Mission des Songwriters Neil Young: Der Hybrid-Hippie

Songwriter Neil Young öffnet sein Archiv, bringt eine DVD-Box und ein neues Album heraus. Doch vor allem setzt er sich mit alten Schlitten für neue Ökotechnik ein.

Gründlicher Arbeiter: Neil Young 2008 auf der Berlinale. Bild: dpa

Was für eine Szene. Da fährt ein älterer Herr mit Sonnenbrille, loser Krawatte und Hut in einem dicken Straßenkreuzer aus der Rock-n-Roll-Steinzeit und verübt am Lenkrad Bewegungen, für die man ihn sofort aus dem Verkehr ziehen möchte. Wäre der Betreffende nicht Neil Young.

Der Rockstar zuckt und schwankt schon bedenklich, sein auf MySpace zu sehender Werbeclip dient dazu, für sein neues Album "Fork in the Road" die Werbetrommel zu rühren. Aber ein wenig neolithisch hat sich der Kanadier ja stets zu seiner Musik bewegt. Die Inszenierung des fahrenden Sängers hat aber auch einen tieferen Sinn. Es geht Neil Young um den amerikanischen Traum. Auch wenn er bis heute keinen amerikanischen Pass besitzt. Um die Rettung des Schönen und Guten mit den Mitteln des 21. Jahrhunderts. Das gilt für die Musik wie fürs Autofahren.

Young wettert wie eh und je gegen Krieg, Unterdrückung, Rückständigkeit und Rassismus. Er mahnt die Verbrechen an den Indianern an und setzt sich für den Umweltschutz ein. Und so sitzt der inzwischen 63-Jährige am Steuer eines umgebauten Lincoln Continental. Er singt vom Unterwegssein, aber auch vom Spritverbrauch.

Von seinem Wagen, den Young mit einer Hybridmaschine ausgestattet hat, wird noch zu reden sein. Über das neue Album muss man hingegen nicht viele Worte verlieren. Die Musik ist höchstens ordentlich-krachiger Garagenrock mit satten Riffs und rotzigem Gesang. Young stampft und schnauft, wirkt bewundernswert agil, aber "Fork in the Road" ist eher nichts für die Geschichtsbücher.

Wie gut, dass Neil Young fast zeitgleich ein anderes Großprojekt vom Stapel lässt. Eines, das für seine Fans gerade noch mit der Entdeckung des Heiligen Grals vergleichbar ist: Seit fast 20 Jahren hat der Singer-Songwriter dieses Projekt immer wieder angekündigt, aber auch beständig verschoben. Nun erscheint "Neil Young Archives Vol. 1", die monumentale Werkschau eines der größten Songwriter des neuen American Songbook. Viele unveröffentlichte Songs der frühen Jahre (1963-1972) sind darauf enthalten, unbekanntes Material, überreichlich Extras - all das in einem völlig neuen Format. Wie bei seinem Auto gilt auch hier: "Pimp the Past". Motze die Vergangenheit auf, bis sie für die Zukunft gerettet ist und Technologie und Nostalgie miteinander versöhnt sind.

Folge 1 der "Archives" umfasst zehn reich bestückte DVDs, wahlweise deren hochgezüchtete Nachfolger Blu-ray, mit dickem Begleitbuch; auch eine CD-Fassung haben die Fans gefordert; allein, Young will sie dennoch zur Blu-ray bekehren.

Das neue Format bietet, was sonst nur das Internet kann: Neben den mehr als 80 Songs gibt es massenhaft Filme, Links und Clips. Die Ästhetik ist den Fünfzigern entlehnt, genau wie das Chassis von Youngs Auto. Der Teufel steckt auch hier unter der Haube: Auf Knopfdruck fährt die Schublade einer alten Hängeregistratur auf, vergilbte Karteikarten schnellen heraus und liefern zu jedem Titel Fakten. Dazu gibt es Neil Young im Radio zu bewundern, im Fernsehstudio, bei der Probe (etwa für das Album "Harvest" 1971 in seiner Scheune) oder als skurriler Anpreiser von Dosenbier. Man hört Liedansagen, liest Manuskripte, begutachtet diverse Memorabilia und erhält die Songtexte. Wo bewegte Originalbilder fehlen, drehen sich Platten und Tonbänder umrankt von alten Dokumenten: nostalgisch, detailverliebt, wunderbar. Young verspricht weitere Materiallieferungen zum Download. Beachtlich für einen altmodischen Rockdinosaurier und schlicht ein Meilenstein für die Aufbereitung von Backkatalogen in Zeiten von YouTube.

