Filmfestival: Glamour hinter Gittern

Zu Gast im Knast: Für einige Besucher bietet sich während des Festivals die Gelegenheit, hinter die Mauern der JVA Oldenburg zu blicken und mit Gefangenen über Filme und anderes zu diskutieren.

Kino im Knast: Lacher gibt es immer, wenn die Polizei auf der Leinwand dumm dasteht. Bild: Filmfestival

Die Polizistin, die jetzt den Selbstmordattentäter stoppen müsste, bricht weinend zusammen. Doch die Szene verliert an Dramatik, denn sie wird von schallendem Gelächter aus dem Publikum begleitet. "Das kann doch nicht sein, dass nur eine Polizistin am Bahnhof ist und dann noch so eine doofe", johlt einer. Lacher gibt es immer, wenn die Polizei auf der Leinwand dumm dasteht. Aber nur im linken Sitzreihen-Block. Der Rest des Publikums folgt stumm dem Geschehen. Die Menschen, die hier in einem Raum sitzen, sind sonst durch Mauern und Gitterstäbe getrennt und hier nur durch einen schmalen Gang. Aber der ist nicht unbedingt leichter zu überwinden.

"Weltweit einzigartig", wie Festivalleiter Torsten Neumann betont, ist diese Tradition des Oldenburger Filmfestivals: Eine Auswahl des Programms wird in der Justizvollzugsanstalt (JVA) gezeigt. In diesem Jahr besucht dazu auch eigens eine Gruppe Frauen aus der JVA Vechta den Männerknast. Ansonsten sind viele Menschen im Publikum, die beruflich mit dem Justizwesen zu tun haben. Neben der zuständigen Abteilungsleiterin im niedersächsischen Justizministerium und Thomas Kossendey, Staatssekretär im Verteidigungsministerium und derzeit CDU-Wahlkämpfer, rutschen ein Tross von Journalisten und ein überschaubarer Anteil von interessierten Festivalbesuchern auf den harten Stühlen hin und her. Zum Auftakt läuft Nina Grosses Drama "Der verlorene Sohn". Man kann darüber grübeln, welche Botschaft die Geschichte eines unverbesserlichen Islamisten, der nach der Haft zu seiner Familie zurückkehrt und sie ins Unglück stürzt, wohl für die Gefangenen bereithält.

Eine Rückkehr in die Gesellschaft ist in der Logik der Geschichte von vornherein ausgeschlossen. Nach der Vorstellung meldet sich ein Gefangener zu Wort: "Der Film zeigt mal wieder, dass man in Deutschland schlechte Karten hat, wenn man politisch anders denkt." Anstaltsleiter Gerd Koop sieht den didaktischen Gehalt für "meine Männer" eher darin, dass der Film das Leid der Familie eines Straffälligen in den Blickpunkt rückt. Eine der Frauen aus Vechta teilt seine Meinung: "Die Familie leidet mehr als wir", glaubt sie. Mit Worten, die nach Gesprächsgruppen-Routine klingen, erklärt sie, wie die Angehörigen zwischen Nähe und Misstrauen hin und her schwanken, wenn sie zu ihren Zweistundenbesuchen ins Gefängnis kommen. "In zwei Stunden kann keine Vertrauensbasis entstehen." Die JVA Oldenburg, betont Koop, ermöglicht aus diesem Grund Langzeitbesuche von Angehörigen.

Die Justizvollzugsanstalt Oldenburg (JVA) wird als "Alcatraz des Nordens" tituliert.

Die Anstalt wurde 2001 im Stadtteil Kreyenbrück auf einem Teilstück einer ehemaligen Kaserne eröffnet.

"Konsequent und liberal" beschreibt Anstaltsleiter Gerd Koop sein Konzept: Klare Regeln, Vergünstigungen für die Einhaltung, Sanktionen schon bei geringen Verstößen.

Von 317 Haftplätzen in der Hauptstelle sind zehn auf einer Sicherheitsstation.

Die meisten Plätze (210) sind für Untersuchungsgefangene vorgesehen.

In ihren Grußworten schwankt die Politprominenz, an wen sie ihre Rede richten soll: An die Ahnungslosen von draußen oder die von drinnen, die alles viel besser kennen, als sie es selbst schildern können. Thomas Kossendey lobt die Möglichkeiten, hier Schulabschlüsse, Berufsausbildungen und Deutschkenntnisse nachzuholen, die nichts mehr mit dem alten "Verwahrknast" gemein haben. Monica Steinhilper vom Justizministerium ist überzeugt, dass Niedersachsen seinen Strafvollzug von allen Bundesländern "am weitesten geöffnet" habe. "Was?" ruft einer von den linken Sitzen. "Was redest du da?"

Nach dem Film gibt es Häppchen und Kaffee und die abenteuerliche Gelegenheit für das Festivalpublikum, mit den Gefangenen ins Gespräch zu kommen. Genutzt wird sie sehr zögerlich. Prävention, argumentiert einer der Gefangenen über seinen Schnittchenteller hinweg, müsse schon viel früher anfangen: bei gleichen Bildungschancen für alle und kostenfreien Kindergartenplätzen. Das ruft zwei Damen auf den Plan, die sich in das Gespräch mischen: "Dass jemand keinen Kindergartenplatz bekommt, heißt doch nicht, dass er später kriminell werden muss." Der Mann lässt sich nicht unterkriegen. Der Kindergarten, erklärt er, könne helfen, Ziele im Leben zu entdecken, die in vielen Familien nicht vorgelebt werden. Die Damen nicken überzeugt.

In der Zukunft, hatte Anstaltsleiter Koop hervorgehoben, werden die heutigen Gefangenen wieder die Nachbarn der unbescholtenen Bürger sein. "Nachbarschaft", findet der Mann am Tisch, "sollte drinnen schon anfangen." Wenn das Wachpersonal einen Gefangenen zehn Minuten warten lasse, während sie sich auf beiden Seiten der Tür gegenüber stehen und beide wissen, welches Spiel hier gespielt wird, dann habe das nichts mit Nachbarschaft zu tun. "Die Beamten haben doch einen lockeren Job", sagt er. Die Aufmerksamkeit am Tisch ist ihm sicher, wenn er die Pose des enfant terrible einnimmt. "In Amerika wird im Knast geschossen." Er wird ernsthaft: Seit der Strafvollzug in Länderhand ist, habe sich der Knastalltag in Niedersachsen keineswegs entspannt. Im Gegenteil: "Die Pakete, die die Familien uns früher schicken durften, sind jetzt verboten." Öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen wie heute, findet er, seien vor allem eins: ein Alibi.

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