Wissenschaft für Kinder: Energie zum Anfassen

Das Potsdamer "Exploratorium" ist eines der wenigen deutschen Wissenschaftsmuseen für Kinder. Alle loben das Projekt - doch noch gibt es dafür kaum Geld. Ausstellungseröffnung am Samstag.

Ist die Henne etwa im Ei? Beobachtungen im Exploratorium Bild: AP

Der Stier sieht Rot. Vor Wut auf den Torero. Tausende Zuschauer in der Arena beobachten den mörderischen Kampf. Der Matador hält dem Stier ständig ein rotes Tuch vor die Nase, die Capote oder Muleta. Immer wieder greift der tonnenschwere Stier das Tuch an - weil ihn die purpurne Farbe reizt. "Das stimmt gar nicht", sagt Axel Werner. "Der Stier kann kein Rot erkennen. Was ihn provoziert, ist, dass der Torero das Tuch so schnell hin und her bewegt."

Werner ist nicht etwa Stierkämpfer, sondern Kurator des "Exploratoriums", des Wissenschaftsmuseums in Potsdam-Babelsberg. Seine Aufgabe besteht nicht darin, Bullen zu erstechen, sondern Legenden zu enträtseln. "Es ist eines der großen Missverständnisse, dass Tiere dieselben Farben wie Menschen sehen." Aber der Physiker und Leiter des Exploratoriums erklärt das nicht alles, er zeigt es: In der Themenwelt "Geheimnisvolles Licht und unsichtbare Farben", die am Samstag offiziell eröffnet, können die Besucher selbst erleben, wie der Stier das Tuch sieht: Es ist gräulich, fast weiß.

Die Kinder und Schüler sehen auch, wie ein Adler die Maus aus großer Höhe erkennt (der Vogel sieht das ultraviolette Licht des Mäuse-Urins), wie eine Schlange ihre Wärmebildkamera einschaltet und Zugvögel Magnetfelder spüren.

Das Wissensmuseum nahe dem Filmpark in Babelsberg ist eine der wenigen Erklär-Einrichtungen, die sich explizit an Kinder richten. In Amerika gibt es hunderte solcher "Science Museums", die Kinder an Wissen und Wissenschaft heranführen. In Deutschland ist es das Phaeno in Wolfsburg, eine Kinderakademie in Fulda, eine (recht kleine) Abteilung des Deutschen Museums in München, insgesamt keine zehn Stück. In Berlin gehören das Machmit!-Museum in Prenzlauer Berg und das Labyrinth im Wedding in diese Kategorie.

Aus der Vogelperspektive

Das Motto des Exploratoriums heißt: Bitte alles anfassen! Und so rumpelt und kracht es auch in der wissenschaftlichen Mitmachwelt. Kinder ziehen mit einem Flaschenzug eine schwere Kiste voller Steine. Ein paar Schritte weiter versucht die siebte Klasse eines Gymnasiums aus Grünheide im Südosten Berlins den Rekord mit dem Energiefahrrad zu brechen. Dahinter werden Schokoschaumbällchen durch Unterdruck aufgebläht - und wieder geschrumpft. Das macht den Kindern mit am meisten Spaß, und es schmeckt.

Leon (13) wäre an der Wärmebildkamera beinahe vorbeigelaufen. Dann schaut er genauer hin - und kann sehen, wie ihn das Getobe mit seinen Schulkameraden bereits erhitzt hat. Mund und Nase sind ganz hell - die Brille bleibt kühl. Leon versucht auch, sich in die Optik verschiedener Tiere hineinzuversetzen. Durch Schlitze schaut er in Holzkisten - und blickt dabei scheinbar durch die Augen von Schlange, Stier und Habicht. Freilich sind die Schlitze sehr schmal. So verliert der schöne Versuch für die Kinder deutlich an Spannung. "Mittelmäßig", urteilt Leon gelassen. Schon ist er wieder weg.

