China-Expertin Gudrun Wacker: "Die innere Stabilität geht vor"

Sind die nationalen Interessen berührt, kennt China keine Kompromissbereitschaft, sagt Expertin Gudrun Wacker. Bei Tibet und Xinjiang fahre die Führung eine Doppelstrategie.

Gyantse, Tibet. Bild: Desmond Kavanagh - Lizenz: CC-BY-ND

taz: Frau Wacker, Olympia ist vorbei, die Welt schaut nicht mehr genau hin und China kehrt zu gewohnten Repressalien zurück - ein treffender Eindruck?

Gudrun Wacker: Den Zusammenhang würde ich nicht so sehen. Man kann nicht sagen, dass China bestimmte Repressionen für die Spiele aufgegeben hat und sie jetzt wieder aufleben lässt. Nach den Zwischenfällen in Ürümqi im Juli dieses Jahres hat die chinesische Führung umgehend angekündigt, dass die Verantwortlichen mit aller Härte bestraft werden.

Trotz der gestiegenen internationalen Aufmerksamkeit?

In Fragen, die als Bedrohung für die innere Stabilität angesehen werden, und in Kernfragen des nationalen Interesses und der territorialen Integrität wird China kaum Kompromissbereitschaft zeigen, nur um sein internationales Image aufzupolieren. China wird sich nicht verändern, weil wir das so wollen, sondern wenn es selbst eine Notwendigkeit dazu sieht oder die Zeit für eine politische Entscheidung für gekommen hält.

Hat die chinesische Führung den Uiguren noch etwas anderes anzubieten als den Polizeiknüppel?

Die Entwicklungspolitik der chinesischen Führung sowohl für Xinjiang als auch für Tibet kann man als Doppelstrategie bezeichnen: Zum einen hat man versucht, diese Regionen durch Öffnung nach außen und durch verstärkte Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur wirtschaftlich voranzubringen und auch besser an das chinesische Kernland anzubinden. Zum anderen wird jede religiöse Aktivität, die sich nicht in den offiziell abgesegneten Bahnen abspielt, geahndet.

Mit welchem Erfolg?

Beides hat nicht unbedingt den gewünschten Effekt einer Stabilisierung. Denn Minderheiten wie Uiguren oder Tibeter sind nicht zwangsläufig die Nutznießer der neuen wirtschaftlichen Möglichkeiten. Vielmehr ziehen diese mehr Han-Chinesen in die autonomen Regionen und tragen so zur Marginalisierung der ethnischen Minderheiten bei, was für neuen Konfliktstoff sorgt. Und indem man religiöse Aktivitäten quasi kriminalisiert, schürt man Unzufriedenheit und sorgt unter Umständen dafür, auch gemäßigte Kräfte zu radikalisieren.

Arbeiten die radikalen Kräfte nicht von sich aus an einer solchen Entwicklung? Bei den Ausschreitungen im Sommer gab es pogromartige Übergriffe von Uiguren auf Han-Chinesen, auch vom Einfluss islamistischer Kräfte ist die Rede.

Wie stark islamistisch-extremistische Kräfte oder auch separatistische Gruppierungen in Xinjiang tatsächlich sind, ist nicht bekannt. Proteste und Demonstrationen haben meist einen ganz konkreten Anlass, wie auch in diesem Fall die Nachricht von der Verfolgung und Misshandlung einiger uigurischer Arbeitern im Süden Chinas. Die angesammelte Wut und Frustration über Diskriminierung und Marginalisierung hat sich gegen die Han-Chinesen entladen, ähnlich wie schon in Lhasa im letzten Jahr. Wenn man extremistische Kräfte verantwortlich macht und dazu noch die jeweiligen Drahtzieher im Ausland verortet, dann verstellt dies den Blick auf die tieferen Ursachen der Unzufriedenheit.

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