Klimaschutz in Schweden: Die grünste Stadt

Die schwedische Stadt Växjö lebt den Klimaschutz vor und zeigt, dass der CO2-Ausstoß in 15 Jahren um 35 Prozent reduziert werden kann. Die Delegationen aus aller Welt sind begeistert.

Selbst die EU-Agrarminister waren auf Stippvisite in Växjö. Bild: dpa

VÄXJÖ taz | Plötzlich riecht es nach Weihnachten. Das Kraftwerk stinkt nicht nach Öl und Kohleabgasen, sondern nach klein geschreddertem Forstabfall aus den Nadelwäldern. Dieses Kraftwärmewerk ist einer der Gründe dafür, dass sich das südschwedische Växjö stolz "grünste Stadt Europas" nennt.

Vor zwei Jahren hat die Städteorganisation "Baltic Cities" Växjö tatsächlich diesen Titel verliehen. Und nach einem BBC-Film über "The greenest city in Europe" kann sich die Kommune vor dem Zustrom von internationalen Besucherdelegationen kaum noch retten. Über 3.000 waren es laut einer im Rathaus geführten Statistik.

Sarah Nilsson ist amtierende Chefin der Planungs- und Entwicklungsabteilung der Stadt Växjö. Und sie zeigt in einem Sitzungssaal des Rathauses bunte Diagramme, die darstellen, dass hier statistisch jede Einwohnerin und jeder Einwohner im letzten Jahr für einen Kohlendioxidausstoß von nur noch 3 Tonnen verantwortlich war.

"Wir haben in 15 Jahren eine Verminderung um 35 Prozent geschafft. Warum sollte für die EU eine Verminderung von 20 oder 30 Prozent bis 2020 so schwer sein?", meint Nilsson im Hinblick auf den Klimagipfel in Kopenhagen. "Denn Wachstum und erfolgreiche Klimapolitik schließen sich nicht aus", verweist sie auf zwei neue Kurven. Eine um fast 40 Prozent abfallende grüne Linie, die den verminderten CO2-Ausstoß zeigt. Und eine nach oben aufsteigende blaue Linie: Das Bruttonationalprodukt pro Kopf der Bevölkerung ist in 15 Jahren um 63 Prozent gewachsen. Växjö ist eine expandierende Stadt. Seit 1990 wuchs die Einwohnerzahl um 10.000 auf jetzt 55.000 im Zentralort selbst, auf 82.000 in der ganzen Kommune.

1996 hatten sich die Stadtoberen ein damals weithin belächeltes Ziel gesetzt. Man wollte bis 2050 "fossilenergiefreie" Kommune werden. Bis zum Jahr 2010 soll der CO2-Ausstoß um 50 Prozent, bis 2025 um 70 Prozent sinken. "Basisjahr ist 1993", betont Sarah Nilsson, "denn für die Zeit vorher hatten wir einfach noch keine genauen Zahlen."

Das Klimaschutzinteresse der traditionell von einer Mitte-rechts-Koalition regierten Stadt rührt von den in den 90er-Jahren recht aktiven "Grünen", her, berichtet die Planungschefin: "Plötzlich wollten alle Umweltparteien sein, und führende Politiker entdeckten das Thema." Växjö hatte aber auch hautnahe Erfahrungen darin gemacht, was passiert, wenn man ökologische Zusammenhänge nicht berücksichtigt: Einer der mitten in der Stadt liegenden Seen war durch Abwassereinleitungen biologisch umgekippt und fast mausetot, der andere nahezu völlig verschilft.

Jetzt sind es zwei Schmuckstücke, denen man ihre aufwendig wegsanierte Vergangenheit nicht mehr ansieht. Und auch Geld spielte eine Rolle. Die Ölpreissteigerungen in der Folge des Irak-Iran-Kriegs ließen in den Achtzigerjahren die Produktionskosten des weite Teile der Stadt versorgenden kommunalen Fernwärmewerks der Växjö Energi in die Höhe schießen. Während andere Gemeinden auf Kohle umstiegen, begann Kraftwerkschef Ulf Johnsson mit Holzschnitzeln zu experimentieren.

"Damals durchaus nicht so naheliegend, wie der Blick aus dem Fenster vermuten lässt", sagt Lars Ehrlén, Chef von Växjö Energi, der im Kraftwärmewerk Sandviksverket am südöstlichen Stadt- und Waldrand mit Kaffee empfängt. Auch er zeigt erst einmal Diagramme: 1979 wurde hier zu 100 Prozent Öl verfeuert. 2008 war es nur noch 1 Prozent und ab 2010 gar kein Öl mehr. Växjö war Pionier, was Energieerzeugung aus Holzschnitzeln angeht. Doch beinahe wäre diese Epoche schon im Ansatz stecken geblieben. Ein Markt für Forstabfälle musste erst einmal geschaffen werden.

