Kolumne Speckgürtel: Im Sektorengebiet der Pilzkopfmutti

Das hier war mal meine Gegend. Jetzt regieren der Merlin, die Merlin-Eltern und ihresgleichen.

Kürzlich war es wieder so weit. Ich passierte die Landesgrenze und suchte meine Heimat Ostberlin auf. Übermütig ging ich durch meinen alten Bezirk Prenzlauer Berg, ich wähnte mich unerkannt und suchte eines dieser coolen kleinen vietnamesischen Restaurants auf, wo sich die Bionade-Boheme um die Tofutöpfe versammelt.

Ich hätte nur mal die Augen aufmachen müssen, um die Zeichen korrekt zu deuten. Denn direkt vor dem Restaurant musste ich mir den Weg freischießen, um nicht über Bobbycars, handgedengelte Lärchenholz-Laufräder und Kinderwagen zu stolpern, die wahlweise aus dem Trendlabor von Mercedes-Benz oder vom Lumpensammler ums Eck zu stammen schienen.

Und richtig, kaum hatte ich auf der Bierbank Platz genommen, steuerte eine massive Dreierformation den Tisch an. Raumgreifend und sich untereinander in breitestem Schwäbisch verständigend, nahmen die Pilzkopffrisurenmutter und der Pilzkopffrisurenvater Platz. Ihr etwa ein Jahr altes Kind, an dessen Pilzkopffrisur noch zu arbeiten sein wird, setzten sie mir unmittelbar zur Seite. Da hatte "der Merlin" ausreichend Platz, um seine Lauflernschuhe an meinem Mantel abzustreifen und so kräftig am Tisch zu ruckeln, dass meine aromatische Suppe überschwappte.

Ich blieb ruhig. Wer war ich, mich zu beschweren? Als meine Töchter klein waren, gehörte dieser Kiez hier mir. Jenen Touristen, die nicht entsprechend zügig den Straßenraum freigaben, fuhr ich schon mal mit dem Kinderwagen in die Hacken. Ich war schließlich etwas Edleres als diese mittelalten Lodenmantelgestalten: eine Mutter.

Für herzenskalte, arrogante Schnösel wie mich hielt das Schicksal eine besondere Strafe bereit. Ebenjene Touristen nämlich, denen ich einen brutalen Gruß aus der Hauptstadt in die Knöchel rammte, entpuppten sich als solvente Westdeutsche, die nur deshalb so lahm waren, weil sie in Ruhe jene Häuser und Wohnungen begutachteten, die sie ihren Töchtern und Söhnen zu kaufen beabsichtigten.

Es dauerte nicht lange, und meine Tage in Prenzlauer Berg waren gezählt. Kinder wurden zum Störfaktor, Spielplätze galten als Partylocation. Ich zappelte noch ein bisschen, dann suchte und fand ich eine preiswerte Immobilie im Speckgürtel und zog meine Kinder dort im kleinstädtischen Kontext auf.

Die Partymeister jener Jahre nahmen ihre elternfinanzierten Wohnungen in Beschlag, feierten noch ein, zwei Jahre und machten sich dann an ihren Reproduktionsauftrag. Recht so!

Es war also nur gerecht, dass die Pilzkopffrau "dem Merlin" eine Schüssel Reis und einen Suppenlöffel in die Hand drückte, auf dass er "e bissele spiele" kann. Das tat er. Ordentlich schaufelte er mir, der mittelalten Frau, den Reis über den Mantel. Dann schnappte der kleine Geselle nach dem Ingwertee seiner Frau Mutter. Hilfesuchend schaute ich zu ihr hinüber. Und was sah ich? Einen bösen Blick. Willscht di bschwern?, funkten ihre Augen.

Ich begriff: In meiner alten Heimat herrschte jetzt Familiendiktatur. Wer war ich schon? Nur eine mittelalte Hetera, die ihre besten Jahre weiß Gott hinter sich hat und bei deren Anblick sich die Pilzkopfmutti offenbar die Frage stellte, ob man für Ostberlin nicht langsam wieder Visapflicht und Zwangsumtausch einführen sollte. Bevor es so weit käme, zahlte ich und ging. Die Pilzkopfmuttis, Pilzkopfvatis und ihre Hipster-Merlins blieben hinter der Landesgrenze zurück.

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1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.

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