Montagsinterview mit Miman Jasarovski: "Ich möchte niemandes Vorzeigezigeuner mehr sein"

Er zog aus seiner Wohnung, um dort Platz für eine Roma-Familie zu machen. Er gab seinen Job als Sozialarbeiter auf. Denn er war unzufrieden mit seiner Rolle. Auch er spüre die Geier im Nacken, sagt Jasarovksi. Denn er selbst ist Rom.

Rom, Roma-Aktivist: Miman Jasarovski Bild: Julia Baier

taz: Herr Jasarovski, was unterscheidet Sie eigentlich von uns?

Miman Jasarovski: Ich bin genau wie Sie in diesem Land geboren. Aber ich habe eben - wie wahrscheinlich auch Sie, Frau Tavli - noch eine zweite Kultur, die mich geprägt hat. In meinem Fall ist das die Roma-Kultur.

Welche Rolle spielt die in Ihrem Leben?

Bis zu meinem sechsten Lebensjahr gab es nichts anderes für mich - ich war nicht im Kindergarten, und zu Hause wurde nur Romanes gesprochen. Es war ein ganz schöner Schock, als ich in die Grundschule kam - zu diesen ganzen Fremden, die ich nicht verstand. Erst im Teenager-Alter habe ich mich eigentlich mehr der deutschen Kultur zugewandt, deutsche Freunde gehabt und so auch etwas davon mitgekriegt, wie die Deutschen leben.

Was war der Unterschied zwischen dem Leben der Deutschen und dem der Roma?

Zum Beispiel der Respekt vor den Älteren. Wenn mir ein älteres Familienmitglied etwas befohlen hat, dann durfte ich nicht einmal fragen, warum. Ich hatte zu gehorchen. Man respektiert den Älteren, was der sagt, wird gemacht. Bei den Deutschen zählt die eigene Meinung ein bisschen mehr. Aber als Kind wächst du damit auf, nimmst das gar nicht wahr. Erst wenn man älter wird, beginnt man, darüber nachzudenken. Dann fängt man an, gewisse Dinge zu realisieren. Wenn ich heute an meine Kindheit zurückdenke, würde ich schon sagen, man hat mich anders behandelt.

Wer hat Sie denn in Ihrer Kindheit anders behandelt?

Der Rheinländer: "Ich habe eine ziemlich typische Roma-Geschichte", sagt Miman Jasarovski über sich selbst. Geboren und aufgewachsen ist er in Nordrhein-Westfalen.

Der Jugoslawe: Er jobbte als Hilfsarbeiter, "mit ziemlich viel Arbeitslosigkeit dazwischen". Mimans Vater arbeitete als Schweißer, die Mutter als Haus- und Putzfrau. Zu Hause wurde Romanes gesprochen, nach außen hin gab sich die aus Makedonien stammende Familie als "Gastarbeiter aus Jugoslawien" aus. Auch er habe sich in der Schulzeit als Jugoslawe ausgegeben, sagt der heute 31-Jährige: "Dabei konnte ich gar kein Jugoslawisch."

Der Rom: Probleme an der Schule habe er mehr mit seinen Lehrern als mit MitschülerInnen gehabt: "Sobald die wussten, dass ich Rom bin, wussten sie: Ich bin ein Problem. Dabei haben sie mir Probleme gemacht." Etwa, indem sie die Eltern anderer Kinder vor dem "Zigeunerkind" warnten: Ich war der Buhmann der Klasse." Heute hat Jasarovski ein Wagenrad, das Symbol der Roma, auf den Arm tätowiert (siehe Foto).

Der Berliner: Früher wäre er gerne Arzt geworden. Heute denkt Miman, der zuletzt Sozialarbeiter und Familienhelfer in Berlin war, dass es gut wäre, wenn es mehr Lehrer aus seiner Community gäbe. Selbst noch einer zu werden, plant der Vater eines einjährigen Sohnes allerdings nicht.

