Der Mann, der die Studenten radikalisierte: Ohnesorg-Schütze war Stasi-Spitzel

Der Polizist Karl-Heinz Kurras erschoss 1967 den Studenten Benno Ohnesorg auf einer Demo. Nun zeigt sich: Er war ein Spitzel der Stasi. In ihrem Auftrag schoss er aber nicht.

Offenbar erschossen von einem Stasi-Spitzel: Benno Ohnesorg. Bild: dpa

BERLIN taz | Wohl kein Ereignis der bundesdeutschen Geschichte ist so gründlich untersucht und so oft dargestellt worden wie der Abend des 2. Juni 1967. Damals erschoss der Polizist Karl-Heinz Kurras den unbewaffneten Demonstranten Benno Ohnesorg. Diese Tat radikalisierte die Studentenbewegung. Dass der Täter in allen Instanzen freigesprochen wurde, obwohl nichts dafür sprach, dass Kurras in Notwehr gehandelt hatte, steigerte die Empörung der Studenten noch.

Zwei Mitarbeiter der Birthler-Behörde, Helmut Müller-Enbergs und Cornelia Jabs, sind nun auf Unerhörtes gestoßen: die 17-bändige Stasiakte des Genossen Karl-Heinz Kurras. Kurras, der nach dem Freispruch von der Westberliner Polizei als Held gefeiert wurde, war demnach seit 1955 Inoffizieller Mitarbeiter (IM) der Stasi, so heißt es in Müller-Enbergs und Jabs Aufsatz in der Zeitschrift Deutschland Archiv. Seine Dienste ließ sich der IM, der seit 1959 bei der Westberliner Polizei arbeitete, entlohnen. 1966 bekam er 4.500 D-Mark, im Frühjahr 1967 3.000 D-Mark. Die Stasi war mit Kurras hochzufrieden, vor allem nachdem er 1965 bei einer Sondereinheit der Westberliner Kripo arbeitete, die ausgerechnet Stasispitzel enttarnen sollte. "Die gestellten Aufgaben werden von ihm gewissenhaft erfüllt. Bei der Erfüllung seiner Aufgaben zeigt der K Mut und entwickelt die notwendige Initiative. Er steht treu zur DDR", so die Stasieinschätzung. Auch im Westen wusste man Kurras zu schätzen. 1966 wurde er Kriminalobermeister und bei der Sicherungsgruppe Bonn des BKA ausgebildet.

Ohnesorgs Sarg wurde im Juni 1967 per Konvoi durch die DDR nach Westdeutschland transportiert. Die DDR versuchte den Fall propagandistisch auszunutzen. FDJ und Betriebsdelegationen standen damals Spalier, um Ohnesorg als "Opfer des Militarismus" zu ehren. Ein Abgrund von Doppelmoral - war der Schütze doch ein überzeugter Parteigänger der SED.

Der Aktenfund war kein reiner Zufall, so Müller-Enbergs zur taz. Man habe gezielt nach IM und Todesfällen geforscht und sei so auf die außergewöhnlich "sorgfältig geführte Akte" gestoßen. Allerdings sei die Akte nicht vollständig und offenbar schon vor 1989 gereinigt worden. Sie enthält offenbar auch Aussagen zu den Schüssen vom 2. Juni 1967, die die Stasi in Ostberlin von Zeugen aufnahm.

Bekam seine Instruktionen von der Stasi: Kriminalobermeister Karl-Heinz Kurras (vor Prozessbeginn im November 1967). Bild: dpa

Die Berliner CDU fordert Aufklärung und hält auch einen Auftragsmord von Kurras im Dienste der Stasi nicht für "völlig ausgeschlossen". Die Indizien sprächen allerdings eindeutig gegen diese These, so Müller-Enbergs zur taz. In der Akte finden sich keine Hinweise darauf, dass Kurras Ohnesorg im Auftrag der Stasi erschoss, um Westberlin zu destabilisieren. Im Gegenteil: In Kurras SED-Parteibuch wurden nach dem 2. Juni 1967 keine Marken mehr geklebt. Die Stasi habe am 8. und 9. Juni geprüft, ob Kurras ein Doppelagent sei. Offenbar konnte sich die Stasi Kurras Schuss auf Ohnesorg nur erklären, indem sie ihn als U-Boot verdächtigte.

Der IM wurde nach dem Juni 1967 faktisch abgeschaltet. Allerdings fehlt in der Akte der Abschlussbericht, der üblicherweise Abschaltungen von IMs dokumentiert.

Die Stasi hielt Kurras Todesschuss auf Ohnesorg, laut einem Funkspruch an Kurras vom 8. Juni 1967, für einen "sehr bedauerlichen Unglücksfall". Das Westberliner Gericht sah das genauso und beschied, dass es sich bei dem Schuss um ein "ungesteuertes, nicht vom Willen beherrschtes Fehlverhalten des Angeklagten" gehandelt habe. Somit waren sich Stasi und westdeutsche Justiz quasi gesamtdeutsch einig: Kurras war unschuldig.

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