Grüne in der Selbstfindung: Bürgerlich, links – oder was?

Vor ihrem Parteitag in Rostock ist die Ökopartei verunsichert. In der neuen politischen Landschaft muss sie ihren Ort erst noch finden.

Was tun, wenn schon Frau Merkel an der Sonnenblume schnuppert? Bild: dpa

Schon einmal sind die Grünen über ihre selbst verordnete Radikalität gestolpert. Damals ging es um 5 D-Mark für den Liter Benzin. Der kurz vor der Bundestagswahl 1998 auf dem Magdeburger Parteitag gefällte Beschluss, den Preis für Kraftstoff auf ein so umweltverträgliches wie wählerabträgliches Maß zu erhöhen, entsprang der urgrünen Angst vor der Verwechselbarkeit mit anderen Parteien. Er führte prompt zur ersehnten Exklusivität.

So allein und begossen wie damals standen die Grünen selten zuvor und nie mehr danach in der politischen Landschaft herum. Das ist gut zehn Jahre her. Doch jene gewisse radikale Unruhe, welche die Grünen immer dann packt, wenn sie sich ihrer selbst nicht sicher sind, ist auch nun wieder zu spüren. Diesmal gilt es nicht, sich des korrumpierenden Eindrucks einer Regierungsbeteiligung per se zu erwehren. Es ist die manifeste Möglichkeit, mit jeder parlamentarischen Partei in jedweder Konstellation regieren zu können, die sie sich selbst verdächtig macht.

Linke Bürgerlichkeit

Nun gibt es Theorien, die diesen Verdacht begründet erscheinen lassen. Eine dieser Theorien ist die einer "neuen Bürgerlichkeit", die in Deutschland zu beobachten sei, sie wabert schon seit Jahren durch die Feuilletons. Seit einigen Monaten hat sie ihre politische Manifestation im "bürgerlichen Lager" gefunden, dem ein "linkes" gegenübergestellt wird. Diese (Selbst-) Zuschreibung ist ein propagandistischer Coup, löst sie doch in einer Aufsteigergesellschaft wie der deutschen eindeutige Konnotationen aus, zumal der Versuch, diese Bürgerlichkeit mit Neoliberalismus zu übersetzen, gescheitert ist.

In der überkommenen industriegesellschaftlichen Konstellation Bürger versus Linke können sich die Parteien, deren Wurzeln entsprechend tief reichen, leicht wiederfinden. Doch wie wollen sich die Grünen da verorten? Die soziale Zusammensetzung spricht für die eine, die ideologische Tradition für die andere Seite. Der Versuch der Parteiführung, im Wahlkampf mit einer fiktiven rot-gelb-grünen Koalition die Mitte zu besetzen, lief ins Leere, was noch durch ein widersprüchliches Agitieren gegen Schwarz-Gelb und ein unklares Agieren von Rot-Rot-Grün verstärkt wurde. Es war eine Mischung aus Richtungs- und Lagerwahlkampf, nur ohne Lager und mit mehreren Richtungen.

Beide Mängel teilten die Grünen mit der SPD, das Ergebnis zu ihrem Glück nicht. Im Gegenteil: Die Werte, die die Grünen in einzelnen Wahlkreisen und Städten erzielten, legen die Vermutung nahe, dass sie im gesellschaftlichen Mainstream angekommen sind. Es wäre daher keineswegs Hybris, wenn Renate Künast bei den nächsten Abgeordnetenhauswahlen in Berlin das Amt des Regierenden Bürgermeister anstrebte.

Das Gesetz der radikalen Mitte

Das verlangt allerdings von den Grünen eine entsprechende Ansprache der Wähler, eine breitere Kompetenz und ein höheres Maß an Flexibilität. Das bedingt wiederum eine größere innere Festigkeit und Führungsstärke, als sie mit den innerparteilichen Abgrenzungen gegenüber dem saarländischen "Experiment" zur Schau gestellt wurde. Die Grünen befinden sich in einem Häutungsprozess, und wie immer in solchen Phasen kommt zum Tragen, was die moderne Politikwissenschaft das Gesetz der relativ hohen Radikalität der mittleren Führungsschicht nennt. Diese Radikalität speist sich aus einer Abgeschlossenheit nach unten, gegenüber der Lebenswirklichkeit der Gesellschaft, und einer Uneingebundenheit nach oben, in die strategischen, taktischen und kommunikativen Notwendigkeiten des operativen Geschäfts. Und da die vier Köpfe an der Spitze den Rückhalt der Partei suchen, geben sie dieser Radikalität die erforderliche Resonanz.

Die Binnensicht auf die Ereignisse dominiert das Geschehen, und so wird aus einer schwarz-gelb-grünen Koalition im Saarland unversehens ein Menetekel für die Wahl in Nordrhein-Westfalen.

Dabei könnte diese genauso gut als Offenheit und Offensive signalisierender Kontrapunkt zu der bundespolitisch schon qua Oppositionsstatus gegebenen Verortung im linken Lager betrachtet werden. Tatsächlich schwierig für die Grünen dürfte in den kommenden Jahren weniger eine zu große Nähe zur schwarz-gelben Regierung als vielmehr ihre Positionierung innerhalb dieses Lagers werden.

Nachhaltige Sozialpolitik

Die Unsicherheit über ihren Ort in der Parteienlandschaft verweist auf eine Unschärfe der Programmatik. Nachhaltigkeit als Identitätskern der Partei wurde zwar in der ökologischen Dimension auf alle Ebenen des politischen Handelns heruntergebrochen, in ihrer sozialen Aspekt steht sie aber nach wie vor in einem ungelösten Spannungsverhältnis zur sozialen Gerechtigkeit. Ob dieser oder der Generationengerechtigkeit der Vorrang gegeben werden soll, ist in einer Zeit der zunehmenden Verteilungskämpfe und verengten staatlichen Handlungsspielräume eine entscheidende Frage.

Eine nachhaltige Haushaltspolitik zu vertreten würde die Grünen in Gegensatz zu dem keynesianisch inspirierten Ansatz der Linken wie auch zu den angebots- und klientelorientierten Steuersenkungsplänen von FDP und Teilen der CDU bringen. Darin läge auf einem zentralen gesellschaftlichen Konfliktfeld die Alleinstellung, die bislang nur rhetorisch reklamiert wird. Schon während der ersten rot-grünen Legislaturperiode haben die Grünen eine nachhaltige Haushaltspolitik zu ihrem Markenkern erhoben, sie jedoch zugleich durch massive Steuersenkungen, die zudem sozial unausgewogen waren, konterkariert.

Diesmal liegt die Versuchung eher in einer sozial gut begründbaren Ausgabenpolitik. Dass die Grünen dieser Versuchung leicht erliegen können, haben sie zuletzt mit ihrer verklemmten Zustimmung zu dem in keinerlei Hinsicht nachhaltigen Opel-Rettungspaket bewiesen.

Diese Versuchung wird umso größer, als die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik das Feld sein wird, auf dem SPD und Die Linke um die Meinungsführerschaft in der Opposition rivalisieren wird. In diesem Konkurrenzkampf wäre für die Grünen das Abseits ein sicherer Ort, doch läge er eher in der Mitte.

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