Interview mit Sinologe Thomas Heberer: „Nicht jeder Kritiker wird verfolgt“

Für den Sinologen und Politikwissenschaftler Thomas Heberer war die Frankfurter Buchmesse mit China als Ehrengast ein Lernprozess für alle Beteiligten.

Eine komplexe Welt vermitteln: Außenansicht des Neubaus des chinesischen Staatsfernsehens CCTV in Peking. Bild: dpa

taz: Herr Heberer, in Bezug auf China war die Frankfurter Buchmesse fast etwas langweilig: kein Dialog, keine großen Streits und nur Schwarz-Weiß-Malerei. Oder haben Sie einen anderen Eindruck?

Thomas Heberer: Mit der Buchmesse ist China in eine neue Situation geraten. Es konnte die Rahmenbedingungen nicht kontrollieren. Dass eine offene Veranstaltung wie die Buchmesse auch zu offener Kritik führt und dass man sich dieser Kritik stellen muss – das konnten seine Vertreter offensichtlich noch nicht nachvollziehen.

Wäre die Buchmesse ohne den Eklat beim Vorbereitungssymposium Mitte September anders verlaufen?

Der Eklat hat wohl dazu geführt, dass sich die chinesische Seite seitdem defensiv verhält. Danach wurde die Buchmesse nicht mehr als rein positives Ereignis wahrgenommen. In der Debatte in Deutschland und auf der Buchmesse haben sich zwei Positionen herauskristalliert, die gewissermaßen typisch sind: Auf der einen Seite diejenigen, die China als menschenrechtsverachtenden und repressiven Staat darstellen. Auf der anderen Seite diejenigen, die versuchen, den Wandlungsprozess in China in seiner Heterogenität zu kommentieren. Hier hätten die Veranstalter vielleicht noch stärker darauf achten können, dass es zu einem tatsächlichen Dialog zwischen diesen unterschiedlichen Positionen kommt. Dies hätte viel stärker zu einem differenzierten Bild beigetragen.

Aber die Hauptschuld für die misslungene Kommunikation sehen Sie auf der chinesischen Seite?

Keineswegs. Auch wäre es falsch, in diesem Zusammenhang von Schuld zu sprechen. Auf internationalem Parkett befindet sich China noch in einem Lernprozess. Die chinesischen Vertreter haben nicht verstanden, dass größeres internationales Engagement auch bedeutet, sich einem kritischen Diskurs zu stellen. Und dieses kritische Publikum nimmt natürlich auch Anstoß, wenn Diskurse und Intellektuelle eingeengt werden. Sie drängen auf Erklärungen.

China ist intellektuell gesehen also noch nicht reif für eine souveräne Großmacht.

Zweifellos gibt es in China Nachholbedarf. Intern wird durchaus eifrig debattiert. Aber bei der Darstellung nach außen soll stets Konsens gezeigt werden. Die chinesische Gesellschaft ist nach wie vor eine Konsensgesellschaft. Dies behindert die Herausbildung intellektueller Souveränität. Dabei gibt es das alte Sprichwort: „Lasst 100 Blumen blühen, lasst 100 Schulen miteinander wetteifern". Es wird immer wieder als wichtiger Teil der chinesischen Kultur angeführt. Eine wirklich souveräne intellektuelle Großmacht sollte und würde versuchen, diese Losung in die Tat umzusetzen.

Einige auf chinesischer Seite – darunter auch regierungsunabhängige Intellektuelle - kritisieren: Die westliche Seite interessiere sich nicht ausreichend für China und sei auch auf der Buchmesse nicht bereit gewesen, China in all seinen Widersprüchen zu verstehen.

Diese Kritik finde ich nicht ganz unberechtigt. China ist aufgrund seiner Größe, seiner kulturellen, ethnischen und räumlichen Vielfalt, derart komplex, dass es für Außenstehende nur sehr schwer zu verstehen ist. Es müsste im Westen deutlicher werden, dass China kein monolithisches intellektuelles Gebilde ist. Es gibt ausgesprochen breite Diskurse über seine Probleme, seine Entwicklungsrichtung und seine Mängel. Für die meisten chinesischen Intellektuellen ist ihre Kritik gegenwärtig noch nicht primär auf einen Systemwechsel gerichtet. Ihnen geht es um eine bessere Regierungsarbeit. Die Teilnehmer an diesen Diskursen kritisieren häufig zu Recht, dass dieser Sachverhalt im Westen oft anders wahrgenommen wird. Als ob jeder Kritiker ein Dissident sei, der verfolgt und im Gefängnis landen würde. Das entspricht nicht der Realität.

Muss auch der Westen bei China umdenken?

Ich würde das so sehen. In China gibt es eine andere Logik, wie Prozesse im Inneren und Äußeren abzulaufen und zu begreifen sind. Es gibt auf der Welt nicht die eine Wahrheit, etwa die des Westens. Und niemand kann seinen Alleinvertretungsanspruch einfordern. Wollen wir das "Andere", in diesem Fall China, verstehen, sollten wir uns – durchaus kritisch – auf andere Rationalitäten einlassen. Lange Zeit haben wir uns als Belehrungskultur verstanden und auch entsprechend verhalten. Nun treffen wir mit China auf gleicher Augenhöhe auf eine Lernkultur. Und für diesen Lernprozess sollten wir dem Land Zeit geben. Vor Eröffnung der Buchmesse sagte der Leiter eines großen Verlags: China liege "noch unter dem Niveau eines Schurkenstaates". Eine völlig realitätsferne Aussage! Wir sollten es mit Konfuzius halten: „Wo alle loben, da heißt es prüfen. Wo alle kritisieren, da heißt es prüfen." Auch der Westen hat noch viel zu lernen.

Thomas Heberer, 61, ist Professor für Politik Ostasiens an der Universität Duisburg-Essen. Er ist zudem Vorstandsmitglied der unabhängigen Asienstiftung.

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