André Katz hat einige Mühe, die aufgeregten Siebtklässler bei den Versuchen zu halten. Der Physiklehrer ist schon zum dritten Mal ins Exploratorium gekommen, "weil man hier außerhalb des Unterrichts physikalische Probleme gut zeigen kann". Die Experimente im Museum sind nur zum Anreißen gedacht, vertieft wird später: Katz bereitet den Besuch im Unterricht nach. Wichtig ist aber auch der Spaß. "Keiner klopft ihnen auf die Finger. Es ist nicht immer jemand da, der was erklären würde", sagt Katz.

Das Exploratorium will einerseits Unterhaltung, andererseits Anreize zum Verstehen bieten. Die Balance zu finden ist nicht immer leicht. "Lernen soll Spaß machen. Wissen ist ein Abenteuer", sagt der Kurator Axel Werner. Der promovierte Physiker hat früh verstanden, dass man Wissen und Forschen nicht bleischwer vermitteln darf. "Auch Erwachsene sind voller Neugier für die Wissenschaft - aber man schreckt sie zu oft ab durch detaillierte und langweilige Vorträge". Deswegen steht im Exploratorium das Sehen und Experimentieren im Vordergrund. Werner und seinem Team sind beeindruckende Exponate gelungen: Man kann bei der Photosynthese quasi zuschauen.

Dennoch ist das Exploratorium ein bisschen so wie Wowereits Berlin: arm, aber sexy. Die Liste der Schirmherren, die das Museum in Babelsberg wahnsinnig wichtig finden, ist lang. Brandenburgs Bildungsminister Holger Rupprecht (SPD) gehört dazu. "Ich freue mich, dass die Grundlagen für unsere astrophysikalische Zukunft ab März 2008 im Exploratorium in Potsdam gelegt werden", sagt auch der Schirmherr der Themenwelt Licht und Farben, Thomas Rachel (CDU), Staatssekretär im Bundesbildungsministerium.

Amerikanisches Vorbild

Öffentliche Gelder indes fließen wenig ins Brandenburger "Science Museum", das seit seiner Eröffnung 2007 reichlich Preise eingeheimst hat: Die staatliche Unterstützung beschränkt sich auf Mittel für einzelne Projekte. Zwischen 600.000 und 700.000 Euro Jahresbudget hat das Exploratorium. Zwei Drittel davon muss es selbst erwirtschaften, der Rest sind Spenden.

Eine sogenannte institutionelle Förderung, also Mittel für Miete und Personal, gibt es nicht. Werner hat eine Idee, wie das Museum trotzdem an staatliche Gelder kommen könnte: Man müsste nur jedem Brandenburger und Berliner Schüler einen Gutschein geben, so sein Vorschlag. Die Kinder könnten dann umsonst experimentieren - das Museum löst die Gutscheine bei den Bildungsministern ein.

Werner hat das Museum zusammen mit den Wissenschaftlern Elizabeth Prommer und Ulrich Hienzsch gegründet. Den Anstoß bekam die gebürtige Amerikanerin Prommer bei einem Forschungsaufenthalt in Berkeley: Als sie 2003 aus San Francisco zurückkam, berichtete sie begeistert von dem dortigen Exploratorium, das so etwas wie die Mutter aller populären Wissenschaftsmuseen ist. Gegründet wurde es von dem Kernphysiker Frank Oppenheimer. Der hatte Mitte der 1960er-Jahre die Idee des Museums als Ort des Verstehens von Wissenschaft und Technologie entwickelt ("museum as educational center"). Prommer steckte zusammen mit ihrem Mann 200.000 Euro in die kleine Kopie, das Potsdamer Exploratorium.

Noch kann man das Museum nur schwer an seinem amerikanischen Vorbild messen. Aber es ist ein bisschen so wie mit dem, was man in der Ausstellung über das Sehen lernt: Manchmal gibt es etwas noch gar nicht richtig - und trotzdem sieht man es schon. Der Kopf setzt das Bild aus ein paar Indizien zusammen, die ihm die Augen liefern.

Samstag, 15 Uhr: "Geheimnisvolles Licht und unsichtbare Farben", Exploratorium Potsdam, Wetzlarer Straße 46.
Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.