Verschuldung: Wer kann am besten rechnen?

Im Parlament prallen gegensätzliche Strategien des Umgangs mit Steuereinbrüchen aufeinander. Böhrnsen nutzt das zur Definition des "Bremisch-Seins"

Davor steckt stets ein kluger Kopf: Abgeordneter an Zahlenkolonne Bild: Henning Bleyl

"Bremen vor dem Ruin?" Erstmal eine Rauchen: Während im Inneren des Parlaments der Gong zur gleichnamigen Debatte ruft, bildet sich draußen noch rasch eine Allparteien-Zigarettenkoalition. Dabei hat Kollege Klaus-Rainer Rupp von der "Linken" kompakten Lesestoff zur Vorbereitung bereit gelegt. Auf jedem Abgeordneten-Tisch liegt ein Papier mit langen Zahlenreihen, Din A 3 im Querdruck, die Prognose der bremischen Haushaltsentwicklung bis 2020. Ganz unten rechts steht "72 Prozent": Nach Rupps Berechnungen das dann noch finanzierbare Ausgabenniveau. Für ihn ein anderes Wort für Ruin.

In der Debatte prallen gegensätzliche Philosophien aufeinander, am ausgeprägtesten in den Kleinparteien: Die "Linke" will die Handlungsfähigkeit des Staates durch Verschuldung sichern - wenn schon die Verbesserung der Einnahmeseite durch groß angelegte Steuerumverteilungen nicht durchsetzbar ist. Das Neuverschuldungsverbot, das kommendes Frühjahr im Grundgesetz verankert werden soll, führe also zum Kollaps, konkret zu den errechneten 72 Prozent. Schwer vorstellbar, wie Bremen dann aussähe - wo doch sogar 95 Prozent des aktuellen Haushalts durch gesetzlich vorgeschriebene Sozialleistungen und vertraglich festgelegte Zahlungen gebunden sind.

Für die Grünen hingegen stirbt der Staat durch Verschuldung. Deren Haushaltssprecher Hermann Kuhn verweist auf den jährlich von Bremen zu leistenden Zinsdienst von über einer halbe Milliarde Euro: "Aus dieser Falle müssen wir heraus." "Wir werden auf keinen Fall schonungslos sparen", verspricht die grüne Finanzsenatorin Karoline Linnert. Sondern "intelligent". Beispiel Freizeitheime: Durch deren Zusammenarbeit mit Ganztagsschulen würden möglicherweise Gebäude frei. Im Stadtamt gebundene Kapazitäten ließen sich eventuell durch den Aufbau eines mobilen Bürgerservices verringern, die hohe Quote stationärer Werkstattarbeit für Behinderte durch ambulante Betreuungskonzepte mindern. Im übrigen - jetzt kommt der Seitenhieb auf Rupp - sei das Fortschreiben von Excel-Tabellen das Gegenteil von Politik.

Für die FDP hingegen lobt Uwe Woltemath Rupps Fleißarbeit - um sich dann ungerührt zum Konzept "Vermögensveräußerung" zu bekennen. Neben dem Flughafen gehört derzeit insbesondere die Brepark zu den Lieblingsobjekten auf der von den Liberalen geführten Liste veräußerbarer Werte.

Zwischen diesen Positionen lavieren die Volksparteien: SPD-Fraktionschef Carsten Sieling arbeitet bemerkenswert dezidiert heraus, dass das geplante Verschuldungsverbot in "außergewöhnlichen Notfällen" Ausnahmen zulasse. Die CDU wiederum drischt auf die ungehemmte Bremerhavener Ausgabe-Mentalität ein - ohne zu erwähnen, dass man dort nach wie vor an der Regierung beteiligt ist.

Zu all dem muss jetzt auch mal der Bürgermeister etwas sagen: Jens Böhrnsen hat sich für das Ansinnen der Linkspartei, wegen der implizierten Schuldenbremse die Zustimmung zur Föderalismusreform zu verweigern, ein vernichtendes Wort ausgedacht: ein solches Ansinnen sei "unbremisch". Harter Tobak - darauf muss man erst Mal eine rauchen.

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