Nicht nur Risiken: Die graue Seite der Nanotechnik

Die Nanotechnik birgt Risiken. Aber nicht alles, wo Nanotechnik drauf steht, ist auch gefährlich. Es gibt auch Anwendungen, die ökologisch sinnvoll sind.

Nanotechnologie für den Hausgebrauch: Dank Lotus-Effekt läuft Honig von diesem speziell beschichteten Löffel vollständig ab Bild: dpa

Renaissance der Atomkraft, grüne Gentechnik, Raubbau für Biokraftstoffe – an neuen Umweltproblemen mangelt es derzeit wahrlich nicht. Glaubt man einem Bericht der Süddeutschen Zeitung (21.10.2009), droht mit der Nanotechnik ein Weiteres. Das Umweltbundesamt (UBA) habe in einer neuen Studie vor den Gefahren von Nanoteilchen, die bereits überall seien, gewarnt, las man da, und Tagesschau, dpa und andere griffen die Steilvorlage dankbar auf.

Richtig ist: Die Nanotechnik birgt einige Risiken. Das allerdings ist seit langem bekannt und nur die halbe Geschichte. Denn tatsächlich handelt es sich bei der UBA-„Studie“ um ein aktualisiertes Hintergrundpapier von 2006, das vor allem auch beschreibt, wie Nanotechnologien künftig Umwelt- und Energietechnik verbessern könnten. „Wir sind weit davon entfernt, mit Nanotechnik Panik zu machen“, sagt Wolfgang Dubbert, Koordinator des Themas beim UBA und einer der Autoren des Papiers. Von Nanoteilchen auf Schokoriegeln ist darin nicht die Rede. Für Lebensmittel sei das UBA auch gar nicht zuständig, erklärt Dubbert, der über die Darstellung des Papiers nicht glücklich ist: „Wir werden hier in ein Licht gerückt, in dem wir uns gar nicht sehen.“

Nanoteilchen mit Nanotechnik gleichzusetzen und das ganze kurzerhand zum neuen Asbest zu erklären, hat mit der Realität denn auch wenig zu tun. Zwar hat es lange gedauert, bis sich Toxikologen Gehör verschaffen konnten, dass manche Nanoteilchen toxisch wirken können. Doch ihre bisherigen Befunde geben – bei aller Vorsicht – keinen Anlass zu der Vermutung, ein Nano-GAU vom Schlage des Chemieunglücks von Bhopal sei nur eine Frage der Zeit.

So erwies sich etwa kürzlich die Vermutung, in einer chinesischen Fabrik seien zwei Arbeiterinnen gestorben, weil sie Nanopartikel eingeatmet hatten, als Schnellschuss. In dem Material, das dort verdampft, auf Kunststoff aufgetragen und von Arbeiterinnen in winzigen Tröpfchen eingeatmet worden war, seien auch hochtoxische Peroxide enthalten gewesen, sagt Harald Krug, Toxikologe und Sprecher des kürzlich abgeschlossenen Projekts „Nanocare“. „Die Konzentration des Materials hätte jeden Arbeiter umgehauen, völlig unabhängig davon, ob es sich um 30 Nanometer große Nanopartikel oder 1.000 Nanometer große Mikropartikel handelt.“

Auch der Abschlussbericht von Nanocare zeichnet ein differenzierteres Bild, wie gefährlich Nanoteilchen sein können. So stellten die beteiligten Toxikologen fest, dass in proteinhaltigen Körperflüssigkeiten Anballungen von Nanopartikeln kleiner werden und sich eine Proteinschicht um einzelne Teilchen legt. Die kann dann aber schädliche Auswirkungen auf Zellen wie oxidativen Stress verhindern.

Die Forscher fanden auch heraus, dass die Abwehrmechanismen der Lunge Nanopartikel, solange sie nicht in riesigen Dosen eingeatmet werden, verarbeiten und unschädlich machen können. Eine wichtige Erkenntnis, weil Verbraucher heute kaum in eine Wolke aus neuen Nanoteilchen geraten können – die meisten industriell genutzten Nanomaterialien sind fest in Trägerstoffe eingebunden, so in Beschichtungen von Maschinenteilen oder Hausfassaden oder in den Kunststoffen von Tennisschlägerrahmen. Von den 18 im Projekt untersuchten Nanostoffen erwies sich keiner als akut toxisch. Nachweisbare Wirkungen traten überhaupt nur bei sehr hohen Konzentrationen auf. Feinstaub aus Automotoren dürfte da ein weitaus größeres Problem sein.

Für die künftige Forschung sind noch zwei weitere Nanocare-Erkenntnisse wichtig: Computermodelle können helfen, die mögliche Ausbreitung von Nanopartikeln in der Umgebungsluft von Arbeitsplätzen vorherzusagen – und geeignete Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Und: Die Befunde aus Tierversuchen stimmten ziemlich gut mit Zellkulturversuchen überein. Wenn die aber bereits wichtige Aussagen über biologische Wirkungen erlauben, muss die Zahl der Tierversuche nicht ausgeweitet werden, um die zahlreichen Nanomaterialien zu testen.

Diese Ergebnisse sollten gewiss nicht als Entwarnung missverstanden werden. Nanomaterialien und Nanoformen bekannter Stoffe sollten in jedem Fall wie Neustoffe behandelt werden, was das 2007 in Kraft getretene EU-Chemikalienrecht REACH bislang nicht tut. Allerdings befasst sich derzeit eine EU-Arbeitsgruppe damit, REACH nachzubessern und die Registrierungspflicht auch auf Nanomaterialien auszuweiten. Zudem beschloss das EU-Parlament Anfang Juli, dass Nanobestandteile in Kosmetika und Lebensmitteln ab 2012 gekennzeichnet werden müssen. Das ist zwar reichlich spät. Aber es zeigt zumindest, dass all die Nano-Dialoge und Projekte zur Risikoabschätzung der letzten Jahre allmählich Wirkung zeigen.

So wichtig eine Regulierung von Nanomaterialien ist: Der Blick auf die Nanotechnik sollte sich nicht auf sie beschränken. Anwendungen, die für Umwelt und Gesundheit unbedenklich sind, können in anderer Hinsicht problematisch sein. Die vielgepriesene Nanomedizin, die sich derzeit noch im Laborstadium befindet, könnte mit teuren Therapien die Zwei-Klassen-Medizin noch verschärfen. Nanoelektronik wiederum ist geeignet, den Aufbau einer äußerst feinkörnigen Überwachungsinfrastruktur zu erleichtern.

Umgekehrt könnten Nanotechnologien aber dazu beitragen, den Energieverbrauch und damit den Ausstoß von Kohlendioxid zu reduzieren. Eine Studie des Instituts für Energiewirtschaft und rationelle Energieanwendung an der Universität Stuttgart untersuchte im vergangenen Jahr so unterschiedliche Nano-Anwendungen wie Kraftstoffzusätze, Beimischungen in Kunststoffen, Lacken oder Beton oder Lichtquellen aus Leuchtdioden. Ergebnis: Konsequent genutzt, könnten die 15 Technologien, die alle eine Nanokomponente haben, den Endenergieverbrauch bis 2030 um bis zu 6,7 Prozent (bezogen auf das Jahr 2005) senken. Das entspräche 171 Terawattstunden – mehr als heute alle Kohlekraftwerke oder alle AKWs zusammen produzieren. Eine kritische Betrachtung der Nanotechnik sollte nicht nur schwarz oder weiß sehen, sondern auch auf die Grau- und möglicherweise sogar Grüntöne achten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.