Herta Müller klagt, Gao Xingjian sieht weg: Nobelpreisträger unter sich

Die Nobelpreisträger Gao Xingjian und Herta Müller sind Exil-Autoren aus kommunistischen Ländern. Wie unterschiedlich sie damit umgehen, zeigte sich auf der Buchmesse.

Erhobener Zeigefinger und Boykott chinesischer Festlandpresse: Nobelpreisträgerin Herta Müller. Bild: dpa

Unter den Literatur-Nobelpreisträgern sind zwei, die fähig sind, sich beim Schreiben der chinesischen Sprache zu bedienen: Die Amerikanerin Pearl Buck, sie erhielt den Preis im Jahre 1938, und der Franzose Gao Xingjian, ausgezeichnet im Jahre 2001.

Die beiden unterscheidet, dass Pearl Buck Amerikanerin war, aber viele Jahre in China gelebt hat, während der Chinese Gao Xingjian seit 1988 in Frankreich lebt. Was die beiden verbindet, ist die kontroverse Diskussion, die jeweils nach der Zuerkennung des Preises ausbrach. Über Pearl Buck sagten einige, der Zuschlag an sie sei eine Schande für den Literatur-Nobelpreis. Nach der Verleihung des Preises an Gao Xingjian rief ich erfreut einen Theaterregisseur an, der mit ihm zusammengearbeitet hatte. Seine erste Reaktion war: Ach nee, und wofür?!

Viele chinesische Schriftsteller teilen die Ansicht, dass Gao Xingjian nicht für das beste chinesische schriftstellerische Schaffen steht. Sie sagen, die Geschichten Gaos seien zu konzeptionell angelegt, bewegten sich zu weit weg vom wirklichen Leben.

Noch weniger glücklich über seinen Nobelpreis war allerdings der von offiziellen chinesischen Stellen kontrollierte Schriftstellerverband. Dort bezeichnete man Gaos Wahl als Witz. Der größte Witz ist in meinen Augen allerdings, dass offizielle Stellen den chinesischen Medien verboten, über die Verleihung des Preises an Gao Xingjian zu berichten. Nach dem Motto: Macht jemand die chinesische Regierung unglücklich und erhält dafür auch noch einen Nobelpreis, sollte man das den chinesischen Lesern tunlichst vorenthalten! Literatur-Nobelpreisträger Gao Xingjian und der Dalai Lama als Friedens-Nobelpreisträger erfuhren mithin gleiche Behandlung.

Auf der Frankfurter Buchmesse fand nun am 16. Oktober ein Symposium mit zwei Literatur-Nobelpreisträgern statt: der diesjährigen Preisträgerin aus Deutschland, Herta Müller, und eben Gao Xingjian. Sie teilen eine Gemeinsamkeit, nämlich in Hinblick auf ihre Identität: Beide waren Exil-Autoren, die ihre Heimatländer aufgefordert oder unaufgefordert verlassen haben. In ihrer Rede erwähnte Herta Müller deshalb auch China, indem sie betonte, ihr Werk neues „Atemschaukel“ beschäftige sich ausführlich mit dem Thema Arbeitslager, mit denen chinesische Autoren wohl ähnliche Erfahrungen haben dürften. Sie wurde noch direkter: Die Menschen oder die Welt überhaupt hätten noch immer mangelnde Kenntnis, welch' Angst und Schrecken kommunistische Gewalt ausübt.

Die Konsequenz, die Herta Müller daraus zieht, aber dürfte manchem dann doch etwas extrem vorkommen: Sie verweigert festlandschinesischen Medien Interviews. Aus einer Redaktion in China weiß ich, dass es bereits einen Agenten für die chinesische Ausgabe von Herta Müllers Werken gibt. Es scheint aber sehr zweifelhaft, ob diese auch tatsächlich in China erscheinen werden.

