Debatte Afghanistan: Unser Krieg

Betroffenheit über den Tod deutscher Soldaten reicht nicht. Es muss eine ergebnisoffene Debatte über den Einsatz in Afghanistan folgen.

Ein Land beteiligt sich an einem Krieg. Ab und zu geraten die Truppen dieses Landes tatsächlich in direkten Kontakt mit bewaffneten Kontrahenten. Dabei werden auch eigene Soldaten getötet. Ist das eine Nachricht? Für deutsche Journalisten schon. Deutschland beteiligt sich im Rahmen der "Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe" Isaf an einem Krieg. Dennoch tauchen getötete oder verletzte Soldaten prominent in der "Tagesschau" und auf den Titelseiten aller wichtigen Zeitungen auf. So auch in dieser Woche wieder, als in Afghanistan drei Bundeswehrsoldaten ums Leben kamen.

ist Politikwissenschaftler und lebt als freier Autor in Berlin. Er promovierte über US-Militärstrategien. Sein Buch "Wir Gutkrieger. Warum die Bundeswehr im Ausland scheitern wird" ist im März im Campus Verlag erschienen. (www.wir-gutkrieger.de)

Würden die Medien in den Vereinigten Staaten oder Großbritannien ähnlich auf Tote unter ihren Truppen in Afghanistan reagieren, sie hätten kaum noch Platz für andere Meldungen. Für amerikanische und britische Truppen, ebenso Teil der Nato-Truppe Isaf, gehören Töten und Sterben zum Einsatz. Dort ist klar: Man befindet sich im Krieg. In Kriegen gibt es Tote. Und Tote kann es auch in den eigenen Reihen geben.

Für die deutsche Öffentlichkeit sind Töten und Sterben noch nicht Routine. Die jetzt in vielen Medien bezeugte Betroffenheit dürfte deshalb echt sein. Denn als Krieger fühlen sich die Deutschen nach wie vor unwohl. Das ist sympathisch und eigentlich beruhigend. Die Mehrheit der Deutschen ist groß geworden, ohne dass sich eigene Soldaten im Krieg befinden. Und für diejenigen, die den Zweiten Weltkrieg noch erlebt haben, ist der Einsatz von Militär vor allem als Weg in eine selbst verschuldete Katastrophe in Erinnerung geblieben. Krieg ist für sie eine existenzielle Bedrohung, denn der Krieg fand auch zu Hause statt.

Selbst während der Ost-West-Konfrontation war klar, dass der Krieg, den beide Seiten mit Aufwand und Akribie vorbereiteten, nicht irgendwo am anderen Ende der Welt stattfinden würde. Das theater of operations, das Einsatzgebiet der Bundeswehr, wäre der eigene Vorgarten gewesen. In Deutschland geht die Normalisierung des Kriegs deshalb nur schleppend voran. Das ist die eine mögliche Interpretation. Sie wäre beruhigend.

Doch so weit nur der wohlwollende Blick. Jetzt aber wird es beunruhigend. Denn so sympathisch und angemessen es ist, dass jedes einzelne Todesopfer unter den Bundeswehrsoldaten noch gezählt wird und eine Meldung wert ist, kann dies auch ein Zeichen dafür sein, dass die Toten und Verletzten als Opfer von Unfällen, als bedauerliche Ausnahmen betrachtet werden. Denn die Todesfälle werden als Ergebnis vermeidbarer Fehler dargestellt. Die Stellungnahmen, die auf die blutigen Nachrichten aus den Einsatzgebieten der Bundeswehr folgen, sind entweder ein Zeichen für fahrlässige Naivität oder ein Beleg für Verlogenheit. Das Ergebnis ist in beiden Fällen das Gleiche: eine anhaltende Diskussionsverweigerung.

Wenn etwa der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Reinhold Robbe, angesichts der Toten unter deutschen Soldaten in Afghanistan in dieser Woche ein "klares Bekenntnis" der Öffentlichkeit zu dem Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr einfordert, dann vergisst er, dass es ein Bekenntnis nur geben kann, wenn zuvor eine Auseinandersetzung stattgefunden hat. Eine ergebnisoffene Debatte über die Auslandseinsätze der Bundeswehr, und insbesondere über den Einsatz in Afghanistan, hat aber bislang nicht stattgefunden. In der Öffentlichkeit nicht, weil dort das Ausmaß der deutschen Einsätze unterschätzt wird. Und im Parlament nicht, weil es eine ganz große Koalition für die Weiterführung des Einsatzes gibt.

Die Wortmeldungen der versammelten deutschen Wehrpolitiker in den Tagen nach den neuesten Todesmeldungen aus Afghanistan lassen nicht hoffen, dass sich daran etwas ändert. Es wird darüber lamentiert, dass dringend Kampfhubschrauber gebraucht würden und der Eurofighter zum Einsatz kommen solle. Suggeriert wird, dass mit besserer Ausstattung, mit ein paar technischen Tricks, künftig eigene Opfer vermieden werden können. Dabei will man nicht einmal öffentlich darüber reden, dass die neue Strategie der US-Regierung, die auf den verstärkten Einsatz von Bodentruppen und weniger Luftangriffe setzt, vor allem bedeuten wird, dass es mehr und nicht weniger Tote in den Reihen der Isaf, also auch der Bundeswehr geben wird.

Wer aber das Vorgehen in Afghanistan debattieren will, der muss zunächst anerkennen, dass sich Deutschland im Krieg befindet. Selbst führende deutsche Militärs der Bundeswehr sind in dieser Frage sehr viel ehrlicher und agieren rationaler als die für die Bundeswehr zuständigen Parlamentarier und Minister.

Es gilt anzuerkennen, dass sich Kriege und Konflikte grundlegend geändert haben. Ein Krieg findet eben nicht nur dann statt, wenn zwei ähnlich gerüstete, staatlich organisierte Konfliktparteien aufeinandertreffen. Würde man dieses Bild ernst nehmen, wie es von Verteidigungsminister Franz-Josef Jung in den letzten Tagen wieder einmal vertreten wurde, dann gäbe es längst keine Kriege mehr.

Solche Lächerlichkeiten müssen aufhören. Wer eine Kriegsbeteiligung in Afghanistan für notwendig und vernünftig hält, sollte dies genau so sagen und auf die Konsequenzen hinweisen. Keine Frage: Sollten sich Bundesregierung und Parlament dazu durchringen, das Geschehen in Afghanistan eines Tages als Krieg zu bezeichnen, wäre natürlich weder die Zukunft Afghanistans noch die der Bundeswehr geklärt. Aber eine notwendige Voraussetzung für die Aufnahme einer ausgefallenen Debatte wäre geschaffen.

In dieser Auseinandersetzung kann es nicht nur darum gehen, wie und wo man die Welt gerne viel besser und schöner machen möchte. Wer sich dafür entscheidet, dass die Kriegsbeteiligung der Bundeswehr notwendig ist, der sollte auch sagen, dass verletzte, traumatisierte und eben tote Bundeswehrsoldaten dazugehören. Es muss ausgesprochen werden, welche menschlichen, finanziellen und gesellschaftlichen Kosten durch eine Kriegsbeteiligung der Bundeswehr entstehen. Es muss ausgesprochen werden, was damit realistisch erreicht werden kann und was nicht. Und es muss gefragt werden, ob die Gesellschaft bereit ist, diesen Preis zu zahlen.

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