Mittlerweile betreiben fast alle schwedischen Städte reine Biomassekraftwerke oder solche, in denen Holz der hauptsächliche Brennstoff ist. Ende November hat die Stadt Stockholm Investitionen in Höhe von einer Milliarde Euro für die fast vollständige Umstellung ihrer Kraftwärmewerke auf Biomasse angekündigt. Was ab 2020 eine Minderung des CO2-Ausstoßes um jährlich 1,2 Millionen Tonnen bedeuten wird. Der Nebeneffekt: Geschnitzelter Forstabfall ist mittlerweile so begehrt, dass er so teuer wie der Rohstoff für die Papierfabriken ist.

"Aber wir brennen nur reines Holz, keine Bauabfälle", betont Ehrlén. Die Asche aus den Öfen und damit wertvolle Mineralien "verblase" man zur Düngung mit einem Spezialfahrzeug wieder in den Wäldern.

Das Sandviksverket ist ein zentrales Puzzleteil für Växjös Stellung als "grünste Stadt" Europas. Es versorgt 90 Prozent der Stadt mit Fernwärme und produziert - rechnerisch - gleichzeitig fast 50 Prozent des Strombedarfs. Der weit überwiegende Teil der gesamten CO2-Reduktion der Stadt geht auf die Umstellung der Wärme- und Elektrizitätsproduktion auf Biomasse zurück. Und nur noch jeweils rund 300 Kilogramm CO2 pro Jahr und EinwohnerIn entfallen auf diese Sektoren.

Aber aus den Wäldern holt sich Växjö nicht nur seine Energie, sondern auch das Baumaterial für Wohn- und Geschäftshäuser und viele der Gebäude der vor 10 Jahren gegründeten Universität. Im Anschluss an diese Uni wächst auf einer Fläche von 12 Hektar ein neues Viertel ausschließlich aus modernen Holzhochhäusern heran, mit 1.000 Wohnungen und 40.000 Quadratmetern für Büros und Geschäfte. Beim Bau mit Holz wird im Vergleich zu Betonbauten nur ein Zehntel des Kohlendioxids freigesetzt. Im Oktober wurden die ersten beiden achtgeschossigen Passivenergiehäuser aus Holz bezugsfertig. Werden noch Solarzellen installiert, produzieren diese Häuser und ihre Bewohner Überschussenergie. Die Universität von Växjö ist jetzt führend in Holzbautechnik und ein Zentrum für die Renaissance des Holzbaus.

Alles eitel Sonnenschein also, nachdem im letzten Jahr auch noch die bislang umfangreichste photovoltaische Anlage Schwedens auf den Dächern einer Schule in Växjö installiert wurde? Nein, sagt Sarah Nilsson und verweist auf eine Kurve in ihren Diagrammen, die partout nicht nach unten zeigen will, sondern sich über der 2-Tonnen-Linie dahinschlängelt: die durch den Verkehr verursachten Emissionen. Der Umstieg auf ein "grüneres" Leben funktioniere eben bedeutend schleppender und mache PolitikerInnen Angst, sich unpopulär zu machen, wenn es um lieb gewonnene Bequemlichkeiten geht. So hat die Stadt zwar in ein großzügig ausgebautes Fahrradwegenetz investiert, sich gleichzeitig aber nicht getraut, den individuellen Autoverkehr entscheidend einzuschränken.

Das muss sie aber, will Växjö mit seinen Zielen nicht scheitern. "Ein Stück weiter wären wir, wenn die Politik nicht ein wichtiges Projekt gekippt hätte", sagt die Planungschefin. Eigentlich sollte schon 2002 eine Biogasanlage gebaut werden, um die städtischen Busse zu betreiben und auch in der Bevölkerung Interesse am Umstieg auf Biogasautos zu wecken. Mit zehnjähriger Verspätung und nachdem andere schwedische Städte vorgemacht haben, wie das funktionieren kann, wurden die Pläne wieder aus den Schubladen geholt. Ab 2012 sollen die EinwohnerInnen ihre Essensabfälle getrennt sammeln. Zusammen mit anderem organischen Abfall soll dann der Treibstoff entstehen, der endlich auch die CO2-Emissionen von Växjös Verkehr deutlich unter 2 Tonnen drückt.

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