Komoreninsel Mayotte: Die EU-Süderweiterung

Die Bewohner der Komoreninsel Mayotte stimmten mit großer Mehrheit dafür, 101. Departement Frankreichs und damit EU-Mitglied zu werden. Sie hoffen auf bessere Sozialleistungen.

Europa ist schön. Bild: dpa

Die Insel im Indischen Ozean gehört zum Archipel der Komoren und liegt zwischen Mosambik und Madagaskar. Mayotte ist 374 Quadratmeter groß und hat offiziell 186.450 Einwohner. Jeder Dritte davon ist Flüchtling, meist aus den Nachbarinseln. 95 Prozent der Bevölkerung sind Muslime. Die Meisten verdienen ihr Geld in der Landwirtschaft.

Mayotte ist seit 1841 französische Kolonie und war bislang Gebietskörperschaft Frankreichs, nachdem es sich als einzige Insel 1974 nicht dem Unabhängigkeitsstreben der Komoren anschloss. Paris unterstützte die Insel bislang mit Förderungen von rund 635 Millionen Euro jährlich.

95 Prozent der rund 70.000 Stimmberechtigten votierten am Sonntag für eine vollständige Integration in den französischen Staat. Damit ist Mayotte ab 2011 das 101. Department und Mitglied der EU. Die Bewohner versprechen sich vor allem bessere Sozialleistungen und Geld aus der EU-Regionalförderung.

Die Sonne knallt auf den Platz, auf dem sich eine kleine Menschenmenge versammelt hat: Eine Militärkapelle spielt einen Marsch, unter den Augen Dutzender Würdenträger in weißem langem Gewand und weißem Käppi auf dem dunklen Schädel marschiert ein kleines Kontingent Fremdenlegionäre heran. Während weiße und schwarze Soldaten einträchtig die "Marseillaise" singen, wird ein Kranz zu Ehren der Gefallenen des Ersten Weltkriegs niedergelegt, denn der 11. November, der Tag des Waffenstillstands, wird in Mamoudzou fast so feierlich begangen wie im fernen Paris. Danach verzieht sich die Menge in die menschenleeren Straßen - aufgrund des Feiertags ist alles geschlossen. Nur ein paar schickgemachte Französinnen klagen, im Schatten eines Affenbrotbaumes sitzend, über die Kürze der Zeremonie.

Der junge Taxifahrer Sami Abdallah ist einer der wenigen Einheimischen, die sich unter die weißen Zuschauer gemischt haben. Er steht fest zu Frankreich: "Früher gab es hier keine Straßen, nichts. Jetzt ist es besser. Wir leben besser so." Der Komparativ ist wichtig für das Lebensgefühl der Mahorais, der Einheimischen von Mayotte. Sie brauchen nur einen kleinen Blick auf die komorischen Nachbarinseln Ngazidja, Ndzuwami und Mwali zu werfen, um sich davon zu überzeugen, dass sie 1974 die richtige Wahl getroffen haben, als sie bei der Volksbefragung zu 96 Prozent beschlossen haben, weiter zu Frankreich gehören zu wollen. Die Nachbarinseln gehören zu den ärmsten Gebieten der Welt. Zwar erhält die Föderation der Komoren Gelder von der EU und dem IWF, aber das ist nichts im Vergleich zu den 635 Millionen Euro, die Frankreich seinem Überseegebiet Mayotte jährlich überweist.

Klima und vulkanischer Boden sind auf allen Inseln gleich. Überall wird Vanille angebaut und Ylang-Ylang, eine Orchideenart, die bei Parfums als Stabilisator verwendet wird, es gibt Kopra, Kaffee, Fisch und ein bisschen Viehzucht. Aber die Preise für Vanille und Ylang-Ylang sind schon lange eingebrochen, seit diese Essenzen zunehmend durch Chemie ersetzt werden, und die Exporterlöse können die hohen Kosten für alles, was auf die Inseln eingeführt werden muss, nicht ausgleichen. Überall gibt es ein hohes Bevölkerungswachstum und eine hohe Arbeitslosigkeit. Auf Mayotte soll sie über 50 Prozent betragen.