Die Eltern der anderen Kinder auf dem Spielplatz zum Beispiel.

Und wie?

Skeptisch, misstrauisch. Als Kind habe ich das aber nicht so wahrgenommen, das war selbstverständlich. Du wächst damit auf, und es ist so, wie es ist.

Wann haben Sie dann angefangen, über diese Dinge nachzudenken?

Das kam erst ziemlich spät, so mit Anfang, Mitte 20. Bis dahin hab ich das alles als normal aufgefasst: zum Beispiel, dass wir niemandem gesagt haben, dass wir Roma sind, weil die Leute sonst schlecht von uns denken. Ich bin halt damit groß geworden und habe das auch nicht infrage gestellt, sondern so hingenommen, wie es ist.

Was war denn der Auslöser dafür, dass sich das geändert hat mit Mitte 20?

Ein Buch: "Begrab mich aufrecht". Die Autorin Isabel Fonseca ist in den späten Achtziger- und frühen Neunzigerjahren durch ganz Europa gezogen und hat mit den Roma gelebt. In dem Buch beschreibt sie deren Lebensbedingungen. Bei der Lektüre ist mir bewusst geworden: Egal wo man hinschaut in Europa - uns geht es überall gleich beschissen.

Auch in Deutschland?

Auch in Deutschland. Klar gab es die Möglichkeit, uns hier zu integrieren, Arbeit zu finden. Aber das hat auch nur funktioniert, wenn wir wie meine Eltern uns selbst verleugneten, indem wir gesagt haben, wir sind Jugoslawen, Gastarbeiter halt. Und es ging auch immer nur so lange gut, bis dann irgendjemand doch mitgekriegt hat, dass wir nicht die üblichen Jugoslawen sind. Sondern die Zigeuner-Jugoslawen.

Was hat das Buch bewirkt?

Es hat mich zuerst einmal tierisch frustriert und zermürbt. Ich habe angefangen, mir Gedanken darüber zu machen, warum das so ist und ob das gerechtfertigt ist, dass man so mit uns umgeht, ob wir das verdient haben und womit. Ich habe keine Gründe für mich gefunden. Dann habe ich angefangen, mich dafür zu interessieren, was Leute dagegen machen. Ich bin zu Veranstaltungen gegangen und habe gemerkt, dass es in erster Linie Deutsche sind, die sich dafür interessieren, uns Roma zu helfen. Aus unseren eigenen Kreisen waren es weniger.

Warum?

Die Leute leben mit der Diskriminierung, viele realisieren gar nicht, dass sie anders oder falsch behandelt werden. Und manche realisieren es zwar, nehmen es aber einfach als selbstverständlich hin. Wenn ein Volk über Generationen über Jahrhunderte hinweg richtig scheiße behandelt wird, dann fängt man an, das als selbstverständlich hinzunehmen. So, als ob das so sein müsste.

Kürzlich hat noch etwas Ihr Leben verändert: Sie haben Ihren Job aufgegeben, Ihre Wohnung, in der nun eine Roma-Familie wohnt. Was war der Grund?

Das war der Aufruhr, der losbrach, als kürzlich mehrere rumänische Roma-Familien hier in Berlin waren …

die im Mai zuerst im Görlitzer Park kampierten, dann im Juni bei den Bethanien-Besetzern Aufnahme fanden und schließlich mit Geld vom Senat zum Verlassen der Stadt überredet wurden.

Genau. Das hat mir unglaublich schwer zu denken gegeben - ich mache mir immer noch Sorgen.

Sorgen um die Roma?

Nein. Sorgen um Deutschland.

Inwiefern?

Ich fand es schockierend, wie man mit diesem Leuten umgegangen ist, die im Park campierten und vom Betteln lebten. Da gab es eine unglaubliche Aufregung um ein paar arme Menschen, die Autoscheiben wischen und dafür ein paar Cents haben wollen.

Autofahrer fühlten sich belästigt.

