Koalitionskrise in Berlin: Rot-Rot regiert mit einer Stimme

Trotz knappster Mehrheit glauben die Fraktionsspitzen von SPD und Linke an die Zukunft von Rot-Rot. Derweil wird Kritik an einzelnen Entscheidungen laut.

Gelassen in der Schieflage: Klaus Wowereit Bild: dpa

Bei Rot-Rot steht zumindest die Fassade noch: Obwohl die Mehrheit des Senats von zwei auf eine Stimme im Parlament geschrumpft ist, sieht die Koalition die Regierungsfähigkeit nicht gefährdet. "Es gibt keine weiteren Abwanderungsbewegungen in der Fraktion", sagte der parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Christian Gaebler. Die Partei habe sich dessen am Mittwoch in intensiven Gesprächen in der Fraktion versichert.

Der Wechsel der bisherigen SPD-Abgeordneten Canan Bayram zu den Grünen sorgte am Mittwoch für reichlich Frust und Irritation bei den Sozialdemokraten. Es habe keinerlei Alarmsignale gegeben, sagte SPD-Fraktionsgeschäftsführer Christian Gaebler. Ihm erscheine ihr Entschluss "weniger politisch als persönlich und beruflich motiviert". Bayram habe sich anscheinend nicht mehr ausreichend in ihrem Bezirksverband Kreuzberg-Friedrichshain unterstützt gefühlt und um ihre Aufstellung bei den nächsten Wahlen gefürchtet. Auch bei ihrem Versuch, einen Listenplatz als Kandidatin für die Bundestagswahl zu bekommen, soll sie in ihrem Bezirk keinerlei Unterstützung bekommen haben, heißt es aus Friedrichshain-Kreuzberger SPD-Kreisen. Bayram war stellvertretende Vorsitzende des dortigen SPD-Kreisverbands.

Dessen Vorsitzender Jan Stöß zeigt sich "überrascht und enttäuscht". Bayram habe zu keinem Zeitpunkt signalisiert, dass sie sich im Kreis oder der Fraktion nicht mehr aufgehoben fühle. Ihm fehle "jedes Verständnis für die von ihr nun vorgegebenen Gründe für den Parteiwechsel", so Stöß. Er forderte Bayram zur Rückgabe ihres Mandats auf. "Die Menschen in Friedrichshain haben Wowereit die Stimme gegeben, nicht den Grünen", so der Kreischef.

Nachdenklicher zeigte sich Fraktionsgeschäftsführer Gaebler. Über die Kommunikation in der Fraktion müsse geredet werden: "Es kann nicht sein, dass jemand so enttäuscht ist, dass er mit niemanden mehr redet." Man habe und werde dazu intensive Gespräche führen. KO, AWI

Auch der Landesvorsitzende der Linkspartei, Klaus Lederer, zeigt sich "entspannt". Ursprünglich seien der Koalition wegen ihrer knappen Mehrheit nur drei Monate gegeben worden, nun halte sie bereits zweieinhalb Jahre. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) erklärte, dass die Koalition ihre Mehrheit bis zum Ende der Legislaturperiode 2011 behaupten werde. "Es gibt keinen Anlass für irgendwelche Konsequenzen", so Wowereit. Senatssprecher Richard Meng wies Spekulationen um Neuwahlen zurück.

Die Mehrheit für Rot-Rot ist momentan denkbar knapp. Schon bevor die frauenpolitischen Sprecherin der SPD, Canan Bayram, am Dienstag überraschend bekannt gab, zu den Grünen zu wechseln, hatte ein anderer Abgeordneter in der Koalition einen Parteiaustritt erwogen und sogar seine Ämter niedergelegt: Carl Wechselberg, Abgeordneter der Linksfraktion. Ein "massiver Dissens", den er zur Ausrichtung der Bundespartei sehe, habe ihn dazu bewogen, so Wechselberg zur taz (siehe Interview). Doch durch den Schritt von Bayram seien ihm nun die Hände gebunden, will er das "rot-rote Projekt" nicht gefährden. Daher wird Wechselberg, wenn auch nicht unbedingt in der Partei, zumindest in der Fraktion bleiben.

Kritik übte Wechselberg nicht nur an dem politischen Kurs der Bundeslinken, sondern auch an deren Führungspersonen. Die Partei habe "keine Perspektive, die zu politischen Mehrheiten" führe. Sein Parteikollege Giyasettin Sayan stützt diese Kritik: "Gerade in seinen außenpolitischen Fragen ist Oskar Lafontaine an vielen Stellen konzeptlos." Das müsse aber parteiintern diskutiert werden.

Das bisher so geräuschlose Regieren der rot-roten Koalition ist nun erst mal dahin. Knapp werden könne es in Zukunft vor allem bei Entscheidungen über den öffentlichen Dienst und den Solidarpakt, vermutet die Linkspartei-Abgeordnete Evrim Baba. Schon Bayram hatte kritisiert, dass die Führung der landeseigenen BVG nicht paritätisch besetzt wurde. "Diese Entscheidung hat viele in der SPD verärgert", räumt der SPD-Abgeordnete Daniel Buchholz ein. Baba spricht von "Sarrazinscher Vetternwirtschaft". Für den Landesparteitag Mitte Mai planen Abgeordnete der SPD einen Antrag, um die Besetzung des BVG-Vorstands rückgängig zu machen.

Auch der von Bayram kritisierte Ausbau der A 100 wird nun in der SPD heftiger diskutiert. Für den Parteitag empfiehlt die Antragskommission, einen Antrag des Kreisverbands Friedrichshain-Kreuzberg anzunehmen, der sich gegen den Ausbau richtet. Doch die Empfehlung war auch in der Kommission umstritten.

SPD-Geschäftsführer Christian Gaebler verteidigt die Integrations- und Frauenpolitik der rot-roten Koalition als "fortschrittlich". Und der SPD-Integrationsexperte Raed Saleh sieht in seinem Bereich eine Vielzahl erfolgreicher Anträge. "Die hätten wir vor fünf Jahren nicht durchbekommen".

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