Winfried Nachtwei über Obamas Strategie: "Entscheidend ist der regionale Ansatz"

Der grüne Afghanistanexperte Winfried Nachtwei erklärt die Bedeutung Barack Obamas aktueller Afghanistanstrategie für Deutschland. Und welche Konsequenzen es für die Truppen vor Ort haben muss.

Der Afghanistanexperte Winfried Nachtwei (re.) kann aus eigener Erfahrung berichten. Im Oktober 2008 besuchte er die Bundeswehr in Kundus. Bild: dpa

taz: Herr Nachtwei, wie wird sich Obamas neue Politik gegenüber Afghanistan und Pakistan auf die deutsche Politik am Hindukusch auswirken?

Winfried Nachtwei: Sie ist ein großes Angebot an die Bundesrepublik, selbst stärkere Initiativen zu ergreifen. Bisher sind die europäische und die deutsche Antwort auf diesen partiellen amerikanischen Strategiewandel kaum zu spüren.

Wo sollten Deutschland und Europa Initiativen ergreifen?

Sie sollten das eigene Aufbauengagement stärker an den tatsächlichen Herausforderungen des Landes orientieren und dann in überprüfbare Ziele und Fortschrittsindikatoren übersetzen, um dafür die entsprechenden Unterstützungskapazitäten und -ressourcen mobilisieren zu können. Besonders deutlich wird dieses Erfordernis im polizeilichen Bereich, wo der Rückstand enorm ist. Ein weiterer Bereich wäre mehr Unterstützung beim Justizaufbau, bei der Infrastruktur und der Förderung der landwirtschaftlichen Produktion. Das wurde zum Beispiel von deutscher Seite über Jahre vernachlässigt. Auch bei der Energieversorgung könnte man schnell viel mehr erreichen.

Werden Europäer und Deutsche künftig nicht noch stärker als Erfüllungsgehilfen der US-Politik in Afghanistan gesehen?

Sie würden es, wenn nicht gleichzeitig die Gesamtstrategie diskutiert, geklärt und auf einen Konsens gebracht wird. Und zwar auf den Konsens des ursprünglichen Auftrags an die internationale Unterstützungstruppe Isaf, aber mit stärkerer afghanischer Selbstbestimmung. Was ja jetzt auch nach der Rede noch ungeklärt ist: Was geschieht mit der Komponente der offensiven Aufstands- und Terrorbekämpfung? Wenn in diesem Bereich weiter so agiert wird wie bisher, konterkariert das die konstruktiven Bemühungen.

ist sicherheitspolitischer Sprecher der bündnisgrünen Bundestagsfraktion und einer der besten Afghanistankenner des deutschen Parlaments.

Obama verspricht mehr Soldaten, mehr Geld, mehr internationale Zusammenarbeit unter US-Führung. Ist so der Konflikt zu lösen?

Es sind wichtige Elemente. Das Entscheidende ist der regionale Ansatz und damit der letzte Punkt. Mit Pakistan, Indien, Iran und anderen Anrainern zusammen den politischen Prozess zu fördern und da bei den Aufständischen differenzieren zu können und auf lokaler wie nationaler Ebene so viel Dialog- und Verhandlungsprozesse in Gang zu setzen wie möglich gehört notwendig dazu. Auf jeden Fall scheinen mir die Chancen für eine Wende viel größer zu sein als zuvor. Da gab es sie gar nicht.

Wird Obamas Kurs nicht zur Ausweitung des Konflikts auch in Pakistan führen?

Das geschieht schon. Dieser verstärkte US-Drohnenbeschuss von Zielen in Pakistan untergräbt die Autorität der schwachen zivilen Regierung dort. In Pakistan wird es darauf ankommen, das nicht geringe Potential der Zivilgesellschaft zu unterstützen. Das wäre ein elementarer Strategiewechsel gegenüber der Vergangenheit.

Wo sind die Risiken bei Obamas Strategie?

Das Risiko ist, dass nicht selbstkritisch umgegangen wird mit dem eigenen Agieren in der Vergangenheit. Also die Art der Operationsführung eines Großteils der US-Truppen, die das Grunderfordernis, Respekt vor den Einheimischen und deren Werten und Sitten gerade in so einem Land, nicht eingehalten haben. Wenn das nicht grundlegend geändert wird, wird man mit dem anderen wahrscheinlich keinen Erfolg haben. Das wird schwer, einen großen Militärapparat in kurzer Frist quasi "umerziehen" zu wollen. Obama hat dazu nichts gesagt.

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