Vielleicht sind ja wirklich ein paar davon aggressiv vorgegangen, aber ich habe oft genug daneben gestanden und mir das angeschaut, um zu wissen, dass es meistens eher umgekehrt ist: Es sind die Autofahrer, die aggressiv waren.

Warum hat Sie das so bewegt, dass Sie Ihr ganzes Leben verändern?

Kurz zuvor waren in Italien Menschen auf Roma-Camps losgegangen, haben Molotowcocktails geschmissen und Unterkünfte abgefackelt - dort hatten hunderte, tausende von Roma unter furchtbaren Bedingungen ohne Wasser und Strom, ohne Arbeit und Geld im Elend gelebt. Hier hatten wir zwei Wochen lang etwa 100 Personen - und die Stadt stand Kopf. Dabei wollte keiner sehen, dass es in der Gruppe beispielsweise schwer kranke Kinder gab - dafür hat sich niemand interessiert. Alle haben nur über die nervigen Scheibenwischer geredet. Das hat mir so sehr zu denken gegeben. Wir steuern hier in eine Richtung, die für uns Roma sehr gefährlich werden kann.

Sie haben als Familienhelfer im Auftrag des Jugendamtes Roma-Familien betreut. Also haben Sie doch bei der Lösung von deren Problemen geholfen?

Ja, das ist immer so eine Sache mit dem Helfenkönnen. Es braucht sehr viel Zeit, um da etwas zu bewegen - teils weil viele Roma eben ihre Lage als selbstverständlich hinnehmen, aber auch weil ihnen eben wenig sinnvolle Alternativen angeboten werden.

Viele, die etwa als Lehrer oder Sozialarbeiter mit Roma zu tun haben, klagen aber auch über die Gruppe: Sie sei besonders schwierig. Stimmt das denn nicht?

Ich habe oft den Spruch gehört: Den Roma kann man nicht helfen. Aber das stimmt nicht. Man muss auf ihre besondere Problemlage eingehen, einen offenen Blick dafür haben und sich dafür zuerst von den mitgebrachten Vorurteilen befreien. Die meisten Roma-Familien leiden unter großen finanziellen Problemen. Eltern, die nicht wissen, was sie ihren Kindern morgen zu essen geben, haben nicht den Kopf dafür frei, sich mit den Schulproblemen ihrer Kinder auseinanderzusetzen.

Sie sind mit solchen Vorurteilen aufgewachsen. Warum war das Erlebnis mit der Gruppe so ein großer Schock für Sie?

Es war nicht die Lage der Menschen, deren Elend kannte ich ja schon. Es war die Reaktion der Deutschen, der Mehrheitsgesellschaft, die mich so schockiert hat. Zwar redet man heute von Sinti und Roma, im Grunde sehen aber alle immer noch den schmutzigen Zigeuner, der auf der faulen Haut liegt, statt zu arbeiten, und mit durchgefüttert werden will. Dass das nicht den Tatsachen entspricht, dass es sich wirklich um ganz arme Menschen handelt, die dringend Hilfe brauchen, das sieht keiner.

Beschreiben Sie gerade die Reaktion der Medien, der Öffentlichkeit oder die Reaktionen der Stellen, die eigentlich helfen sollten?

Eigentlich aller. Keiner wollte die wirklichen Probleme der Leute sehen. Die Politik wollte das Problem in erster Linie so schnell wie möglich loswerden, man hat sich dann ja auch am Ende regelrecht von der Zigeunerplage freigekauft. Dabei hätte man mit den 50.000 Euro, die dafür ausgegeben wurden, ganz andere Sachen machen können.

Was denn?

Man hätte zum Beispiel eine Obdachlosenunterkunft für diese Leute einrichten können, anstatt die im ehemaligen Abschiebelager in der Motardstraße einzuquartieren. Aber Geld ist nicht der ausschlaggebende Punkt. Wir konnten in den letzten drei Monaten für die Roma hier in Berlin sehr viel machen mit nur sehr wenig Geld.

