Berliner Flüchtlingspolitik: Gefangen im Behördendschungel

Seit vier Monaten sitzt Emmanuel Ebako in Abschiebehaft. Der Fall zeigt den Übereifer der Behörden gegenüber Flüchtlingen.

Besuchereingang des Abschiebegefängnisses Köpenick Bild: Susanne Gannott

An dem Tag, als Emmanuel Ebako in Amsterdam ins Flugzeug stieg, war er voll Hoffnung. Nach 13 Jahren in Europa sah der Kameruner endlich einen Weg, seinen Aufenthalt zu legalisieren. Auf Anraten der niederländischen Behörden, die ihn kurz zuvor verhaftet hatten, würde er sich in Berlin ein Visum besorgen, um zurückzukehren und seine niederländische Freundin zu heiraten. Doch am Flughafen Tegel warteten Beamte mit einem Haftbefehl. Ehe es sich der 35-Jährige versah, saß er im "Polizeigewahrsam Köpenick" - im Abschiebeknast.

Das war vor mehr als vier Monaten, seitdem ist Ebako im Gefängnis. Mit ihm leben hier rund 80 Menschen, die meisten Männer. Manche für ein paar Tage, manche für Wochen oder Monate. Sie haben nichts verbrochen: Sie sind hier, weil sie ohne Papiere aufgegriffen wurden, bei der Einreise kein Visum hatten oder nicht "freiwillig" ausgereist sind. Sie sind hier, weil die EU kaum jemanden legal hereinlässt - weder mit Asyl noch als sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge.

Dieses Jahr saßen bis zum 7. September 553 Menschen im Abschiebegewahrsam (2008: 1.142, 2007: 1.376, 2006: 1.734).

In den letzten beiden Jahren wurden 64 Prozent der Häftlinge wieder entlassen.

Abgeschoben wurden 2009 bislang (Stand: 31. 8.) 433 Menschen (2008: 719; 2005: 1.425).

Am Stichtag 4. Dezember 2008 waren 73 Menschen in Haft, im Schnitt 37 Tage lang. Am Stichtag 3. August 2009 befanden sich 15 Menschen länger als zwei Monate in Abschiebehaft. Laut Senatsinnenverwaltung bleibt nur noch selten jemand länger als sechs Monate in Haft. (taz)

Auch Ebakos Asylantrag wurde 2000 abgelehnt, erzählt er beim Gespräch im Besucherraum des ehemaligen DDR-Frauengefängnisses. Deshalb sei er in die Niederlande gegangen. "Seit neun Jahren lebe ich dort. Die Deutschen haben gar kein Recht, mich hier festzuhalten." Während der Haft hat sich der Politikwissenschaftler mit der komplizierten EU-Migrationspolitik vertraut gemacht: "Nach dem Dublin-II-Abkommen der EU hätte Deutschland mich nicht zurücknehmen dürfen, weil ich länger als sechs Monate außer Landes war." Trotzdem wurde er im April verhaftet und nach einem Monat ins Flugzeug in Richtung Berlin verfrachtet. "Warum werde ich verfolgt? In den Niederlanden wurde ich eingesperrt, in Deutschland werde ich eingesperrt, in Kamerun würde ich auch eingesperrt werden."

Nicht zu wissen, warum man in Haft ist, wie und wann es weitergeht - diese Ungewissheit ist für alle Gefangenen in Grünau das Schlimmste, sagt Pater Ludger Hillebrand vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst. Sein evangelischer Kollege Bernhard Fricke ergänzt: "Gerade für Menschen, die traumatisiert sind, zum Beispiel durch Erlebnisse auf der Flucht, ist es schlimm, ins Gefängnis zu kommen." Auch Martin Schröter von der Initiative gegen Abschiebehaft sagt: "Es gibt häufig Selbstverletzungen, einige sind in der Psychiatrie gelandet." Zuletzt erhängte sich am 30. Dezember 2007 ein Tunesier in der Abschiebehaft.

Angst und Ungewissheit rühren auch daher, dass die Abschiebehäftlinge vom Gesetzgeber alleingelassen werden. Im Gegensatz zu jedem gewöhnlichen Verbrecher haben sie kein Recht auf Prozesskostenbeihilfe, sprich: einen Anwalt. Gäbe es nicht die Seelsorger und den Republikanischen Anwaltsverein, die kostenlos Rechtshilfe geben, hätten die Häftlinge gar niemand, der ihnen die Rechtslage erklärt und sie vor Gericht vertritt.

