Kolumne Speckgürtel: Scheiß auf den Konsum

Eine Geld-zurück-Garantie gibt es im Einzelhandel. Jedoch nicht bei der eigenen Tochter. Grmpf.

Wer braucht schon Geld! Jetzt mal ganz im Ernst, Geld ist doch komplett egal, oder? Und tausend Trilliarden mal egaler, wenn man zwanzig Jahre alt ist und endlich raus bei Mutti. Da, das kann ich Ihnen sagen, ist ja Geld also so was von überflüssig und egal! Hauptsache, die Monatsmiete und ein paar weitere Hunderter gehen rechtzeitig zum Monatsanfang auf dem Girokonto ein. Mehr - also im Grunde so gut wie nichts - braucht die Frau Tochter nicht, um ihre Rauchwaren, die hochwertigen Biolebensmittel und neue Ökobaumwolljeans bezahlen zu können. Und um in Ruhe Politologie studieren zu können. Aber ansonsten gilt von ihrer Seite aus: Pah, Geld! Irgendwie schmutzig und komplett egal.

So etwa muss es im Kopf meiner Tochter ausschauen. Anders nämlich wäre kaum zu erklären, warum sie Geld verschenkt hat. Auf offener Straße, an fremde Leute. Und nicht etwa ihr Geld - das brauchte sie ja für Zigaretten, Biobrot und Hosen. Nein, die kluge Blondine hat mein Geld großzügig einer höheren Bestimmung zugeführt. Und das kam so.

Im Spätsommer war das hoffnungsvolle Erstsemester bei mir auf Heimatbesuch. Wie es so ist, wenn eine verlassene Mutter versucht, in Kontakt zur Brut zu kommen, kochte ich ihr ihr Lieblingsessen und drängte sie hernach Richtung Sofa, wo ich sie so unauffällig, wie es eben geht, nötigte, mir alles zu erzählen, was es so an Wissenswertem aus ihrem neuen wilden Leben in der fremden großen Stadt gab.

Es kam nicht allzu viel. Abgesehen vom permanenten Straßen- und Fluglärm, den sie von ihrer Kindheit und Jugend im Speckgürtel her nicht kannte, schienen ihr nur noch die etwas günstigeren Bioladenpreise in Sachsen, die Absurdität des sie nun umspülenden Dialekts ein. Und eine hübsche Jacke, die sie bei einem örtlichen Textildiscounter entdeckt hatte. So grau und mit so süßen aufgesetzten Taschen, beschrieb sie das Kleidungsstück mit einem Aufschlag ihrer blauen Augen. Ich ging in den Flur, holte fünfzig Euro, steckte sie ihr zu und raunte: Kauf dir die Jacke, Kind, du sollst nicht frieren! Das machen Mütter doch so, oder?

Vier Wochen vergingen, das Erstsemester kam erneut auf Heimatbesuch. Der Herbst schüttelte im Speckgürtel das Laub von den Bäumen, es zog wie Hechtsuppe - aber sie trug immer noch ihre alte Sommerjacke. Wo denn die neue Jacke sei, fragte ich. Die, antwortete sie, habe sie schließlich doch nicht gekauft.

Ich: Dann kannst du mir die fünfzig Euro ja wiedergeben. Sie darauf: Die hab ich nicht mehr - damit habe ich etwas viel Besseres gemacht! Ich bin auf der Straße vom Malteser-Hilfsdienst angesprochen worden, und ich fand das so überzeugend, was die leisten, dass ich ihnen das Geld gleich gegeben habe.

Ich will Ihnen die Einzelheiten ersparen. Nur so viel: Es folgte ein zunehmend heftiger werdender Mutter-Tochter-Dialog, in dem Wörter wie "zurückzahlen", "geschenkt", "Scheißkonsumgesellschaft", "hart arbeiten" und "Überlegenheitsgefühl" fielen. Am Ende stellte die Weltenretterin die entscheidende Frage: "Willst du das Geld zurück??!!"

Wer war ich, Geld zurückzufordern, mit dem eine hochmoralische angehende Politologin diese Welt ein kleines bisschen besser zu machen gedachte? Ich meine: Geld! Pah! Das wird mir doch von Tiefladern herab vor die Haustür gekippt, das wächst an Bäumen und verdoppelt sich an jedem Monatsersten auf meinem Girokonto.

Kürzlich erzählte mir ein Freund, dass in seiner Kirche neuerdings für die Kollekte Spendenquittungen ausgestellt werden. Anderswo ist man offenbar schon weiter.

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1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.

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