Völlig unterschiedlich waren die Beiträge von Gao Xingjian und Herta Müller: Gemeinsam mit dem Lyriker Yang Lian widmete Gao sich dem Thema „Leben im Spagat zwischen zwei Kulturen“. Sie sprachen über Fragen, ob und wie es dem Schriftsteller unter Verwendung einer Zweitsprache gelingt, sein Innerstes auszuloten. Dabei fiel mir ein von Gao Xingjian verwendeter Terminus auf, nämlich „Selbstdisziplin“. Gemeint ist, dass der chinesische Autor beim Schreiben immer im Hinterkopf hat, unter welchen Modalitäten sein Werk auch das Recht auf Veröffentlichung in China erlangt.

Im Anschluss an die Veranstaltung ging ich auf Gao Xingjian zu und erklärte ihm, dass wir inzwischen nicht mehr von Selbstdisziplin, sondern von Selbstkastration sprechen sollten. Gao Xingjian lachte. Er hat China 1988 verlassen und ist seither nie wieder da gewesen. Nach seinem Bekunden könne er, so lange das gegenwärtige Regime existiert, nicht zurückkehren. Einerseits wärmt es mir das Herz, wenn jemand einen festen Standpunkt hat, aber andererseits ist Gao Xingjian zu lange fort, seine Kenntnis über die aktuelle Lage in China ist äusserst beschränkt. Er weiss nicht, dass Selbstdisziplin damals und Selbskastration heute sinngemäß dasselbe bedeuten, nur dass der momentane Grad der Angespanntheit und die amtliche Kontrolle über das Denken verglichen mit denen der kulturpolitisch liberalen 80er Jahre in China um ein Vielfaches höher sind.

Nach meinem Verständnis sprachen Gao Xingjian und Yang Lian auf der Buchmesse über das literarische Schreiben. Dennoch stimme ich mit einigen Aussagen Gao Xingjians nicht überein. Zum Beispiel sagt er, es gebe keine absolute Freiheit, was der Schriftsteller suche, sei aber die absolute Freiheit des Geistes. Das sei seine Mission. So weit so gut. Dann aber weiter: Selbst in einem durch und durch demokratischen Land unterliege die Freiheit des Einzelnen gewissen Beschränkungen. Als Beispiel nennt er political correctness, die verhindere, dass bestimmte Dinge ausgesprochen würden. Was er da sagt, ist gewiss nicht falsch, aber offenbar verwechselt er die in „1984“ von George Orwell und die in „Wir amüsieren uns zu Tode“ von Neil Postman beschriebenen Gefahren.

Viele Länder sind mit der Gefahr aus „Wir amüsieren uns zu Tode“ konfrontiert, während China noch immer der aus „1984“ ausgesetzt ist. Gao Xingjian hat den Literatur-Nobelpreis als Vertreter der Gruppe chinesischer Dissidenten-Schriftsteller bekommen, das ihm dadurch verliehene hohe Prestige allerdings kaum dafür genutzt, anderen Kollegen dieser Gruppe zu helfen. Es ist ein wenig bedauerlich, dass er, der unglaublich Fleißige, stattdessen weiterhin ganz und ausschließlich in seiner eigenen Literatur und Malerei aufgeht.

Ich weiß natürlich, dass alles vergänglich ist, während Literatur bleibt. Gern läse ich deshalb weitere und bessere Werke aus Gao Xingjians Feder. Noch erfreulicher fände ich es allerdings, wenn Gao Xingjian seine Fähigkeiten und Möglichkeiten auch nutzen würde, um Einfluss auf die chinesische Realität auszuüben.

Aus dem Chinesischen von Petra Mann.

WANG XIAOSHAN, geb. 1967, ist freier Autor und lebt in Peking. Er schreibt für die chinesische Ausgabe des amerikanischen Sportmagazins Sports Illustrated. Bis 2006 war er bei der Neuen Pekinger Zeitung als Feuilletonchef tätig.

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