Kolumne Speckgürtel: Vom Mitlaufen beim Einlaufen

Wie sich doch die Bilder gleichen: Mein Auftritt als WM-Sänger erinnert mich fatal an meinen antiimperialistischen Sportsgeist.

Es war ganz einfach. Rein ins Olympiastadion, rauf aufs Marathontor, singen, Applaus. Das Ganze ohne jede Personalienkontrolle sowie in Sichtweite der Kandesbunzlerin, von Bundespräsi Köhler und dem obersten Sportüberwacher Schäuble. Wer hätte gedacht, dass es so einfach ist, ohne irgendwelche Sicherheitschecks und einzig ausweislich eines Teilnehmershirts direkt ins Herz der Finsternis vorzustoßen.

Die Sache ist die: Ich war dabei am Samstag im Olympiastadion, und zwar nicht als eine von 70.000 normalen Zuschauern, und schon gar nicht natürlich als Berichterstatterin dieser kleinen aufrechten Zeitung. Sondern als Kulturschaffende.

Der Berliner Chorverband nämlich hatte tausend Sängerinnen und Sänger herbeiorganisiert, die zur Eröffnung der Leichtathletik-WM die Nationalhymne der Bundesrepublik Deutschland zum Vortrag bringen. Eine davon war ich.

Um es kurz zu machen: Das Ganze erinnerte doch sehr an die ästhetischen Gepflogenheiten meiner ersten zwanzig Lebensjahre. Wir Sängerinnen und Sänger erhielten grüne und FDJ-blaue Poloshirts, die uns berechtigten, die Bühne rund um die olympische Feuerschale zu entern, uns in einer durchchoreografierten Formation aufzustellen und unser Liedgut vorzutragen. Ich, die ich vor 1989 bereits den einen oder anderen Monumentalaufzug miterlebt habe, hätte mich nicht gewundert, wenn mich am Einlass noch ein Jugendfreund von der Orga-Truppe aufgehalten und mir gleich noch eine Fackel oder ein Transparent in die Hand gedrückt hätte. "Es lebe der antiimperialistische Sportsgeist" oder so. Aber gut, das ist nicht mehr so angesagt. Stattdessen kriegten sich die Besucherinnen und Besucher gar nicht mehr ein, als am Schluss des "Fahneneinlaufs" Schwarzrotgold ins Stadionrund getragen wurde. Seit vor drei Jahren in diesem Land eine Fußball-WM alle nationalen Schamgrenzen geschleift hat, gieren die Leute nach derlei Symbolik. Um die Sache hochzuemotionalisieren, standen dann auch noch wir Chorsänger bereit, um das Lied der Deutschen zum Vortrag zu bringen. Brav erhoben sich alle 70.000 Sportsfreunde, und wir tausend Hanseln legten los, dass es flashte. Auf dem Videoscreen sah ich, wie meine ostdeutsche Landsfrau Dr. Merkel im Rhythmus mit mir das Deutschlandlied singt.

Wie sich doch die Bilder gleichen. Zu DDR-Zeiten war das Erscheinen bei den Massendemonstrationen der Werktätigen Pflicht. Ich erinnerte mich daran, wie ich während des Studiums an einem 7. Oktober morgens aufgestanden war, um meiner Seminargruppenleiterin körperliche Anwesenheit zum Republikgeburtstag zu demonstrieren. Hätte ich geschwänzt, wäre meine Note in Marxismus-Leninismus gesenkt worden. Ich bin hingegangen, brav an Herrn und Frau Honecker, an Krenz und Schabowski vorbeimarschiert - und habe die bessere Note bekommen. Widerstandsbiografien sehen anders aus.

Nun also stehe ich wieder mit zehntausenden Werktätigen bei einer Massenveranstaltung. Schauplatz ist diesmal nicht die Ostberliner Karl-Marx-Allee, sondern das ehemalige Reichssportfeld. Hinter dem Marathontor stehen zwei Reiterstandbilder von Arno Breker, und ich singe das Deutschlandlied. Widerstandsbiografien sehen wirklich anders aus.

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1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.

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