Kolumne Laufen: Auf dem Rücken der Sportler

Die Taz boykottiert die Leichtathletik-WM. Aber wem bringt das was?

Bei meiner ersten Reise vor vielen Jahren nach Afrika war ich überwältigt von der Landschaft und den Menschen, doch ich war auch sehr ängstlich. Überall sah ich Gefahren. Wilde Tiere, giftige Pflanzen und unheilbare Krankheiten übertragende Mücken. Zufällig traf ich im selben Hotel in Eldoret den Zehnkämpfer Guido Kratschmer. Nie bin ich ihm als Athlet begegnet, er beendete seine Karriere, als meine begann, doch er sah immer noch so aus, als würde er im Zehnkampf mehr als 8.000 Punkte machen.

Er war groß und athletisch. Zu meiner Verwunderung marschierte er durch das Land und aß wilde Früchte von Bäumen, beobachtete kleine Insekten auf seiner Hand und trank das Wasser aus der Hotelleitung. "Das schmeckt besser als in Frankfurt", sagte er.

Guido Kratschmer ist Biologe. Im Gegensatz zu seinem imposanten Äußeren spricht er leise und mit Bedacht. Wenn er mir die Tier- und Pflanzenwelt Afrikas erklärte, dann klang das fast zärtlich. Es machte Spaß, ihm zuzuhören. Mit einem Male hatte ich das Gefühl, die Gefahren besser einschätzen zu können. Selbst im El-Niño-Jahr mit sintflutartigen Regenfällen lief ich durch hüfthohe Wasserbäche, fiel dabei in Löcher und versank bis zum Hals in Schlammmassen. Die auf der Wasseroberfläche schwimmende Malariafliege schaute mir direkt ins Auge. Angst? Überhaupt nicht. Afrika war für mich über viele Jahre zum Magnet geworden.

Interessant ist auch die sportliche Geschichte von Guido Kratschmer. Für das Olympiajahr 1980 war alles gerichtet. Er war bereit, Weltrekordler im Zehnkampf. Wer sollte ihn schlagen? Dann kam der Boykott der Spiele und der Traum war aus. Kratschmer erzählte mir darüber fast genauso zärtlich, als würde er mir die Blüte einer schönen Pflanze erklären. Vier Jahre später kam der Gegenboykott. Auf Geheiß von Moskau blieb die Weitspringerin Heike Drechsler zu Hause. Es hätten ihre Spiele werden können.

Auf dem Rücken der Athleten wurden, wie man damals glaubte, hehre Ziele verfolgt, doch hat man mit dem Fernbleiben die Welt verändert? Auch die öffentlichen Fernsehanstalten boykottierten. Sie sendeten nichts mehr von der Tour de France 2007. Grund war damals der Dopingsumpf. Und? Erstens sprang Sat.1 sofort ein, und sonst? Ist es sehr viel anders geworden? Auch unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel boykottierte einmal. Ihre Sprecher nannten das natürlich nicht so, doch der Eröffnungsfeier bei den Olympischen Spielen von Peking blieb sie fern. Hat es die Politik Chinas beeinflusst?

Jetzt also sagt die taz ihre Teilnahme an der Leichtathletik-WM ab. Am restriktiven Verhalten der allmächtigen Sportorganisatoren wird dies nichts ändern. Zumal dies fast immer im Doppelpass mit der Politik geschieht. Boykotte bringen nur dann etwas, wenn alle mitmachen. Ansonsten bleibt fast nur der Weg, hinzugehen und den Leuten auf die Finger zu schauen.

Schade ist das Fernbleiben der Redakteure vor allem für die Athleten. Welches taktische Geschick legen junge Athleten im Vorlauf an den Tag. Lassen sie sich von Stars oder der Kulisse beeinflussen? Ist eine Überraschung möglich? Ein Carsten Schlangen oder Robin Schembera gehen im Mainstream der Medien unter. Für die taz wären sie Geschichten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.