Ein Vater übt Selbstjustiz: Abgeliefert vorm Gericht

Ein Franzose lässt einen Deutschen, den er für den Mörder seiner Tochter hält, entführen und bei einem französischen Gericht abliefern. Ist Selbstjustiz zeitgemäß?

André Bamberski stellt sich den Fragen der Journalisten. Bild: ap

Es ist seltsam, aber selbst bei einer so robusten Angelegenheit wie der Selbstjustiz scheint es so etwas wie einen zivilisatorischen Fortschritt zu geben. Wurden die Verdächtigen früher noch erschossen oder aufgeknüpft, werden sie heute nur noch verschnürt, lädiert, aber noch am Leben auf den Stufen des Gerichts abgelegt - auf dass die Justiz dann doch noch das letzte Wort behalte und der Gerechtigkeit zu ihrem Recht verhelfe.

So einfach der packende Plot, so kompliziert ist aber die Rechtslager im "Fall Kalinka": Der deutsche Kardiologe Dieter K., 74, war 1995 von einem Pariser Schwurgericht in Abwesenheit zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Ihm wurde die fahrlässige Tötung seiner damals 14-jährige Stieftochter Kalinka zur Last gelegt. K. soll das französische Mädchen 1982 in seinem Haus am Bodensee missbraucht und ihr ein Betäubungsmittel gespritzt haben, das zum Tode führte. Die deutsche Justiz sah allerdings keine hinreichenden Beweise für eine Strafverfolgung, weshalb K. nicht an Frankreich ausgeliefert wurde. Ein Umstand, der Kalinkas leiblichem Vater, dem ehemaligen Steuerberater André Bamberski, 71, keine Ruhe ließ - zumal das Landgericht Kempten Dieter K. unterdessen in einem anderen Fall für schuldig befunden hatte, eine 16-jährige Patientin unter Narkose vergewaltigt zu haben. Schließlich beauftragte Bamberski die in solchen Kriminalfällen fast schon notorischen "osteuropäischen Dunkelmänner" damit, Dieter K. aus seiner Heimat am Bodensee ins Elsass zu verschleppen. Ein Pariser Richter ordnete nun an, dass Dieter K., ungeachtet seiner Blessuren und den Umständen seiner "Auslieferung", in Haft bleiben muss. "Ich habe mein Ziel erreicht", erklärte Bamberski der französischen Tageszeitung Le Parisien/Aujourd'hui en France vom Donnerstag: "Der Mörder meiner Tochter wird verurteilt werden." Er habe dreißig Jahre lang sein berufliches und privates Leben geopfert, um Gerechtigkeit zu erlangen, sagte Bamberski. Einem Prozess gegen ihn sieht er entsprechend gelassen entgegen.

Kurios an diesem Fall ist unter anderem, dass es sich hier nicht um eine Posse zwischen zwei "failed states" handelt - sondern die Geschichte im Spannungsfeld zwischen deutschen, französischen und übergeordneten europäischen Gerichten angesiedelt ist. Vor all diesen Institutionen wurde der Fall schon verhandelt. So wurde Dieter K. in Abwesenheit (und daher ohne Verteidigung) in Frankreich verurteilt. In Deutschland wurden die Ermittlungen mangels Beweisen eingestellt, Auslieferungsbegehren der Franzosen abgelehnt. Ein Patt, mit dem sich Bamberski nicht abfinden und bei dem auch europäische Gerichte in Luxemburg und Straßburg keine Abhilfe in seinem Sinne schaffen konnten.

Nun hat der Vater sich selbst zu dem verholfen, was nicht wenige als sein gutes Recht sehen. Der zivilisatorische Fortschritt in unserer Welt besteht eben darin, dass wir womöglich Rachegelüste haben, sie aber nicht ausleben, weil es eine Justiz gibt, die uns die Entscheidung über Recht und Unrecht abnimmt. Dass der Vater den Mann nicht umgebracht hat, kann man ihm natürlich positiv auslegen. Ein wenig erinnert das aber trotzdem an eine Revolvergeschichte. Denn: So sehr man ihn menschlich verstehen könnte, so sehr muss man das Geschehene ablehnen. Nicht aus Mitleid für Dieter K., sondern weil auch die sanfteste Selbstjustiz (um die es sich hier auch nicht handelte) eine nicht akzeptable Abweichung von all den hart erkämpften Normen und Paragrafen ist, die unser Zusammenleben organisieren. Und Selbstjustiz, deren Methoden und Ergebnisse auch nur klammheimliche Zustimmung hervorruft, ruft damit eben auch Nachahmer in ganz anderen Fällen auf den Plan - und das kann keiner wollen.

Der "Fall Kalinka" ist inzwischen nicht nur ein Fall für die deutsch-französische Diplomatie. Er wirft auch und vor allem die Frage auf, ob die Justiz überhaupt von kriminellen Handlungen profitieren darf, deren Verhinderung ja ihre eigentliche Aufgabe ist.

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