Gewalt in Treptow: "Gewalt gehört zum Alltag"

Im Kungerkiez in Alt-Treptow wird geprügelt, gemobbt und gestohlen. Anwohnerin Sigrun Merkle fordert darum mehr bürgerschaftliches Engagement.

taz: Frau Merkle, wieso interessiert Sie das Thema Gewalt im Kungerkiez?

Die 49-Jährige hat für die Studie "Alltägliche Gewalt in Alt-Treptow" 50 Eltern und 71 Kinder befragt. Merkle wohnt seit 20 Jahren im Kiez und gibt als Berufseinstiegsbegleiterin an Neuköllner Schulen Förderunterricht. Sie ist engagiert in der Kungerkiezinitiative, die die Studie in Auftrag gegeben hat. Finanziert wurde sie mit Mitteln des "Vielfalt tut gut"-Programms der Bundesregierung.

Sigrun Merkle: Ein Schlüsselerlebnis war für mich, als meine damals 13-jährige Tochter in eine Tankstelle flüchten musste, weil ihr jemand das Handy rauben wollte. So etwas krasses ist aber ein Einzelfall.

Was ist dann die Normalität?

Einerseits hat Alt-Treptow gute Integrationsarbeit geleistet, und auch die Bouchégrundschule hat ein niedriges Gewaltniveau. Andererseits gehören Gewalt und Rassismus zum Alltag. Hier gibt es Zeitungsläden, die als Schutz die Türen verschließen, wo man erst reinkommt, wenn man klingelt. Und als ich als Elternbegleiterin auf Klassenfahrt mitgefahren bin, habe ich gesehen, wie Kinder raufen und toben, bis beinahe jemand verletzt wurde. Für die Kinder ist das jedoch normal, und deswegen erzählen sie ihren Eltern nichts davon. Wir haben hier außerdem seit kurzem eine Gruppe Jugendlicher zwischen 12 und 15 Jahren, die pöbeln Kinder wie Erwachsene an und treten regelrecht als Gang auf. Ich bin aber nicht bereit zu akzeptieren, dass ich auf der Straße überfallen werde.

Sie haben Schüler und Eltern interviewt und eine Studie vorgelegt. Was wollen Sie damit erreichen?

Oft wird über unseren Kiez gesagt: "Da ist doch alles schön." Jetzt wissen wir, dass diese Wahrnehmung falsch ist. Wir haben auch Probleme, wir brauchen deswegen mehr offene Jugendarbeit. Vor allem aber braucht es mehr bürgerschaftliches Engagement. Gerade angesichts der Haushaltslage kann hier einiges ohne viele Euros bewegt werden. Die Bürger müssen das Gemeinwesen schützen, das kann die Polizei nicht alleine. Konkret ist für den November eine Bürgerberatung geplant, wo wir uns Strategien überlegen wollen, wie man bei Problemen reagieren kann. Wenn etwa Jugendliche sich an einem öffentlichen Ort nachts betrinken und laut sind, müssen die Nachbarn zusammen hingehen und sich durchsetzen. Auch sollen die Eltern aufgeklärt werden, wie sie Bullying und Mobbing erkennen.

Warum verhalten sich Jugendliche gewalttätig?

Zunächst einmal: Jugendliche verhalten sich regelabweichend, das ist ja bis zu einem gewissen Alter auch normal. Wenn aber dazu kommt, dass sie schlechte Vorbilder haben, wird es problematisch. Im Kiez leben 44 Prozent der Kinder unter 15 Jahren von ALG II, wir haben viele Alleinerziehende, die es schwer haben. Und dann sehen die Kinder auf der Straße die Alkoholiker und Leute, die sich anbrüllen. Diesem Umgang passen sich die Kinder und Jugendlichen an.

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