Sexueller Missbrauch am "Canisius Kolleg": Übergriffe an der Eliteschule

Im Berliner "Canisius Kolleg" der Jesuiten wurden bis 1985 mindestens sieben Jungen sexuell missbraucht. Der Orden tut sich mit der Aufarbeitung schwer.

In einem Berliner Elitegymnasium der Jesuiten sind Schüler sexuell missbraucht worden. Bild: dpa

BERLIN taz | In einem Berliner Elitegymnasium der Jesuiten ist es in den Siebziger- und Achtzigerjahren zu Fällen systematischen sexuellen Missbrauchs gekommen. Nach Auskunft von Ursula Raue, der Beauftragten des Ordens für Missbrauchsfälle in den deutschen Institutionen der Jesuiten, gibt es in diesen "immer wieder" solche Fälle.

Die Berliner Anwältin und Mediatorin sagte der taz, es gebe "Anhaltspunkte", dass es im aktuellen Fall des Berliner Canisius Kollegs eine "größere Zahl" von Übergriffen gab. Der Schulleitung sind bisher zwei Täter und sieben Opfer namentlich bekannt, sie befürchtet aber mehr. Zum Charakter der Missbräuche an der katholischen Privatschule sagte Raue: "Wir wissen von keinen Penetrationen."

Die Missbrauchsfälle gerieten in die Öffentlichkeit, nachdem sie der derzeitige Rektor der Schule am Tiergarten, Pater Klaus Mertes, vor gut zwei Wochen in einem internen Brief an etwa 500 ehemalige Schülerinnen und Schüler der Jahrgänge 1975-83 offen angesprochen und sich für sie entschuldigt hatte. "Mit tiefer Erschütterung und Scham habe ich diese entsetzlichen, nicht nur vereinzelten, sondern systematischen und jahrelangen Übergriffe zur Kenntnis genommen", schrieb der Rektor.

Es habe bei den Lehrern des Kollegs auch "ein Wegschauen" gegeben. Er habe in den Gesprächen mit den Opfern besser verstanden, "welche tiefe Wunden" ihnen zugefügt wurden - "und wie die ganze Biografie eines Menschen dadurch jahrzehntelang verdunkelt und beschädigt werden kann".

Mertes schrieb, der deutsche Ordensobere der Jesuiten habe schon vor einiger Zeit über Missbräuche "in der Vergangenheit" und "durch einzelne Jesuiten" berichtet. Bundesweit gibt es etwa 900 Schulen in katholischer Trägerschaft. Der Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Matthias Kopp, sagte der taz: "Ob es Missbrauchsfälle in anderen Schulen gegeben hat, kann die DBK nicht sagen, da es sich hier um eine Bistums- beziehungsweise Ordensangelegenheit handelt. Uns liegen dazu keine Angaben vor."

In Berlin machten sich nach dem bisherigen Wissen der Schulleitung mindestens zwei Patres des Missbrauchs von Jungen im Alter von etwa 13 bis 16 Jahren schuldig. Beide haben allerdings 1985 das Canisius Kolleg und bis Ende der Achtzigerjahre den Orden von sich aus verlassen. Nach Angaben des Schulrektors leben beide Täter noch. Zumindest einer der Täter soll die Taten nicht bestreiten. Sie sind jedoch verjährt. Wenn eine Penetration des Opfers erfolgt ist, tritt 20 Jahren nach Erreichen der Volljährigkeit Verjährung ein. Sonst nach 10 Jahren.

Das Erzbistum erklärte, Erzbischof Kardinal Georg Sterzinsky habe "tief betroffen" reagiert, als er nun von den Missbrauchsfällen gehört habe. Er bestärke den Rektor in seiner Aufklärungsarbeit: "Wir finden gut, wie er das macht." Der Journalist und Buchautor Frank Nordhausen hat das Canisius Kolleg bis zur 10. Klasse besucht. 1973 hat er die Schule verlassen. "Dass es sexuellen Missbrauch gegeben haben könnte, war in der Schule ein offenes Geheimnis", sagte Nordhausen der taz. Warum haben die Schüler nichts unternommen? "Wir waren links und hatten ganz andere Interessen, als irgendwelchen Gerüchten nachzugehen."

Das Landeskriminalamt hat am Donnerstag ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts des schweren sexuellen Kindesmissbrauchs gegen Unbekannt eingeleitet. Die Polizei hat ihre Informationen bislang nur aus der Presse. Nicht mal Mertes Schreiben lag am Mittag vor. "Wir stehen ganz am Anfang", so ein Polizeisprecher. "Es gibt keine Hinweise auf aktuelle Fälle."

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