Filmfest München: Linke Aufarbeitung

Beim Filmfest München setzen sich deutsche Filme mit der Zeitgeschichte nach 68 auseinander. Die Filme über Linke reichen von der APO bis zum bewaffneten Kampf.

Weltpremiere von "Es kommt der Tag" in München - u.a. mit der Schauspielerin Iris Berben (li.). Bild: dpa

MÜNCHEN taz | Sie schicken junge Frauen auf Rachefeldzüge gegen Mütter, die im politischen Kampf ihre Kinder vernachlässigten. Sie verfolgen die konträr verlaufenden Biografien von Anwälten, die einst eine linke Utopie verteidigten. Und sie befragen die Mitstreiter von Rudi Dutschke, um der Faszination des Studentenführers auf die Spur zu kommen. Ist es Zufall oder ein kleiner Trend? Auf dem diesjährigen Münchner Filmfest begegnete man einer Handvoll jüngerer Regisseure, die sich die Beschäftigung mit 68 und den Folgen auf die Fahne geschrieben haben.

Zunächst glaubte man sich zurückversetzt in jene Zeit, als der deutsche Film eine direkte und indirekte Auseinandersetzung mit der Politik der Eltern- und Großelterngeneration suchte. Der neue deutsche Film der Sechziger- und Siebzigerjahre wollte die Verdrängung der Wirtschaftswunderjahre aufbrechen, die Älteren zur Rechenschaft zwingen. Auf den ersten Blick scheint es denn auch, als schicke Susanne Schneider die Heldin ihres Films "Es kommt der Tag" auf eine ähnliche Mission: Plötzlich steht Alice (Katharina Schüttler) vor der Tür ihrer Mutter (Iris Berben), einer Exterroristin, die sich eine neue Identität als Winzerin im Elsass aufgebaut hat.

Alice hält der Mutter, von der sie einst verlassen wurde, die Fotos eines erschossenen Mannes unter die Nase. "Warum war das nötig?", will sie wissen, "und warum hast du dich nicht um mich gekümmert?" Der revolutionäre Wille scheint sich in den Körper von Iris Berbens Figur eingeschrieben zu haben. Sie weicht dem aggressiven Blick der Tochter, den wütenden Hasstiraden nicht aus, doch statt einer wirklichen Auseinandersetzung zwischen den Generationen bekommt der Zuschauer eine tränenreiche schauspielerische Tour de Force geboten.

Immer lauter schreien und brüllen sich die Kontrahentinnen an, als wollten sie darüber hinwegtäuschen, dass sie keine wie auch immer geartete Position beziehen, sondern Chiffren eines letztlich rein privaten Konflikts bleiben. Unentwegt wirft die Tochter den ihr zugefügten Schmerz in den Ring, während die Mutter hinter abgedroschenen Politparolen in Deckung geht. Einmal holt sie zum Gegenschlag aus: "Du machst mich doch nur für dein verpfuschtes Leben verantwortlich." Die Mühe, dieses verpfuschten Leben zumindest zu skizzieren, macht sich Susanne Schneider nicht. So stellt sich die Frage, aus welcher Gegenwart der Angriff auf die Vergangenheit hier eigentlich erfolgt.

Auch der Dokumentarfilm "Die Anwälte" geht mit seinen Protagonisten ins Gericht, und zwar buchstäblich. In einem Verhandlungssaal interviewt Birgit Schulz den ehemaligen Innenminister Otto Schily, den Grünen-Abgeordneten Hans Christian Ströbele und den mittlerweile im rechtsradikalen Lager agierenden Horst Mahler.

Damit kehrt die Regisseurin zu dem Schauplatz zurück, an dem die drei Anwälte vor fast vier Jahrzehnten noch am selben linken Strang zogen. Ein Foto aus der gemeinsamen Kampfzeit wird zum Ausgangspunkt eines Films, der brav und beflissen Archivaufnahmen zwischen die Kommentare der Porträtierten montiert. Bei aller Fleißarbeit scheut sich Birgit Schulz jedoch, die Interviewten mit eigenen, querschlägerischen Fragen aus der Reserve zu locken.

Selbstgerechtigkeit

Unwidersprochen lässt sie Otto Schilys Selbstgerechtigkeit stehen ("Nur ein Idiot ändert sich nicht") und bestätigt seine Politik durch die Auswahl des historischen Materials. Bevor Schily auf seine Sicherheitspakete nach den Anschlägen von 9/11 zu sprechen kommt, werden in aller Ausführlichkeit Bilder des Attentats gezeigt.

Regisseur Stefan Krohmer und sein Drehbuchautor Daniel Nocke werfen in ihrem ZDF-Dokudrama "Dutschke" von Anfang an einen weniger autoritätsfixierten Blick auf die Politprominenz der 60er. Für sie ist die Leitfigur der Studentenbewegung erklärtermaßen eine Leerstelle, die sie durch Spielfilmsequenzen (mit einem charismatischen Christoph Bach als Dutschke) sowie mit Interviews mit seinen Mitstreitern und seiner Witwe einkreisen wollen.

So entsteht das Porträt eines Mannes, dessen Glaubwürdigkeit und Sendungsbewusstsein nicht verloren geht, obwohl die verschiedenen Lager und Positionen die Deutungshoheit für sich beanspruchen. Außerdem gibt es bei "Dutschke" etwas zu lachen, etwa wenn Gaston Salvatore selbstgefällig über seinen späteren künstlerischen Werdegang schwadroniert, die Kamera zurückfährt und die drei Flaschen Wein zeigt, die während des Interviews getrunken wurden. Oder wenn Salvatore und Bernd Rabehl, ein weiterer Dutschke-Gefährte, ihre damaligen Eifersüchteleien in den Interviews fortführen.

In jedem Fall ist es interessanter, die politischen Ideen der Elterngeneration mit dieser Mischung aus Humor und Neugierde zu beleuchten, als sie ohne sonderlichen Erkenntnisgewinn in den Orkus zu schicken.

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