Neues Gewaltvideo von Überwachungsdemo: Nachschlag für die Polizeidebatte

Ein Video zeigt eine weitere gewaltsame Festnahme bei der "Freiheit statt Angst"-Demonstration. Die Szene ist typisch. Aber ist das Vorgehen der Beamten auch erlaubt?

Gewaltsame Festnahme: Ausschnitt aus dem neuen Video. Bild: sreenshot/youtube

Ein weiteres Internet-Video vom Polizeieinsatz bei der Demonstration gegen Datenspeicherung sorgt für Aufregung. Die Szene ist längst nicht so brutal, wie die Prügelattacke gegen einen Radfahrer (taz berichtete). Sie zeigt vielmehr eine Festnahme, wie sie bei Demonstrationen immer wieder beobachtet wird. Dennoch erscheint sie Laien unverhältnismäßig. Die Polizei ermittelt zur Klärung des Vorfalls wegen Körperverletzung im Amt gegen beteiligte Beamte. Die taz hat Experten gefragt: Handeln Polizisten noch im Rahmen der Vorschriften, wenn sie bei der Festnahme auf Menschen einschlagen? Oder wird hier Dank neuer Technik eine fast alltägliche Straftat dokumentiert?

Das Video findet sich im Internetportal youtube unter dem Titel "Mann in schwarz - Zugriff". Es zeigt zunächst, wie der unter dem Pseudonym "Padeluun" bekannte Anmelder der Demonstration "Freiheit statt Angst" mit einem Polizisten auf der Verlängerung der Stresemannstraße spricht. Dann schwenkt die Kamera zu einer Rangelei auf dem Potsdamer Platz. Ab Sekunde 17 ist ein glatzköpfiger Beamter zu erkennen, der nach unten schlägt. Unmittelbar darauf wird ersichtlich, dass er mit einem weiteren Polizisten einen Demonstranten mit gesenktem Kopf aus der Menge abführt. Bei Sekunde 23 schlägt der glatzköpfige Polizist dem Festgenommenen in den Rücken.

Die Demonstration: Am vergangenen Samstag zogen rund 25.000 Menschen unter dem Motto "Freiheit statt Angst" gegen Überwachungswahn durch Berlin.

Der Mann in blau: Der Chaos Computer Club filmte, wie ein 37-jähriger Radfahrer in blauem T-Shirt von Polizisten offenbar grundlos zusammengeschlagen wird. Das Video sorgt im Internet für große Aufregung. Die Polizei ermittelt gegen zwei Beamte.

Der Mann in schwarz: Ein neu im Internet aufgetauchtes Video zeigt eine weitere Festnahme am Rande der Demo auf dem Potsdamer Platz. Dabei wird ein bereits festgenommener Mann in schwarzem Outfit von einem Polizisten auf den Rücken geschlagen.

Die Gewaltanwendung der Beamten sei absolut gerechtfertig, sagen zwei einsatzerfahrene Polizisten der taz. Denn der Festgenomme leiste Widerstand. "Er geht nicht mit den Beamten mit, lässt stattdessen seinen Körper nach unten sacken", sagt einer der Beamten. "Das ist eine Widerstandshandlung." Zudem drücke er seinen Arm nach unten und verhindere, dass sich der Polizist unterhaken kann, ergänzt der zweite von der taz befragte Polizist. Der Schlag auf den Rücken sei ein Ablenkungsmanöver, eine subtile Taktik, um den Widerstand zu brechen. Für Außenstehen wäre das schwer erkennbar. Aber das sei ein zulässiges Mittel bei Festnahmen - zumal der Beamte nicht mit voller Kraft zuschlage, wie man an der Haltung der Hand erkennen könne.

Tatsächlich haben Polizisten das Recht, bei Festnahmen körperliche Gewalt anzuwenden. Dies sei vielen Betroffenen nicht klar, schrieb der FU-Jurist Klaus Rogall 2008 in einer Expertise für den Polizeipräsidenten über Anzeigen gegen Beamte wegen Körperverletzung im Amt. Deshalb würden die Verfahren "nicht gerade selten" eingestellt.

Umgekehrt gilt: wer sich einer Festnahme widersetzt, muss mit einer Anzeige rechnen. "In einer Demokratie hat der Staat zunächst die Rechtmäßigkeitsvermutung für sich, sonst könnte er gar nicht handeln", erklärt der Rechtsprofessor Oesten Baller, der an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Polizisten unterrichtet. Eine Festnahme müsse man daher erstmal erdulden. Allenfalls verbal dürfe man protestieren. "Allerdings gilt für die Polizei das Prinzip der Verhältnismäßigkeit", sagt Baller. In dem Video sei keine Gegenwehr des Gefangenen zu sehen. Der Beamte schlage daher ohne Grund auf den Mann ein.

Zum gleichen Ergebnis kommen auch die Rechtsanwälte Johannes Honecker, Geschäftsführer des Republikanischen Anwaltsvereins, und sein Kollege Rüdiger Jung. Das sei eine klare Überschreitung der polizeilichen Befugnisse, steht für die beiden Juristen fest.

"Ich kenne wesentlich schlimmere Szenen", sagt Udo Wolf, Innenexperte und designierter Vorsitzender der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus. Dennoch ist auch für ihn klar: Der Schlag ins Kreuz des Demonstranten ist nicht akzeptabel. "Ich glaube aber nicht, dass der Polizist mit Vorsatz prügelt", sagt Wolf. Er habe sich in einer Stresssituation falsch verhalten. "Aber auch das muss aufgeklärt werden." Noch beim 1. Mai 2007 sei er glücklich über das Auftreten der Beamten gewesen. "Festnahmen verliefen unspektakulär ohne Aggressionsposen", sagt Wolf. Mittlerweile gehe es vereinzelt wieder härter zu. Auch Juraprof Baller fragt sich, ob die Polizei bei Demonstrationen des linken Spektrums nicht vorschnell Militanz unterstelle, die ein zwangsweises Vorgehen berechtigen würde.

Für den Dauerdemonstrationsbeobachter Christian Ströbele (Grüne) zeigt das Video eine "typische Szene, wie sie immer wieder vorkommt". Ähnliche Vorfälle habe er zuletzt am Rande der versuchten Flughafenbesetzung in Tempelhof im Juni gesehen. Sehr häufig würden Beamte Festgenommen noch einen Schlag mitgeben. Deshalb ist Ströbele froh, dass nun von Demonstranten "zurückgefilmt" werde.

"Nachdem sich die Handyfotografie in Teheran als ein brauchbares Mittel gegen die staatliche Nachrichtensperre erwiesen hat, erleichert sie nun in Deutschland die Beweisführung bei Übergriffen der Staatsgewalt", freut sich Rechtsanwalt Rüdiger Jung. Das führe bei der Polizei hoffentlich zu mehr Zurückhaltung.

Dafür sehen die von der taz befragten Beamten überhaupt keine Notwendigkeit. "Wenn wir eingreifen, dann ist das rechtmäßig", sagt ein Polizist. Die Vielzahl der Videos erkläre sich mit einem Trittbrettfahrereffekt: "Nach dem Motto: Ich hab das auch noch einen Film".

Die Gegenüberwachung sei für die Polizisten eine psychologische Belastung, hat Juaprof Baller dagegen festgestellt. "Aber sie müssen lernen, damit umzugehen."

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