Nach Umweltkatastrophe in Baia Mare: Vergiftetes Leben

Zyanid aus der Goldproduktion hat die Umgebung von Baia Mare in Rumänien verseucht. Die Opfer wollen jetzt verhindern, dass die Unglücksfabrik wieder den Betrieb aufnimmt.

Aufräumen nach der Katastrophe in Baia Mare. Bild: dpa/archiv

BAIA MARE taz | Der Tierarzt Danut Ghisa steht im Hof seines Hauses und zieht einen Eimer Wasser aus dem Brunnen. Das Wasser schimmert bläulich. "Ich habe mehrmals Proben nehmen lassen, und es wurde Zyanid darin gefunden", sagt Danut Ghisa. "Wir trinken es seit damals nicht mehr."

Ghisa geht ein paar Schritte über den Hof in den Garten zu einem leeren Teich. Hier war seine kleine Fischzucht. Karpfen, Plötzen, er und seine Frau Nicoleta mögen Fisch. Nach dem Unfall starben die Tiere alle.

Im Garten hat Danut Ghisa einen Hain angelegt. Äpfel-, Birnen- und Pflaumenbäume - alle sorgfältig aufgezogen und beschnitten. Von einem Apfelbaum bricht er mühelos einen fast armdicken, völlig trockenen Ast ab. "Ich habe alle Behandlungsmethoden ausprobiert", sagt er, "aber es hatte keinen Sinn. Die Bäume gehen langsam ein. Gemüse bauen wir schon lange nicht mehr an. Tomaten, Gurken - sie wachsen zuerst, dann vertrocknen sie einfach."

Bozânta in Nordrumänien, 3.000 Einwohner, ein Dorf nahe der Bergbaustadt Baia Mare. Einen Kilometer oberhalb des Ortes liegt jener Abwassersee der ehemaligen australisch-rumänischen Goldfabrik Aurul, an dem vor zehn Jahren ein Damm brach. Der See war randvoll mit Zyanidlauge und schwermetallhaltigem Schlamm.

Das Gold: Massivgoldvorkommen gibt es kaum noch, jedoch lohnt sich wegen steigender Preise die Ausbeutung schwach goldhaltiger Stätten ab einem Gramm Gold pro Tonne. Zyanidlaugerei ist die billigste Möglichkeit. Goldhaltiges Gestein wird zermahlen und mit Kalium- oder Natriumzyanid versetzt. Das Gold verbindet sich mit Zyanid, dann wird es wieder herausgelöst. Zurück bleiben Zyanid und Schwermetalle, die aus Kostengründen zumeist in offenen Becken gesammelt werden.

Die Gesetze: In der EU gibt es keine verbindlichen Richtlinien, einige Staaten wie Tschechien und Ungarn haben die Laugerei nach dem Unfall von Baia Mare verboten, andere, wie Schweden oder Spanien, erlauben sie. In Rumänien gibt es weitere Vorhaben, Gold mittels Zyanidlaugerei zu gewinnen, so in Rosia Montana und Certej.

Die Gefahr: Für Menschen ist eine Einnahme von einem Milligramm Zyanid je Kilo Körpergewicht tödlich.

Nach dem Dammbruch in der Nacht auf den 31. Januar 2000 überschwemmte die Giftflut zuerst die Felder der Anwohner aus Bozânta und ergoss sich dann in den Fluss Sasar. Hunderttausend Tonnen zyanidhaltiges Abwasser und Schwermetallschlamm sollen in den kleinen Fluss gelangt sein. Nach Tschernobyl und Seveso war es eine der schlimmsten Umweltkatastrophen, die Europa je erlebt hat.

Am Morgen nach dem Dammbruch ging Danut Ghisa in die Nähe der Unfallstelle, er besaß dort Weide- und Ackerland. Alles war schwarz, erinnert er sich, es roch nach Bittermandeln. Er ahnte, dass etwas sehr Schlimmes passiert sein musste. Wie schlimm es tatsächlich war, konnte er sich damals nicht vorstellen. Und schon gar nicht, dass die Folgen zehn Jahre später noch zu spüren sein würden.