Beim Durchwühlen seiner Archive folgt man Neil Young auf einer Reise von der Volljährigkeit 1963 bis zur Frühvollendung 1972. Neun Jahre, in denen Young vom Gitarristen einer mittelmäßigen kanadischen Beatkapelle rasant zum Anführer der kalifornischen Hippies wird und sich nebenbei zum brillanten Songwriter entwickelt. Zu jener Zeit sieht Young älter aus, als er es tatsächlich ist. Wie ein Indianer in schlechter Haltung sitzt er an der Gitarre und am Klavier, um fragile Folk-Melancholie zu erfisteln. Er kann auch ein nahbarer, lässig-witziger Conferencier sein. Die mühseligen Anfänge bleiben nicht ausgespart: Der 17-jährige Neil Percival Young aus der kanadischen Provinz Manitoba liefert mit den Squires Instrumentaldutzendware im Stile der britischen Shadows ab. Er singt auch, wird aber vom Publikum höhnisch an die Gitarre zurückbeordert. Das konventionelle "I Wonder" ist das erste, unveröffentlichte Zeugnis - Youngs Stimme zittert schon, wie sie immer zittern wird, hat sich aber noch nicht gefunden.

Die meisten der 23 unveröffentlichten Songs stammen aus dieser Frühzeit. Die Geburt eines Songwriters lässt sich so nachvollziehen: Mit Highschool-Kumpel Comrie Smith schrammelt Young ein halbes Dutzend Kompositionen ein. Eine sticht auffällig heraus: "Sugar Mountain", da ist er 19, viele Jahre später wird das Lied der verlorenen Jugend ein Klassiker.

1971, Neil Young ist inzwischen 26 Jahre alt und lebt seit sechs Jahren in Amerika (die letzten beiden sogar legal), hat er bereits zwei legendäre Bands geprägt und aber auch verschlissen: Seiner zu früh zertrümmerten Band Buffalo Springfield schenkt der Gitarrist den Ausnahmesong "Mr Soul", die Hippie-Lieblinge Crosby, Stills & Nash macht er von Chorsängern zu Leitfiguren. Er hat damals bereits vier Soloalben veröffentlicht, darunter das großartige "Everybody Knows This Is Knowhere", 1969, und das erfolgreiche "Harvest" mit der Sirup-Ballade "Heart of Gold" - und residiert nun als steinreicher Hippie auf einer Ranch im Norden Kaliforniens.

Legendär angriffslustig

Der Erkenntnisgewinn der "Archives"? Rein musikalisch bleibt festzustellen, Neil Young war schon immer der gründlichere Arbeiter als Bob Dylan - der andere große Archivar des amerikanischen Traums. Dylans vergleichsweise stümperhaft analog dargebotenen "Bootleg Series" boten erstaunliche Songvarianten. Dagegen nimmt gerade Youngs Stärke als gewiefter Songwriter den "Archives" sogar etwas von ihrer Spannung - viele der enthaltenen Outtakes sind überraschungsarm.

Dafür ist sein Rückschau-Film "Journey through The Past" erstmals seit 1973 wieder zu sehen. Es ist ein Film, wie ihn Rockstars gerne von sich präsentieren, mit Backstageszenen, Reisen und Begegnungen zwischen Konzerten und Hotel-Geplänkel. Der legendär schlecht gelaunte und angriffslustige Neil Young fehlt in all diesen Bildern. Sie erzählen auch nichts vom Leben im Hippie-Nest Topanga, wo sich Young mit dem irren Mörder Charles Manson anfreundete. Insgesamt ist die Reise durch die Unschuldsjahre des Rock also etwas zu idyllisch ausgefallen. Auch, wenn Young in einem seiner Schlüsselsongs - im Heroin-Lied "The Needle And The Damage Done" - besingt, wie er viele seiner Gefährten verglühen sah.

Die "Archives" enden mit einer positiven Note: Young ruht sich bei Dosenbier in goldenem Herbstlicht zwischen Feldern und Wiesen auf seiner Farm vom Ruhm aus und betrachtet stolz die alte Scheune, aus der die "Harvest"-Musik über die rollenden Hügel dröhnt: "Hörst du das Echo? Abgefahren." Im selben Jahr, 1972, wird der Club of Rome das Ende des Wachstums postulieren.

Neun Meilen pro Gallone

Erst heute tritt der Althippie Young mit neuen Erkenntnissen zur ökologischen Revolution an. "Just singing a song wont change the world". Darum fährt Young nun im Promovideo für sein neues Album in einem Lincoln Continental Convertible, einem Zwei-Tonnen-Monster von absurder Schönheit, das den Mythos der freien Highways beschwört. Und eigentlich abgewrackt gehört, weil es mit einer Gallone Sprit (3,78 Liter) gerade einmal neun Meilen Freiheit schafft. Die Karre soll dank modernster Hybridtechnik am Ende aber 100 Meilen pro Gallone reißen und zeigen, dass man nostalgisch und fortschrittlich, konservativ und ökologisch zugleich sein kann. Genau wie Neil Youngs Musik. Angekommen ist er derzeit aber erst bei 65 Meilen pro Gallone.

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