Und dennoch sind die Unterschiede unübersehbar: Auf Ngazidja, der größten Komoreninsel, springt die Armut ins Auge: Armselige Hütten mit Dächern aus Wellblech oder Kokosblättern. Selbst in der Hauptstadt Moroni sind viele Straßen nicht asphaltiert. Um den großen Volo-Volo-Markt im Herzen von Moroni liegt ein Kreis von stinkendem Müll, in dem die Hunde wühlen. Strom gibt es nur gelegentlich, und vor den Wasserstellen stehen ständig lange Schlangen von Frauen, denn über eine Wasserleitung verfügt kaum jemand.

Auf Mayotte hingegen gibt es die meiste Zeit Strom und fast überall fließend Wasser. Die Straßen sind asphaltiert und sauber, nachts gibt es, zumindest in der Hauptstadt, Straßenbeleuchtung. Auf dem kleinen Markt in Mamoudzou sitzen selbstbewusste Afrikanerinnen vor den gleichen Häufchen wie in Moroni: Papaya, Jackfruit, Mangos, Zimt, Gewürznelken und Vanille verkaufen sie. Aber hier ist es sauber, kein Müll liegt umher. Und im Café Caribou gibt es sogar französische Croissants.

Die ehemalige Kolonialmacht Frankreich war sich zunächst durchaus nicht sicher, dieses Armenhaus von einer Insel behalten zu wollen - schließlich besitzt es mit La Réunion bereits einen Stützpunkt in der Region. Und da auch die UNO die Zugehörigkeit Mayottes zu Frankreich kritisierte, hat es die Insel bisher als "Gebietskörperschaft" geführt, was bedeutet, dass die französischen Gesetze nur eingeschränkt Geltung hatten und die Mahorais keinen Anspruch auf gleichen Lebensstandard. Dennoch hat Frankreich viel Geld in die Insel gesteckt: Während auf den Nachbarinseln die schwere Malaria tropica endemisch wütet, wurde sie auf Mayotte fast völlig ausgerottet. Und während auf den Nachbarinseln das Schulsystem eher rudimentär existiert, gehen auf Mayotte fast alle Kinder zur Schule, die Besten können in Frankreich studieren.

"Wir sind nicht nur Franzosen, sondern auch Europäer", erklärt Abdou Razak Mouhammad, ein Notabler von Mamoudzou. "Wir können überall arbeiten. Doch dafür brauchen wir die nötige Ausbildung. Wir wollen, dass unsere jungen Leute etwas lernen, damit sie hier Arbeit finden, aber vor allem, damit sie woanders arbeiten können." Woanders heißt zumeist Frankreich. Das Durchschnittsalter der Komorer liegt bei 17 Jahren, und die jungen Leute finden auf Mayotte keinen Job - zumal sie nicht mehr in der Landwirtschaft arbeiten wollen, wie Abou Razak Muhammad freimütig einräumt. Fast jede Familie hat einen Angehörigen in Frankreich oder auf La Réunion, der Geld nach Hause schickt.

Dafür gilt Mayotte als Auffangbecken für arbeitslose Komorer. Seit für sie Visumspflicht besteht, landen die meisten heimlich - auch vor den Küsten von Mayotte werden immer häufiger Schiffbrüchige aufgefischt. Ein Drittel der etwa 200.000 Einwohner Mayottes ist illegal eingereist, zumeist von den Nachbarinseln. Sie schicken ihrerseits Geld von Mayotte nach Hause. "Hier lebt es sich besser als auf den Komoren", sagt die junge Bedienung im Restaurant Le Faré, wo kahlgeschorene Fremdenlegionäre Hummer mit Vanillesauce in sich hineinschaufeln. Vor allem die örtlichen Krankenhäuser und Kindergärten bekommen die Nöte der Nachbarn zu spüren: "Hier wird beschlossen, ein bestimmtes Budget für Kindergärten bereitzustellen, und nach kurzer Zeit bemerken wir, dass das nicht ausreicht", erläutert Adou Razak Muhammad. "Und warum? Weil ständig von den Komoren neue Kinder dazu kommen oder schwangere Frauen hier illegal anreisen, um hier zu gebären." Mit der neuen Außengrenze wird sich die EU also ein neues Migrationsproblem einhandeln.

Für die meist muslimischen Mahorais ändert sich einiges, wenn bald französisches Recht gilt. Ein Gesetzesvorhaben zur Abschaffung der Polygamie wurde hier vor einigen Jahren noch abgelehnt. Mit der Vielehe ist es nun vorbei. Formal zumindest.

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