Lieber in Grautönen statt in Schwarz-Weiß

FREIHEITSENTZUG IM KLOSTER Regisseur Guillaume Nicloux im Gespräch über seinen Wettbewerbsfilm „La Religieuse“, das Antiklerikale bei Diderot und die Rolle seiner Tochter bei der Stoffentwicklung

■ Jahrgang 1966, französischer Regisseur, Drehbuch- und Romanautor und Filmdozent. Nicloux’ Filme haben oft ein kriminalistisches Moment („Der Schlüssel“, 2007), er versteht sich aber auch auf die schwarze Komödie („Holiday“, 2010) oder den Fantasy-Film („Le concile de pierre“, 2006). Nicloux’ neuester Spielfilm, „La Religieuse“, ist eine Adaption des gleichnamigen Romans, geschrieben von dem Aufklärer Denis Diderot 1780. Er handelt von einer jungen Frau, die gegen ihren Willen ins Kloster gesperrt wird. Das Buch wurde bereits mehrfach verfilmt, unter anderen 1966 von Jaques Rivette mit Anna Karina und Liselotte Pulver in den Hauptrollen.

INTERVIEW KIRA TASZMAN

taz: Monsieur Nicloux, was macht für Sie die Aktualität des Diderot’schen Stoffes aus?

Guillaume Nicloux: Ich hatte schon lange Lust, „La Religieuse“ zu adaptieren, und mich gefragt, wie ich den Stoff modernisieren könnte. Ich wollte ihn von seinem antiklerikalen Etikett befreien. So habe ich den Kern des Romans offengelegt, der für mich eine Ode an die Freiheit ist. Mein Film handelt dementsprechend recht generell von der Freiheit, zu denken, zu leben. Meine damals 15-jährige Tochter hatte den Roman auch gelesen und gesagt: Das gibt es doch heute immer noch. Damals war gerade ein Fall in den Schlagzeilen, wo ein Gericht einem Mann erlaubt hatte, seiner Frau die Ohren und die Nase abzuschneiden.

In welchem Land?

Das Land oder die Religion sind mir egal. Jedenfalls kam meine Tochter zu dem Schluss, dass auch am Anfang unseres Jahrhunderts die Frau die männliche Hegemonie, das patriarchalische System ertragen muss. So konnte auch ich „La Religieuse“ zeitlos und universell verorten.

Ist denn Diderots Motivation nicht verständlich?

Doch, natürlich kann man seine antiklerikale Haltung gut verstehen – aber eben im historischen Kontext des 18. Jahrhunderts, als die Religion der Staat war und sowohl das Denken als auch die Sitten diktierte. Doch eigentlich war Diderot gar nicht gegen die Religion an sich, sondern gegen ihre Exzesse, ihren Fanatismus. Deshalb wehrt sich die Heldin Suzanne gegen die klösterlichen Vorschriften, die nur eine ganz bestimmte, strenge Art des Glaubens zulassen.

Warum wird Suzanne bei Ihnen fast ausschließlich von männlichen Rettern und weiblichen Fieslingen umgeben?

Sie vergessen die von Françoise Lebrun gespielte Oberin, die eine positive und liebevolle Figur ist. Außerdem gab es damals kaum weibliche Figuren mit Einfluss. Eine junge Frau aus einer solchen Situation zu retten, das konnten nur männliche Priester, Erzdiakone oder Rechtsanwälte tun.

Im Film wird ja auch Suzannes Mutter – im Buch als sehr hart gezeichnet – aufgewertet. Ist das so, weil Sie zeigen wollen, dass auch sie als Frau den Imperativen ihrer Zeit ausgesetzt ist?

Ja, aber ich finde es insgesamt interessanter, mich in Grautönen zu bewegen als in Schwarz-Weiß. Verstellungen, Ängste und Unsicherheiten der Mutter tragen ja auch zu ihrer Widersprüchlichkeit bei. Manchmal empfindet man sie als aufrichtig, manchmal fragt man sich, ob sie nicht berechnend ist. Für mich verhindern solche Zweifel eine zu offensichtliche Empathie mit den Figuren.

Die von Isabelle Huppert gespielte Oberin sagt an einer Stelle, dass der Unterschied zwischen dem Leben im Kloster und der Heirat in puncto Freiheit kein so großer sei. Ist das nicht tatsächlich eine zulässige Einschätzung?

Da predigt sie auch in eigener Sache (lacht). Aber de facto waren die Rechte der Frauen in Frankreich bis ins 20. Jahrhundert sehr beschränkt. Ab wann gab es die Pille? Ab wann das Wahlrecht? Es genügt, sich die jüngere Vergangenheit anzuschauen, da muss man nicht 300 Jahre zurückblicken.

Trotzdem hat sich seit Rivettes Filmadaption von 1967 gesellschaftlich doch einiges geändert.

Deshalb hatte Rivette auch einen anderen Ansatz. Als er seine Fassung von „La Religieuse“ drehte, mischte sich die katholische Kirche noch stark in staatliche und kulturelle Angelegenheiten ein. Noch in den sechziger Jahren gab es etwa hundert Filme, die auf ihre Einflussnahme hin zensiert wurden. Verständlich, dass Rivette eine ähnlich antiklerikale Haltung wie Diderot an den Tag legte.

Im Roman nimmt es mit Suzanne kein gutes Ende. Warum gibt es in Ihrem Film ein Happy End?

Ich würde das nicht als Happy End bezeichnen, denn ich frage mich, wie es ihr und ihrem Halbbruder einige Jahre später während der Französischen Revolution in ihrem Château ergehen wird. Aber Suzanne, die so viele Hindernisse überwindet, am Schluss als armes Ding darzustellen, das seinem Leben womöglich selbst ein Ende setzt, das erschien mir zu simpel.

Sie haben unter anderem in den deutschen Klöstern Bronnbach und Maulbronn gedreht. Welche Einschränkungen bringt das Drehen in einem Kloster mit sich, wo liegt der Reiz?

Zunächst einmal mag ich natürliche Kulissen und unterwerfe mich gern den physischen Gegebenheiten: dem Ort, dem Wetter oder dem natürlichen Licht, das wir, mit Ausnahme von Kerzenlicht, ausschließlich benutzt haben. Eines der Klöster war von Mönchen bewohnt. Aber die befanden sich in einem abgeschotteten Bereich und blieben vollkommen unsichtbar.

Warum haben Sie sich für Martina Gedeck als Darstellerin der Mutter entschieden?

Martina Gedeck habe ich in „Das Leben der Anderen“ entdeckt. Für meinen Film wollte ich ihre Rolle von vornherein mit einer Ausländerin besetzen, um klarzumachen, dass zu Diderots Zeiten Vernunftehen geschlossen wurden, dass Adelige wegen Ländereien oder Titeln heirateten.

■ 17. 2., Friedrichstadt-Palast, 18.15 Uhr