"Erwachsen auf Probe": RTL kriegt kostenlos Krawall

So viel kostenlose Werbung kriegt man selten. Gleich 60 Verbände wollen die Ausstrahlung von "Erwachsen auf Probe" auf RTL verhindern. Dabei finden nicht mal die Jugendämter etwas dabei.

Lässt 60 Verbände schäumen: Mutter Katrin (31) übergibt Tamara (17) und Basti (18) den neun Monate alten Lasse. Bild: promo, rtl

BERLIN taz | "Du bist 14 Jahre oder älter ..", heißt es auf der Website, "und Du hast Lust, auszuprobieren, wie sich der 'Beruf Mutter' bzw. der 'Beruf Vater' anfühlt? - Dann kannst Du ein Wochenende lang an einem Elternpraktikum teilnehmen".

Doch halt, hier geht es nicht um das umstrittene RTL-Format "Erwachsen auf Probe", bei dem Eltern ihre kleinen Kinder vorübergehend an Jugendliche abgeben.

Es geht um ein Angebot der Stelle für "Kommunale Jugendarbeit/Kreisjugendpflege" im Landkreis Lindau am Bodensee. Und die jungen Menschen bekommen natürlich auch kein echtes Menschlein, sondern "mit Einverständnis Deiner Eltern einen computergesteuerten Babysimulator mit nach Hause, den Du allein oder zu zweit als Elternpaar versorgst, fütterst, wickelst, beruhigst".

RTL will dagegen ab kommenden Mittwoch sieben Folgen lang mit echten Kindern punkten: "Erwachsen auf Probe" heißt das Format, und schon seit Wochen tobt eine heftige Debatte um das Format. Inzwischen machen 60 Organisationen auf Initiative der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (BKE) gegen die Sendung Front.

Die Verbände - vom Aktionskomitee "Kind im Krankenhaus" (AKIK) bis zum Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) sehen laut Erklärung "in diesem Experiment ein erhebliches Risiko, gerade für die Babys, die ohne Not einem erheblichen Stress ausgesetzt wurden".

Die Liste der Unterzeichner umfasst renommierte Institutionen wie den Deutscher Kinderschutzbund oder Pro Familia. Allen Kindern drohten in der angespannten Atmosphäre des Drehortes schwere Belastungen. "Die Anwesenheit einer Alibi-Psychologin nützt da gar nichts", ätzen die Verbände.

Auch Familienministerin Ursula von der Leyen hatte sich gegen die Produktion von "Erwachsen auf Probe" ausgesprochen. Nach Berichten des Mediendienstes DWDL wurde sogar in zwei Fällen Strafanzeigen gegen die Sendung erstattet.

Laut Sendungskonzept – das TV-Format stammt ausgerechnet von der hochseriösen britischen BBC – kümmern sich die Teenagerpärchen zunächst um Babys. Dann kommen nach RTL-Angaben Kleinkinder, anschließend Kinder im Grundschulalter und zuletzt Jugendliche an die Reihe. Im Protest der Verbände firmieren diese übrigens unter dem Stichwort "Halbstarke".

RTL erklärte, selten sei ein TV-Programm "noch vor Ausstrahlung so vorverurteilt worden". Die Sendung sei von der zuständigen Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen freigegeben und "die Behauptung, beteiligte Kinder seien unkalkulierbaren körperlichen und seelischen Risiken ausgesetzt, falsch". Die Eltern und Mütter seien vielmehr fester Bestandteil der Sendung gewesen und hätten ihre Kinder die ganze Zeit begleitet.

Kritiker hatten auch Jugendämter aufgefordert, einzugreifen. Dort sah man laut DWDL vergangenen Freitag nach einer ersten Vorführung bei RTL selbst kein Problem. Die für Jugendschutz zuständige Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) hat angekündigt, "Erwachsen auf Probe" gleich nach Ausstrahlung der ersten Folge zu prüfen. Eine Vorab-Prüfung ist wegen des Zensurverbots nicht statthaft.

RTL will laut Geschäftsführerin Anke Schäferkordt in jedem Fall an der Ausstrahlung am 3. Juni um 20.15 Uhr festhalten: "Wir haben das Wohl der mitwirkenden Kinder, Paare und Eltern fest im Blick", sagte sie der Bild-Zeitung.

Genauso fest im Blick dürfte man bei RTL die positive Seite des Konflikts haben: Soviel kostenlose Werbung für neues TV-Format kriegt man selten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.