Duelle beim Ärztetag: AOK kritisiert Rationierungsstreit

Der Streit um eine Rationierung medizinischer Leistungen prägte Ärztetag. Die Krankenkasse AOK kritisiert: "Kostenerstattung nicht mehrheitsfähig".

Ab wie viel Kilo gibt es eine neue Hüfte? Eine Debatte, auf die sich Gesundheitsökonom Neubauer einlassen wollte. Bild: dpa

Zum Ende des Ärztetages in Mainz wurde am Freitag über die elektronische Gesundheitskarte diskutiert. Doch vor allem die Debatte um eine Rationierung von medizinischen Leistungen hatte das diesjährige Ärztetreffen bestimmt.

Bundesärztekammer-Präsident Jörg-Dietrich Hoppe hatte schon vor dem Ärztetag erklärt, die Leistungen für Kassenpatienten würden bereits im Stillen rationiert. Hoppe brachte einen "Gesundheitsrat" ins Gespräch, der Behandlungsranglisten erarbeiten könne.

"Wir Ärztinnen und Ärzte in Deutschland wollen keine Rationierung, keine Streichung von medizinischen Leistungen, aber wir wollen auch nicht weiter für den staatlich verordneten Mangel in den Praxen und den Kliniken verantwortlich gemacht werden", verkündete Hoppe. Wenn Geld fehle, müsse offen und ehrlich über gerechte Verteilungsmechanismen diskutiert werden.

Hoppe forderte eine "Prioritätenliste". Logische Folge einer solchen Liste ist, dass Patienten für nicht priorisierte Leistungen selbst zahlen müssen. Der Chef der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Rudolf Henke, sprang auf den Zug auf und forderte eine staatlich geförderte private Zusatzkrankenversicherung. Der Gesundheitsökonom Günter Neubauer dachte laut über die Vorteile eines Verursacherprinzips in der Krankenversicherung nach: "Ein übergewichtiger Mensch sollte seine Hüfte erst erhalten, wenn er auf Normalgewicht kommt."

Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) konterte im Fernduell. Eine Rangliste medizinischer Leistungen habe "wenig mit unseren humanitären Ansprüchen zu tun."

Die Hitze des Gefechts prägte auch den Ärztetag: Am Dienstag beschlossen die Delegierten dort, Patienten sollten künftig generell in Vorkasse für ärztliche Leistungen treten und sich das Geld dann von den Kassen zurückholen. Doch zwei Tage später war das Ganze Makulatur. In der weiteren Debatte sei klar geworden, dass vor allem ärmeren Menschen nicht zugemutet werden könne, bei der Bezahlung ihrer Behandlung in Vorkasse zu treten, erklärte Hoppe dazu. Am gleichen Tag hatten die Ärzte über Behandlungsmängel für Menschen mit Behinderungen gesprochen. Das alles passte wohl nicht zusammen.

Nach Ansicht von Klaus Jacobs, dem Chef des Wissenschaftlichen Instituts der AOK, ist eine generelle Kostenerstattung in Deutschland ohnehin nicht politisch mehrheitsfähig: "Das wird seit 20 Jahren chancenlos diskutiert. Keine Partei wird dem zustimmen", sagte er der taz.

Die Debatte um Rationierung kritisierte Jacobs als "Stimmungsmache". Statt mehr Geld für das System zu verlangen, müsse genau geschaut werden, wofür es ausgegeben werde. "Die Strukturen der Gesundheitsversorgung in Deutschland sind in hohem Maße unwirtschaftlich", betonte Jacobs und nannte "zu viele Krankenhäuser", ein unsinniges "Nebeneinander von niedergelassenen und Klinik-Fachärzten" und die Dominanz von Einzelarztpraxen als Beispiele. "Da wird Geld zum Fenster herausgeworfen."

Trotz all dieser Mängel wies er auch die Kritik am Niveau der Versorgung in Deutschland zurück: "Es gibt nur wenige Länder, wo die gesamte Bevölkerung Anspruch auf Gesundheitsversorgung auf einem solchen Niveau hat und die auch bekommt."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.