Abgeordneten ihren Ohren nicht. "Freunde, heute gibt es kein altes Europa, kein neues Europa, kein Ost- oder Westeuropa. Ich bin stolz, ein Brite und ein Europäer zu sein, der ein Land vertritt, das sich im Zentrum Europas sieht", behauptete Brown, der den Euro ablehnt und sich aus Angst vor seinen euroskeptischen Wählern daheim nicht bei der Unterzeichnung des Lissabon-Vertrags hatte filmen lassen.

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