Ebako hatte "Glück"; er bekam über den Republikanischen Anwaltsverein eine Anwältin. Katharina Fröbel nennt ihren Mandanten einen "unglücklichen Fall": Die Deutschen hätten seinen Fall laut Dublin II nicht wieder bearbeiten müssen, erklärt sie. "Ein Herr von der Ausländerbehörde sagte mir selber, dass es wohl eine Panne war." Nun aber versuche die Behörde, bei der Kameruner Botschaft ein Reisedokument für Ebako zu bekommen, mit dem sie ihn abschieben kann. Und das Gericht habe der Haft nun zugestimmt, weil es Ebako unterstellt, er würde sich sonst der Abschiebung entziehen. Dass leite man daraus ab, dass er 2000 angeblich "untergetaucht" sei, so Fröbel. "Das ist sehr unfair vom Gericht und völlig unverhältnismäßig."

Doch so ist es meistens, ist die Erfahrung der Anwältin. In aller Regel folgten die Richter dem Haftantrag der Ausländerbehörde beziehungsweise der für die Grenzen zuständigen Bundespolizei. Die jeweilige Behörde hat dann drei Monate Zeit, die Papiere zu besorgen. Gelingt ihr das nicht, wird die Haft um drei Monate verlängert. Ist die Abschiebung dann immer noch nicht erfolgt, lassen die Richter den Gefangenen in der Regel frei. Laut Gesetz kann die Abschiebehaft jedoch bis zu 18 Monate dauern.

Immerhin, sagt Seelsorger Fricke, würden die Menschen nur noch selten länger als drei Monate festgehalten; das sei ein Fortschritt im Vergleich zu früher. Aber er findet: "Es werden zu viele Menschen in Abschiebehaft genommen." Rechtsanwältin Fröbel fordert, die Richter müssten genauer prüfen, ob binnen der Dreimonatsfrist überhaupt abgeschoben werden kann. Außerdem, sagt Traudl Vorbrodt, Mitglied der Härtefallkommission des Senats, könnten die Richter häufiger andere Möglichkeiten als die Haft nutzen: Sie könnten die Betroffenen etwa unter der Auflage freilassen, dass sie sich regelmäßig bei der Ausländerbehörde melden.

Zumal mehr als die Hälfte der Häftlinge am Ende gar nicht abgeschoben wird: Nach Auskunft der Senatsinnenverwaltung wurden in den letzten zwei Jahren 64 Prozent einfach wieder entlassen. Hauptgrund ist laut Hartmuth Horstkotte vom Beirat für den Abschiebegewahrsam, dass die Behörden keine Papiere für die Abschiebung bekommen; bei einigen seien aber auch gesundheitliche Gründe ausschlaggebend.

Hinzu kommt, dass dieses System ganz schön teuer ist. Das Land Berlin kostet jeder Abschiebehäftling pro Tag 206 Euro. Davon werden 65,26 Euro pro Tag den Häftlingen in Rechnung gestellt - ebenso wie die eventuelle Abschiebung. Bei Haftantritt wird ihnen alles Geld abgenommen, das sie besitzen, bis auf 200 Euro, von denen sie täglich 10 Euro "Taschengeld" ausgezahlt bekommen, und 55 Euro, die man ihnen bei der Abschiebung mitgibt. Wer später wieder legal nach Deutschland einreisen will, muss vorher die gesamten Kosten für Haft und Abschiebung abbezahlt haben.

Angesichts all dessen sagt Pfarrer Fricke, der Freiheitsentzug als Mittel zur Durchsetzung des Ausländerrechts sei "unverhältnismäßig". Vorbrodt ergänzt: "Abschiebehaft dürfte überhaupt nicht sein." Für die wenigen, die wirklich gehen müssten, "muss es eine bessere Lösung geben". Die anderen sollten legalisiert werden und eine Chance bekommen, hierzubleiben. Auch Horstkottefordert mehr Großzügigkeit vom Gesetzgeber. Abgesehen von besonders gravierenden Fällen gebe es in der Regel keine Notwendigkeit, Menschen in Abschiebehaft zu nehmen. In einer globalisierten Welt könne Migration ohnehin nur "im Großen und Ganzen" kontrolliert werden. "Es werden immer Leute hier sein, die nach den Buchstaben des Gesetzes nicht hier sein dürften. Aber das ist kein Unglück, solange sie keine schlimmen Straftaten begehen."

Auch Ebako möchte einfach nur seine Freundin heiraten und mit ihr leben. Doch Ende voriger Woche, erzählt seine Anwältin, bekam sie Nachricht von der Ausländerbehörde, dass die kamerunische Botschaft nun bald das Reisedokument für die Abschiebung ausstellen werde. "Es sieht nicht gut für ihn aus."

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