Soderberghs neuer Film "Der Informant!": Der Gnadenlosigkeit zu viel

Steven Soderbergh ist ein Autorenfilmer ohne eigenen Stil. In seinem Film "Der Informant!" versucht er sich an einer Agentenfilm-Farce, die auf einem wahren Fall von Wirtschaftskriminalität beruht.

Die Geschichte, auf der "Der Informant!" basiert, stammt aus den 90er-Jahren. Bild: ap

Die Eröffnung von "Der Informant!" ist typisch für den Hollywood-Regisseur Steven Soderbergh. Die folgende Geschichte, heißt es, beruhe auf wahren Begebenheiten, nur einige Namen und Ereignisse seien verändert worden. Im englischen Original geht es mit einem lakonischen "So there!" weiter, und die Wendung enthält das Weltbild des Skeptikers Steven Soderbergh.

Seit seinem Debüt "Sex, Lügen und Video" problematisiert er immer wieder die Objektivität des Erzählkinos. Kritiker haben ihm oft seine Wandlungsfähigkeit vorgehalten. Soderbergh verkörpert für viele einen Widerspruch: ein Auteur ohne eigenen Stil, ein gewiefter Netzwerker, der es mit ein paar Kassenhits ("Out of Sight", "Erin Brockovich", die "Oceans"-Trilogie) bis in die Oberklasse Hollywoods geschafft hat - dorthin, wohin sich kaum einmal Regisseure verirren, die das Wort "Filmkunst" noch mit einem gewissen heiligen Ernst in den Mund nehmen.

Nur wenige Hollywood-Regisseure haben es verstanden, ihren Skeptizismus ähnlich erfolgreich in die - von einem ideologischen Standpunkt aus betrachtet - so affirmativen Formen des Mainstreamkinos zu überführen (Billy Wilder und Alfred Hitchcock gehörten zweifellos zu ihnen). Bei Soderbergh trägt diese Art der Selbsthinterfragung mitunter zwanghafte Züge, die den Ansprüchen eines Unterhaltungsfilms nicht immer dienlich sind.

Zuletzt litten seine beiden "Che"-Filme unter ihrer Konzeptlastigkeit, die selbst dann noch eine distanzierte Sprödheit verstrahlte, wenn Soderbergh sich - wie im ersten Teil - bei der Breitwand-Ästhetik des kommerziellen Hollywood-Kinos bediente. "Che - Revolución" und "Che - Guerrilla" schienen sich vor allem an dem Problem aufzuhalten, wie man eine derart ikonisierte Figur wie Guevara noch unvoreingenommen abbilden könnte.

Soderbergh ist ein Regisseur, der die Bedingungen des Filmemachens ständig neu in Frage stellt. Manchmal springen dabei ein paar schöne Pointen heraus - wie in "Oceans Twelve". Demgegenüber stehen quälend selbstreferenzielles Bekenntniskino ("Full Frontal") oder die historisch akkurate Leblosigkeit des Museumsstücks "The Good German".

Interessanterweise wurde Soderberghs Stil in den vergangenen Jahren umso souveräner, je weiter er sich in die Gefilde des Mainstreamkinos vorwagte. Er versteht sich darauf, Genre-Konventionen seinen ganz persönlichen Vorstellung zu unterwerfen. Das hat er mit Quentin Tarantino, ebenfalls einem Vertreter der ersten Sundance-Generation, gemein. In dieser Hinsicht ist "Der Informant!" durchaus mit "Inglorious Basterds" vergleichbar.

So wie Tarantinos "Remake" vom italienischen Original nicht viel mehr als den Plot übernahm, schert sich auch Soderbergh in "Der Informant!" wenig um die Faktenlage der Geschichte. So there, eben. Soderbergh wie Tarantino überspannen die Regeln des Erzählkinos, ihre Filme testen immer wieder dessen Belastbarkeit aus. Nun gehört die Postmoderne auch im Kino längst der Vergangenheit an. Filmemacher, die einen kritischen Blick auf die Verhältnisse werfen, bevorzugen heute eine eher wirklichkeitsnahe, sachliche Ästhetik mit langen Einstellungen und Halbtotalen.

Dagegen wirkt das Pastichekino Soderberghs manchmal etwas unzeitgemäß, auch wenn es sich technisch auf dem neuesten Stand präsentiert. Dieser Anachronismus deutet sich in "Der Informant!" bereits in der Titelsequenz an. Das angejazzte Agentenfilm-Thema ist ein ebenso eigenwilliges Stilmittel wie der Retro-Schriftzug der Credits. Denn die Geschichte, auf der "Der Informant!" basiert, stammt aus den 90er-Jahren, der Hochzeit der Clintonomics ("Its the economy, stupid!"), in der unter anderem der Grundstein für den späteren Enron-Skandal gelegt wurde.

Basierend auf dem Tatsachenroman des New York Times-Journalisten Kurt Eichenwald erzählen Soderbergh und sein Drehbuchautor Scott Z. Burns vom sonderbaren Aufstieg und Fall des Mark Whitacre, der sich vom Biochemiker bis zum jüngsten Vizepräsidenten in der Fortune-500-Liste des Forbes-Magazins hocharbeitete. Anfang der 90er-Jahre kam Whitacre einem internationalen Korruptionsfall im Biotech-Konzern ADM auf die Spur, bei dem es um illegale Preisabsprachen in Milliardenhöhe ging.

