Schulleiter über Lehrermangel: "Sicher gibt es Ressentiments"

Weil bald 40.000 Lehrkräfte für Mathe oder Chemie fehlen, sollen OsteuropäerInnen einspringen, fordert Heinz-Peter Meidinger vom Philologenverband.

"Wenn die Person überzeugt und bei den Schülern gut ankommt, dann sind die Vorurteile schnell beendet", schätzt Heinz-Peter Meidinger. Bild: dpa

taz: Herr Meidinger, Sie warnen davor, dass sich der Lehrermangel extrem verschärfen wird - 30.000 bis 40.000 Lehrkräfte sollen fehlen. Woran liegt das?

Heinz-Peter Meidinger: Wir haben in Deutschland derzeit 700.000 Lehrkräfte. In den nächsten zehn Jahren werden starke Jahrgänge, also 300.000 Lehrer, in Ruhestand gehen. Gleichzeitig haben Ende der 90er-Jahre nur wenige ein Lehramtsstudium begonnen, weil es damals eher Lehrerarbeitslosigkeit gab. Die werden jetzt fertig, aber es sind nicht genug.

Aber es soll doch einen Geburtenrückgang geben und damit also weniger Schulkinder?

Das wird wegen der Massen, die in Ruhestand gehen, den Lehrermangel nicht aufheben.

In welchen Fächern sind die Lücken am größten?

80 Pozent des Lehrermangels gibt es in den MINT-Fächern: Mathe, Bio, Chemie und so weiter. Die Lücke hat damit zu tun, dass viele angehende Lehrer vor der Krise in die Wirtschaft gegangen sind, zu Siemens oder BMW, statt ein weniger gut bezahltes Referendariat zu machen. Und 90 Prozent der Lehramtsstudierenden sind Frauen, unter denen nur ein geringer Prozentsatz Naturwissenschaften studiert.

In einigen Bundesländern wie Brandenburg beschwert sich die Lehrergewerkschaft GEW, dass, obwohl Unterricht ausfällt, weniger Lehrerstellen geschaffen werden, als es Anwärter gibt.

Das stimmt, eine Reihe von Ländern haben sogar Referendariatsplätze kontingentiert - einige haben Lehrermangel, stellen aber nicht genug Referendariatsplätze zur Verfügung. Das sind Sparmaßnahmen.

Bei so einer Politik kann man doch eigentlich keinem Abiturienten raten, wegen "Lehrermangel" ein Lehramtsstudium zu beginnen, oder?

Der Rat, in einem MINT-Fach Lehramt zu studieren, ist auf jeden Fall richtig. In Fächern wie Deutsch, Geschichte oder Sozialkunde steuern wir eher auf ein Überangebot zu. Da müsste man sich von Land zu Land die Lehrerbedarfsprognose der Kultusminister ansehen.

Der Deutsche Philologenverband, den Sie vertreten, schlägt wegen des Lehrermangels auch vor, osteuropäische Lehrer einzustellen. Wie soll das funktionieren?

Das ist nur einer unserer Vorschläge. In osteuropäischen Ländern gibt es genug Lehrer in MINT-Fächern. Für die, die gute Deutschkenntnisse mitbringen, was in Tschechien oder Polen der Fall ist, wäre es eine Idee, einen Austausch zu organisieren. Die osteuropäischen Länder brauchen 300 bis 500 Deutschlehrer von uns, und wir könnten dafür für einen begrenzten Zeitraum MINT-Lehrer von dort einstellen.

Was glauben Sie, wie die Eltern das finden?

Sicher könnte es Ressentiments geben. Aber letztlich ist es eine Frage der einzelnen Lehrerpersönlichkeit. Wenn die Person überzeugt und bei den Schülern gut ankommt, dann sind die Vorurteile schnell beendet.

Entspricht die Didaktik in Osteuropa dem Lehrstil an deutschen Schulen?

Nein, sie setzen eher auf einen traditionellen Lehrstil - zum Beispiel redet im Matheunterricht 45 Minuten lang nur der Lehrer und rechnet Aufgaben vor, ohne Schülerbeteiligung. Da müssten die Lehrkräfte hier erst eine Fortbildungsmaßnahme in Didaktik bekommen.

Könnten sich dann die Kultusminister schon auf billige polnische und tschechische Lehrkräfte freuen?

Nein, einstellen muss man sie nach Tarif. Der könnte zwar immer besser sein, aber für Lehrer aus Osteuropa ist das Gehalt sicher ein Anreiz, zu kommen.

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