WAS BISHER GESCHAH (6)
: Ist digital besser?

Zu den alten Filmen kommen alte Vorführtechnik und klassisches Trägermaterial hinzu – und damit dessen konkrete Gegenständlichkeit in Form von Verschmutzungen, Beschädigungen und unstetem Bildlauf

In Bruno Dumonts Wettbewerbsfilm „Camille Claudel, 1915“ stellt Juliette Binoches Gesicht den entscheidenden Schauplatz des ganzen Dramas einer von einem männerbündischen System in eine psychiatrische Anstalt abgeschobenen Frau dar: Jede Regung, jede Träne wird zum Ereignis, Ausdruck einer existenziellen Qual.

Ein Affektbild, das auch mit der Retrospektive des Festivals, mit Fritz Langs großartigem „Auch Henker sterben“ korrespondiert, in dem – anders als bei Dumont, dessen Kamera immer wieder Binoches Physiognomie sucht – Gesichter zwar nur selten in Großaufnahme, dann in der Wirkung aber umso wuchtiger zu sehen sind: Wenn da eine alte, von Nazis misshandelte Prager Gemüsehändlerin eine andere Frau ans Messer liefern soll, präsentiert Lang ihr ermattetes Gesicht ähnlich wie Dumont als von tiefschwarzen Furchen durchzogene Landschaft einer geschundenen Seele.

Nach Dumonts Film ein Loblied auf die digitale Hochauflösung anzustimmen, die Binoches Falten erst entbirgt, ist allerdings verfrüht: Überraschenderweise wurde der Film auf 35 mm gedreht – heute ist das keine Selbstverständlichkeit mehr. Noch weniger, dass Filme so auch aufgeführt werden: Binoches Performance ist nur nach einem Digitaltransfer zu haben, Langs Hollywood-Studio-Prag wird vom Filmstreifen gezeigt – eine Kopie aus britischen Beständen, wie eine vorangestellte Texttafel stolz vermerkt.

Damit geht die Retrospektive spätestens ab diesem Jahr nun auch in zweiter Hinsicht auf historische Distanz zum übrigen Festival: Zu den alten Filmen kommen alte Vorführtechnik und klassisches Trägermaterial hinzu – und damit im Gepäck dessen konkrete Gegenständlichkeit in Form von Verschmutzungen, Beschädigungen und unstetem Bildlauf. Im restlichen Festivalprogramm sind unterdessen keine zehn Filmkopien mehr aufzutreiben. Das wirft immerhin Fragen nach dem Anspruch auf Werktreue eines Festivals auf. Ist digital denn wirklich besser?

So ist etwa auch Ulrich Seidls im traumhaft schönen Super-16-mm-Format gedrehter Übergewichtigen-Report „Paradies: Hoffnung“ nur digital codiert zu sehen. Zum ausgemachten Ärgernis wuchs sich die schlampige Digitalprojektion von Wong Kar-Wais 35-mm-Film „The Grandmaster“ aus. Neben schauderhaft verrauschten dunklen Farbflächen feierten in den Gesichtern von Zhang Ziyi und Tony Leung Pixelklumpen fröhliche Urständ. Hier wurde das Anlitz zum Schauplatz eines Dramas ganz eigener existenzieller Art. THOMAS GROH