Schaffhauser Jazzfestival: Pensionär mit Akkordeon

In Schaffhausen trotzt man den Krisen der Tonträgerindustrie und der Geldwirtschaft und schreibt mit der "Werkschau des Schweizer Jazz" Musikgeschichte.

Christophe Monniot Bild: Francesca Pfeffer

In Bern sieht man sich seit kurzem als Zentrum des jungen europäischen Jazz, in Zürich leistet man sich mit dem Moods den höchstsubventionierten Jazzclub Europas und in Schaffhausen trotzt man den Krisen der Tonträgerindustrie, Geldwirtschaft und Generationen mit einem Festival, das als "Werkschau des Schweizer Jazz" Geschichte schreibt. Mit einer 10-CD-Box und einem üppig bebilderten Geschichtsbuch ausgestattet feierte Schaffhausen nun das 20-jährige Jubiläum.

Das Sympathische am Schaffhauser Jazzfestival ist sein weitgehend antikommerzieller Charakter. Ob das Plakat, das Team, die Locations, die Diskussionen - die Musik steht im Mittelpunkt und man trifft auch keinen, der sich an ihr finanziell bereichern will. Der Glücksfall Schaffhausen ist, dass man es hier geschafft hat, ein Publikum für eine Musik zu begeistern, die andernorts als schwer vermittelbar gilt. Tatsächlich müsse man sich nicht verbiegen, um mit den Sponsoren klarzukommen: Die meisten Konzerte beim viertägigen Schaffhauser Festival enthalten aktuelle Musik, berichtet Festivalleiter Urs Röllin, und frische Blumen standen von Anfang an auf den Tischen im Konzertsaal. Für die Stadt mit 34.000 Einwohnern im Norden der Schweiz ist das Jazzfestival mittlerweile das strahlende Kulturereignis in der Region, die Credit Suisse ist seit 1999 Hauptsponsor und auch von der Kantonsregierung gibt es Subventionszusagen für künftige Jahre. Zu den Programmpunkten, die in diesem Jahr Publikumszuspruch ernteten, zählten neben größeren Musikerformationen auch der aktuelle Exportschlager der Schweizer Jazzszene, Nik Bärtschs Zen-Funk-Kollektiv Ronin aus Zürich.

Ein großes Anliegen des Schaffhauser Jazzfestivals ist der Netzwerkgedanke. In den nachmittäglichen Jazzgesprächen, einzigartig in der deutschsprachigen Jazzwelt, geht es immer wieder um die dringende Frage, wie man neue Modelle der sozialen Absicherung für Künstler und Vermittler entwickeln kann. Denn trotz respektabler Vorzeigeprojekte geht es den Jazzern hier ähnlich wie überall: Einem scheinbaren Überangebot an Hochschulabsolventen steht ein überschaubares Publikum gegenüber, das aus eigener Kraft kaum für den Lebensunterhalt der Künstler aufkommen kann. Der Schweizer Musikvermittler Patrik Landolt nennt die Problemlage der improvisierenden Szenen in Zürich und Berlin vergleichbar, als "Nische, Netzwerk und Idealismus" charakterisiert er einen Zustand, der nach gemeinsamer Anstrengung und Lösung verlangt: politische Artikulation, Organisierung der Szenen, Geld besorgen. Alles das braucht der Jazz.

Benedikt Reising von der Jazzwerkstatt Bern berichtet, dass die Verpackung nicht mehr stimmt. An die 100 junge Musiker gehören zeitweilig dem jungen Künstlerkollektiv in Bern an, und man könne sich vor Teenagern im Publikum kaum retten. Ganz bewusst nenne man sich Jazz, habe quasi den Hipnessfaktor dialektisch gewendet. Facebook und MySpace drängen das Verlangen junger Musiker, eine CD aufzunehmen, in den Hintergrund, als Kind der Krise bezeichnet sich daher Reising.

Die große musikalische Entdeckung des Festivals kam dann gänzlich unerwartet aus der Pensionärsgeneration. Mit dem Akkordeonspieler Hans Hassler, der mit 63 Jahren seine erste Solo-CD "Sehr Schnee, viel Wald" veröffentlichte und nun eine fulminante Premiere in Schaffhausen feierte: In seiner einstündigen Improvisation über Themen der Ländlerkultur und Minimal Music, über Cluster und zerstörte Melodiebögen mischt er ein brummig verzerrtes "O sole mio" und Fragmente, die nach Blues und Tango duften - Zitate werden bestenfalls kurz angedeutet, die grandiosen Einfälle klingen mal schreckhaft, mal zart, kaum vorprobiert.

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