Die Kunst der originellen Beleidigung

WORTGEFECHT An die Tradition der alten Freestyle-Veranstaltungen anknüpfend, gibt „Rap am Mittwoch“ jungen MCs die Chance, ihr Talent im Zweikampf und vor Publikum zu erproben – bis der „Besen“ zum Einsatz kommt

An jedem ersten und dritten Mittwoch im Monat treffen sich im Club Bi Nuu junge MCs zum Battle und jene, die dabei zuschauen wollen. Mitmachen kann jeder, der pünktlich zum Einlass erscheint. Zu gewinnen gibt es nicht nur ein Preisgeld von 400 Euro, sondern vor allem jede Menge Anerkennung. „Rap am Mittwoch“ hat sich über den eigenen YouTube-Kanal bei Rap-Fans schon bundesweit einen Namen gemacht.

■ Nächstes Event: 20. Februar, Bi Nuu, Im U-Bhf. Schlesisches Tor, 20 Uhr

www.rapammittwoch.tv

VON MARCUS STAIGER

Berlin ist nicht mehr das, was es einmal war. Zumindest im Bereich des deutschen Rap hat die Hauptstadt ihre einstige Vormachtstellung eingebüßt. Gaben im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends das Label Aggro Berlin, mit den Blueprints Sido und Bushido sowie Kool Savas mit der eigenen Plattenfirma Optik Records die Marschrichtung im deutschen HipHop vor, so sind es heute auf der einen Seite der süße Pandabär Cro aus Stuttgart und auf der anderen Seite die Frankfurter Azzlack-Fraktion um Haftbefehl, die den Ton angeben. Zwar sind mit Marteria und Casper auch weitere erfolgreiche Rapper in der Hauptstadt angesiedelt, doch handelt es sich hierbei um verhasste Zugereiste aka Schwaben, auch wenn der eine aus Bielefeld und der andere aus Rostock stammt. Bei den einheimischen Berliner Pflanzen wie K.I.Z., die zwar live und auf Konzerten eine Großmacht darstellen, wartet man auch noch nach Jahren auf das richtig große Album, bliebe also nur noch Peter Fox, der die Fahne mit dem Berliner Bär hochhält – aber ist das überhaupt noch Rap?

Alles verloren also in der Hauptstadt, ganz Gallien besetzt? Nicht ganz. Eine kleine Gruppe hungriger und ausdauernder MCs trifft sich alle zwei Wochen im Bi Nuu, um den alten Techniken des Freestylens und der Rap-Battles zu huldigen. Dabei handelt es sich um eine spezielle Disziplin innerhalb des Rapgenres, in der sich zwei Gegner im direkten Wortgefecht mit spontanen Reimereien möglichst kunstvoll und originell beleidigen. Die Reime sollten am besten nicht vorbereitet sein und aus dem Stegreif verfasst werden, was eine große Schlagfertigkeit, einen gewissen Witz und vor allem jede Menge Talent voraussetzt.

Nun ist es zwar so, dass bei „Rap am Mittwoch“ diese Regeln ein wenig außer Kraft gesetzt sind und die Teilnehmer auch teilweise vorgefertigte Reime zum Besten geben dürfen, die Essenz des Zweikampfs, der sogenannten Competition aber bleibt erhalten. Da teilweise a capella gerappt wird, klingt das Ganze auch ein wenig nach mittelalterlichem Sängerwettstreit statt nach Beats an Rhymes, trotz allem zeichnen sich die dargebotenen Reimschlachten durch einen extrem hohen Unterhaltungswert aus. Der Abend beginnt traditionellerweise mit einer Vorstellungsrunde, in der dem Nachwuchs eine Chance gegeben wird. Unbekannte Rapper und somit jeder darf sich dem kritischen Publikum stellen, wobei schon hier aussortiert wird und auch gern mal der „Besen“ zum Einsatz kommt, mit dem ein Rapper von der Bühne gefegt wird, wenn er wirklich allzu schlecht ist und das Publikum lautstark seine Entfernung fordert. Danach wird im klassischen K.-o.-System gebattelt, was bedeutet, der Verlierer fliegt raus und der Gewinner bleibt drin – so lange, bis er sich die Krone des Abends erstreitet und das recht üppige Preisgeld von 400 Euro einstreichen darf, das bei jeder Veranstaltung ausgelobt wird. Es heißt in der Berliner Rap-Szene, dass sich der eine oder andere Freestylespezialist schon auf diesen Zusatzverdienst eingestellt und die Summe als festen Bestandteil der Haushaltskasse eingeplant hätte, was durch das Auftauchen immer neuer Talente allerdings häufig zunichtegemacht wird.

Ins Leben gerufen vor drei Jahren, wollte Veranstalter und Moderator Joka alias Ben Salomo mit „Rap am Mittwoch“ an die alte Tradition der Freestyle-Veranstaltungen anknüpfen, wie sie in den 90er Jahren beispielsweise im Royalbunker, im Beat Illz Inn oder in der UFA Fabrik abgehalten wurden. Mit seiner Retro-Idee traf Salomon voll ins Schwarze und die Veranstaltung, die zu Beginn höchstens eine Handvoll Rap-Fanatiker zusammenbrachte, wuchs und wuchs und zählt heute bis zu fünfhundert Gäste am Abend. Zunächst im Calabash in der Veteranenstraße, seit einigen Monaten nun im Bii Nu am Schlesischen Tor, erarbeitete sich „Rap am Mittwoch“ eine bundesweite Reputation und wurde zum Anziehungspunkt für Rap-Fans aus dem gesamten Bundesgebiet.

Der Faszination, die von einem erbittert geführten Zweikampf ausgeht, kann man sich nur schwer entziehen, und sie überträgt sich auch relativ schnell auf Menschen, die ansonsten nichts bis gar nichts mit Rap zu tun haben. Und da plumpe „Ich fick deine Mutter“-Reime bei „Rap am Mittwoch“ schnell und konsequent sanktioniert werden, hat sich auf der Veranstaltung tatsächlich ein hohes und originelles Niveau etabliert.

Alle zwei Wochen braucht man trotzdem nicht hinzugehen, das ist ein bisschen so wie mit der Titanic. Im Abonnement kann es passieren, dass sie nervt, aber sparsam, alle paar Monate goutiert, ist sie immer wieder ein absolutes Highlight. Genauso verhält es sich mit „Rap am Mittwoch“. Ab und zu sollte man daher auf jeden Fall vorbeischauen. Rock on!

■ Marcus Staiger ist freier Journalist. Im Café Royal Bunker organisierte er ab 1997 regelmäßig Battlerap-Veranstaltungen, 1999 gründete er das gleichnamige Musiklabel, auf dem Künstler wie Kool Savas, Prinz Pi und K.I.Z. erschienen