Als sich das FBI für die Finanzen seines Arbeitgebers zu interessieren begann, stellte Whitacre sich bereitwillig als Informant zur Verfügung. Mit einem Abhörmikrofon im Aktenkoffer zeichnete er jahrelang hunderte Stunden an internen Gesprächen auf. Doch Whitacre stellte sich später selbst als Risikofaktor heraus, weil er den Behörden seine eigene Rolle in der Verschwörung vorenthalten und sich damit in einem Geflecht aus Falschaussagen und erfundenen Geschichten verstrickt hatte. Das FBI musste die Verbindung zu ihm schließlich kappen, um die Ermittlungen gegen ADM nicht zu gefährden.

Eichenbergs Bestseller rekonstruierte penibel die Exzesse des Turbokapitalismus Anfang der 90er und schilderte gleichzeitig die tragische Geschichte eines Mannes, dem der Bezug zur Realität abhanden kam. Soderbergh bezieht sich größtenteils auf Eichenwalds Vorlage, hat sich in der Auslegung der Fakten aber einige Freiheiten genommen.

Einen zweiten "Erin Brockovich" habe er nicht drehen wollen, sagte er mehrmals in Interviews. Dafür muss er sich jetzt an den Coen-Brüdern messen, die mit "Burn After Reading" erst letztes Jahr das Genre des Agentenfilms erfolgreich entkernt haben. Matt Damon reiht sich mit seiner Darstellung Whitacres in die jüngste Liste von Knallchargen beim Agentenspielen ein. Mit schlechter Perücke, Schnauzer und fünfzehn Kilo Übergewicht hat er es sich in der Rolle des karrieregeilen Spießers eingerichtet, der sich auf einem permanenten Höhenflug wähnt, ohne zu merken, dass es bereits rasant abwärts geht.

Die Farce als Tonfall für Whitacres Geschichte ist für den sonst eher kühlen Pragmatiker Soderbergh eine überraschende Entscheidung. Sie schränkt seine Perspektive unvermeidlich ein. "Der Informant!" unterwirft sich konsequent der inneren Logik von Whitacres Realität; für eine Analyse der Ereignisse bleibt kaum Raum. Damon besetzt diesen mit seinem entgrenzten Spiel, das im Sinne der physical comedy in erster Linie auf äußerliche Effekte abzielt. Forcierung ist das dominante Stilmittel.

Soderbergh, Burns und Damon gewähren einen verstörenden Einblick in dieses verwirrte Geschöpf des Spätkapitalismus. Whitacres frei flottierende, innere Monologe über das Jagdverhalten von Eisbären, den Inhalt von Frühstücksflocken und die Faszination japanischer Geschäftsleute für getragene Mädchenunterwäsche stellen gewissermaßen das Wahnsystem im Wahnsystem dar. Die permanente Ungleichzeitigkeit von innerer Erzählung und äußerer Handlung ergibt auch ein treffliches Bild für die Schizophrenie des freien Marktes. Erst als sich die Schlinge um Whitacre zuzieht, beginnt er, seine Umwelt unverzerrt wahrzunehmen.

Wilder Stilmix

Soderbergh interessiert sich jedoch weder für die persönliche Tragik von Whitacres Niedergang noch für das Klima, das diesen begünstigte. Die Protagonisten bleiben größtenteils Karikaturen. Das hat etwas Schäbiges, weil relativ früh klar wird, dass die Persönlichkeitsstörung Whitacres klinische Ursachen hat. Die Richter hatten kein Einsehen mit ihm (seine Haftstrafe fiel von allen Tatbeteiligten am höchsten aus).

Auch Soderbergh kennt kein Erbarmen. Das heißt: Er treibt mit "Der Informant!" das flockig-unverbindliche Pastichekino auf die Spitze, das er mit der "Oceans"-Trilogie perfektioniert hat. Die Dekadenz dieser Arbeitsweise zeigt sich in dem wilden Stilmix, der für Soderberghs Verhältnisse reichlich maßlos ausfällt. Dem Film ist deutlich anzusehen, dass alle Beteiligten bei den Dreharbeiten auf ihre Kosten gekommen sind; daran ist prinzipiell nichts auszusetzen. Der Film zerfällt darüber jedoch in eine Ansammlung gelungener Einzelaktionen. Damon selbst liefert einige schöne Seitenhiebe auf seine Rolle in den "Bourne Identity"-Filmen ab. Seine unscheinbare Physiognomie ist wie geschaffen für professionelle Jedermänner wie Whitacre und Bourne.

Irgendwo auf halber Strecke verliert der Zuschauer das Interesse an Whitacre - lange bevor der Film einen düsteren Tonfall anschlägt, der der Geschichte so viel zuträglicher gewesen wäre. Soderberghs Spiel mit Realit#t und Fiktion verspricht kaum Erkenntnisgewinn. Skepsis herrscht nach "Der Informant!" allenfalls auf Seiten seiner Kritiker.

"Der Informant!". Regie: Steven Soderbergh. Mit Matt Damon, Scott Bakula u. a. USA 2009, 108 Min.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.