Danut Ghisa ist in Bozânta aufgewachsen und arbeitet seit über 20 Jahren als Tierarzt. Auch seine Kinder, 14 und 11, sind hier groß geworden. Haus und Hof hat Danut Ghisa von seinen Eltern geerbt. Er und und seine Frau Nicoleta haben hier ein Zuhause geschaffen, dass auch sie ihren Kinder vererben wollten. Eigentlich. Jetzt fühlen sich Danut und Nicoleta Ghisa manchmal wie Fremde, wenn sie über ihren Hof gehen und daran denken, wie viel die Nacht vor zehn Jahren zerstört hat. Die Familie überlegt wegzuziehen, in das Bergdorf, aus dem Nicoleta Ghisa stammt. "Der Unfall", sagt sie mit brüchiger Stimme, "hat auch unser Leben vergiftet."

1.200 Tonnen toter Fisch

Zyanidlaugerei wird in der Gegend um Baia Mare seit Jahrzehnten betrieben. Der staatliche Bergbaukonzern Remin verwendete das Verfahren, um Gold und Silber aus den reichhaltigen Pyritvorkommen der Region zu extrahieren. Außerdem wurden Kupfer, Blei und Zink gewonnen. Die Rückstände sind noch heute zu besichtigen: Über 300 Halden mit Abraum voller Schwermetall gibt es in der Region. Die meisten sind ungesichert. Immer wieder wäscht Regen Schwermetalle und anderes Gift aus und spült es in Flüsse und ins Grundwasser.

Manche der Halden enthalten noch Restgold. 1998 bekam die australisch-rumänische Firma Aurul die Genehmigung, eine solche Halde am Rande von Baia Mare erneut mit Zyanid zu behandeln und die geschätzten ein bis zwei Gramm Gold pro Tonne auszuwaschen. Eilig wurden neben einem Neubauviertel alte Fabrikanlagen instand gesetzt und in einiger Entfernung ein Abwassersee geschaffen, knapp einen Quadratkilometer groß. Ende Januar 2000, nur wenige Wochen, nachdem Aurul mit der Goldproduktion begonnen hatte, führten Tauwetter und tagelanger starker Regen dazu, dass an dem See ein Damm brach.

Die Giftflut gelangte über Nebenflüsse in die Theiß und vernichtete auf einer Länge von mehreren hundert Kilometern fast sämtliches Leben im Fluss. 1.200 Tonnen toter Fisch trieben abwärts. Auch die Trinkwasserversorgung für mehrere hunderttausend Menschen in Nordrumänien, der Westukraine und Ostungarn war wochenlang unterbrochen.

Vier Monate nach dem Unfall und nach einigen Sicherungsmaßnahmen am Abwassersee machte die australische Firma mit der Goldproduktion weiter wie zuvor - unter neuem Namen: Um Schadensersatzansprüchen zu entgehen, hatte Aurul Konkurs angemeldet und war von den alten Eigentümern unter dem Namen Transgold übernommen worden. Ein erfolgreicher Trick: 2008 verlor der ungarische Staat einen Prozess gegen Aurul, die Begründung: Es gebe keinen juristisch Verantwortlichen mehr.

Nicht nur Ungarn scheiterte, auch die Betroffenen vor Ort gingen leer aus. Aurul-Transgold kaufte den Anwohnern aus Bozânta zwar die überschwemmten Felder ab und finanzierte die Reparatur der Dorfschule und des Kindergartens. Doch Entschädigungen, etwa für die vergifteten Brunnen im Dorf, erhielt niemand.

Transgold produzierte bis Anfang 2006, dann meldeten die Eigentümer erneut Konkurs an, diesmal endgültig. Das Geschäft war nicht mehr lukrativ genug, die Australier zogen ab. Die Firmenanlagen wechselten seitdem mehrere Besitzer. Inzwischen heißt die Unglücksfabrik Romaltyn Mining und gehört Polyusgold, dem größten russischen Goldproduzenten. Der hat bei den örtlichen Behörden eine neue Betriebsgenehmigung beantragt. Die Chancen stehen gut, dass Polyusgold sie erhält. Das jedenfalls meint Calin Crisan, der Chef des Kreisumweltamtes, Zyanidlaugerei sei in Rumänien schließlich nicht verboten. Wenn Polyusgold alle gesetzlichen Bestimmungen einhalte, sagt Crisan lakonisch, sei nicht zu verhindern, dass der Konzern Gold produziere.

