Chinas 60. Jahrestag: Massen im perfekten Gleichschritt

Am Anfang Panzer, am Ende Luftballons, dazwischen eine verwirrende Zeitreise: Die Kommunistische Partei feiert sich und den 60. Geburtstag der Volksrepublik.

Gleichschritt bei der großen Militärparade – auf dem Platz Tian' anmen. Bild: dpa

PEKING taz | Als sich die Tribünen vor dem Tor des Himmlischen Friedens kurz vor acht Uhr füllen, warten die rund 80 000 Schulkinder auf dem riesigen Platz vor dem Mao-Mausoleum bereits seit dem Morgengrauen auf ihren großen Auftritt.

In bunten Kleidern, mit Kränzen und Puscheln ausgerüstet, gehören sie zu den 200.000 Akteuren, die seit Monaten auf diesen Moment hin trainiert haben. Und dann um zehn Uhr Genosse Hu Jintao, Parteichef, Oberkommandierender der Armee und Staatspräsident in einer Person. Wie einst vor 60 Jahren Mao Zedong, dessen Bild seither am Tiananmen-Tor hängt, tritt er im traditionellen Mao-Anzug vor seine Untertanen.

Anders als früher jedoch braucht niemand einen Feldstecher, um ihn auf dem Rostrum zu erspähen: Auf zwei großen Bildschirmen erscheint Hu inmitten seiner Kollegen aus dem Politbüro, dem innersten Zirkel der Macht. Auch sein Vorgänger Jiang Zemin ist dabei, niemand weiss so recht, warum. Es ist eine Inszenierung, deren Präzision wie schon bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele 2008 geradezu atemberaubend ist.

Eine Stunde rasseln Panzer, Haubitzen, Amphibienfahrzeuge und Raketentransporter an den Tribünen vorbei. Keinen Millimeter weichen sie aus der Reihe, auch Soldaten und Soldatinnen zeigen eine fast übermenschliche Präzision. Kampfbomber und Hubschrauber fliegen in perfekten Formationen über Peking.

Die Militärattaches aus aller Welt schauen aufmerksam auf das Kriegsgerät, das etwa die Taiwaner hindern soll, sich offiziell für unabhängig zu erklären. Die Wiedervereinigung mit der Insel, die sich seit 1949 selbst regiert, erklärt Hu auch am Donnerstag wieder zum höchsten Staatsziel. Doch manchen erscheint die Parade auch als Verkaufsschau für die uniformierte Kundschaft in aller Welt.

Der Aufmarsch wird live in alle Ecken des Landes übertragen. Vor der Diplomatentribüne hält eine Mitarbeiterin des Staatsfernsehens ein Schild hoch: "Wir werden Sie gleich filmen, bitte schauen Sie nicht direkt in die Kamera". Dann klatscht sie in die Hände, und alle wissen, was sie zu tun haben.

Zunächst aber fährt Hu nach alter Tradition in einer schwarzen Limousine Marke "Rote Fahne" über die Straße des Ewigen Friedens, wo die Soldaten in Reih und Glied warten: "Genossen, Ihr habt schwer gearbeitet", ruft er in die vier Mikrofone auf dem Autodach. "Höchster Führer, Sie haben schwer gearbeitet", erschallt die Antwort der Militärs. Rund ein Dutzend Mal wiederholt sich dieses Spektakel.

Zwei nordkoreanische Journalisten der staatlichen Nachrichtenagentur beobachten das Geschehen wohlwollend. Aufgrund ihrer Erfahrungen mit Aufmärschen zu Ehren ihres "großen Führers" Kim Jong-il haben sie viel Proviant dabei. Die letzte Kolonne der marschierenden Truppen erregt ihr besonderes Aufsehen: Angehörige der Milizen in rosa Uniform mit kurzen Röcken und weißen Stiefeln.

Solch bunte Farben kennen die Nordkoreaner in ihrer Heimat bei Paraden nicht. Dafür aber den Personenkult, der nichts mit dem modernen China gemein hat: Umrahmt von jubelnden, fahnen- und puschelschwenkenden jungen Leuten werden Portraits von Mao, dem Wirtschaftsreformer Deng Xiaoping, Ex-Parteichef Jiang sowie Hu vorbeigerollt.

60 Jahre Volksrepublik und die Massen marschieren im Gleichschritt. Das muss für die KP-Führer ein erhebendes Gefühl sein. Das normale Volk haben sie an die TV-Schirme verbannt, Pekings Innenstadt ist abgesperrt, selbst Anwohner des Tiananmen-Platzes dürfen nicht die Paradestrecke säumen. Damit an diesem Tag das Wetter schön bleib, hatten Spezialeinheiten die Wolken zuvor künstlich abregnen lassen.

Vorbei rollen Festwagen, die Chinas Gesellschaft repräsentieren, die Provinzen, das Gesundheitswesen, die Raumfahrt, die Landwirtschaft. Sogar ein Symbol der Verfassung ist dabei. Das alles scheint wie ein Rückfall in alte Zeiten, nur schöner, bunter, technisch ausgefeilter. Gefallen tut es trotzdem: "Das war sehr berührend", sagt ein Taxifahrer. "Was haben wir für ein schönes Vaterland."

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