Zum Beispiel?

Wir haben sie beispielsweise zu Ärzten, zu Kinderärzten gebracht, die sie teils kostenlos versorgt haben. Zum Teil haben wir das auch mit Spenden finanziert. Mit ein bisschen Geld konnten wir so eine Menge bewirken. Man braucht nicht Hunderttausende von Euro. Man könnte damit aber natürlich noch viel mehr gute Sachen machen. Aber wenn man die Dinge von der falschen Seite angeht, ist es rausgeschmissenes Geld. Aber es war ja auch gar nicht das Ziel, etwas Vernünftiges zu machen. Man wollte diese Leute einfach schnell loswerden.

Wie wird denn Ihr Weg jetzt weitergehen? Was wollen Sie tun?

Ich weiß es nicht genau. Zuerst möchte ich mal wieder ein richtiges Zuhause für mich finden - in meiner Wohnung lebt derzeit eine Roma-Familie. Und was die Arbeit betrifft: Es erschien mir zum Schluss so verlogen, was ich gemacht habe. Es stimmt, ich hatte eine gute und geregelte Arbeit, aber in Wirklichkeit sitzen doch auch mir die Geier im Nacken, ich bin ja auch ein Rom. Ich war mit meiner eigenen Rolle dabei sehr unzufrieden. Ich möchte ganz einfach niemandes Vorzeigezigeuner mehr sein.

Wer sind denn die Geier?

Die Gadje, also die Nichtroma! Natürlich nicht alle, das ist jetzt provokant formuliert. Aber ich glaube, hier in Europa steuern wir in eine Richtung, die sich für uns Roma als sehr gefährlich erweisen kann. Kinder werden mit ihren Eltern über den Haufen geballert, Häuser werden von selbst ernannten Volksmilizen angezündet und die Bewohner gleich mit. Ich denke deshalb, es ist wichtig, dass sich möglichst viele von uns mit den Problemen auseinandersetzen, die unser Volk hat.

Glauben Sie, dass das, was in Italien oder Ungarn passiert ist, auch hier passieren könnte?

Auf jeden Fall. Und das macht mir Angst.

Wie erklären Sie sich, dass ausgerechnet in Deutschland, das sich während der Nazi-Zeit so schuldig gemacht hat an den Roma, diese Ablehnung Bestand hat?

Es ist mir unerklärlich, dass sich die Menschen dafür nicht schämen. Die Roma sind nach wie vor das Volk, das auf dem Diskriminierungstreppchen ganz unten steht. Es gibt keine Lobby, keinen Staat, der uns schützt. Es wird toleriert, dass mit uns schlecht umgegangen wird. Die deutschen Politiker sind sich da immer noch viel zu wenig ihrer eigenen politischen Verantwortung bewusst.

Sie haben einen derzeit einjährigen Sohn. Was können und was möchten Sie von der Roma-Kultur an ihn weitergeben?

Ich versuche möglichst viel Romanes mit ihm zu sprechen. Leider bin ich der Einzige in seiner Berliner Familie, der das kann und der Rom ist - und Rom zu sein bezieht sich immer sehr stark auf die Familie. Mein Bruder hat kürzlich mal nachgezählt: Das, was ich in meiner Heimat Düsseldorf als Familie bezeichne, umfasst etwa 400 Haushalte. Mein Sohn hat leider sehr wenig Kontakt zu meiner Familie, da wir hier leben. Das macht es schwer, ihm viel Roma-Kultur mitzugeben. Aber ich bemühe mich darum, dass er wenigstens die Sprache lernt. Denn die Sprache ist der Schlüssel zu einer Kultur.

Wenn Sie an Ihre Erfahrungen denken: Was möchten Sie ihm ersparen?

Ich wünsche mir, dass er, wenn er mal groß ist, offen sagen kann, dass er Rom ist - das soll etwas Selbstverständliches für ihn sein. Er soll nicht den Zigeunerstempel auf die Stirn bekommen.

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