Vasile Tatar will es verhindern. Er glaubt, dass er es schafft. Der 62-jährige Rentner kann die Fabrikanlagen sehen, wenn er aus seinem Fenster schaut. Es sind etwa 150 Meter. Der Anblick der beige gestrichenen Tanks und der vielen Rohrleitungen erinnert Vasile Tatar jeden Tag daran, wie die Krankheit seines Sohnes ausbrach. "Damals haben sie unter freiem Himmel Mineralstaub mit Zyanid vermischt und dann in die Fabrikanlagen gepumpt", sagt er wütend. "Sozusagen direkt vor unserer Haustür."

David aus dem Plattenbau

Vasile Tatar wohnt in einem Plattenbauviertel am Rand von Baia Mare. Er ist ein großer, korpulenter Mann, hat einen kahlen Schädel und einen entschlossenen Blick. Acht Jahre lang hat er wegen des Zyanidunfalls gegen die Fabrik und den rumänischen Staat prozessiert, David gegen Goliath. Am Ende hat Goliath verloren.

Vasile Tatars Sohn Paul, damals 19, litt an Heuschnupfen. Kurz nachdem Aurul mit der Goldproduktion begonnen hatte, bekam Paul Erstickungsanfälle. Binnen Monaten wurden sie häufiger und schwerer, Ende 2000 kam dann die Diagnose: Bronchialasthma, nicht heilbar.

Vasile Tatar klagte gegen die Fabrik. Vor einem halben Dutzend Instanzen verlangte er die Schließung. Er verlor immer. Sein Sohn war inzwischen weggezogen, er konnte nicht länger in Baia Mare leben. Doch Vasile Tatar wollte die Tatsachen nicht hinnehmen. Er wandte sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Vor einem Jahr, am 27. Januar 2009, sprachen die Richter das Urteil: Rumänien habe das Recht seiner Bürger Vasile und Paul Tatar auf eine saubere, gesunde Umwelt missachtet, Artikel 8, Absatz 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention sei verletzt worden. Es war das erste Mal, dass der Gerichtshof einen Staat wegen Umweltvergehen verurteilt hat.

Wenn Vasile Tatar von der Verhandlung spricht und vom Moment der Urteilsverkündung, dann ist er erfüllt von ehrfürchtiger, geradezu kindlicher Dankbarkeit. Dank für ein Europa, das ihm Recht gegeben hat - dem kleinen Rentner mit seinem kranken Sohn aus dem Plattenbau in der Provinz, der in seiner Heimat nicht die geringste Chance gehabt hätte, sich gegen einen mächtigen und korrupten Apparat durchzusetzen.

Der Apparat allerdings ignoriert das Urteil. Die Behörden haben in dem einen Jahr, das seither vergangen ist, nichts getan, um den Richterspruch umzusetzen. Freilich, das Urteil enthält keinen Maßnahmenplan. Doch Vasile Tatar will erreichen, dass die Goldproduktion in Baia Mare und am besten in ganz Rumänien endgültig verboten wird. Deshalb verklagt er den Staat jetzt auf die Umsetzung des Urteils. Wieder steht ihm eine Prozesslawine bevor. Am Ende könnte der Fall wieder in Straßburg landen.

"Ich kann sehr beharrlich sein", sagt Vasile Tatar. "Vielleicht werde ich es auch gar nicht mehr erleben, dass das Urteil umgesetzt wird, sondern erst meine Kinder und Enkel. Aber eines Tages werden die Regierenden merken, dass sie uns nicht für dumm verkaufen können. Wir sind es, die hier leben, und wir sind es, die über unser Leben entscheiden."

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